Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Roncesvalles nach Larasoaña

Tag 2 (Fr, 29.4.2022) – Von Roncesvalles nach Larasoaña (hinter Zubiri)

In der Herberge im Kloster Roncesvalles habe ich sehr gut geschlafen. Dank der Trennwände war in dem Saal mit ca. 40 Betten kein Furzen oder Schnarchen zu hören. Die Französin über mir aus Carcassonne (ich beneide sie!) hat zwar kurz probiert zu schnarchen, hat das aber nicht hinbekommen.

Gegen vier wurde ich vom Harndrang wach, aber nicht vom eigenen, sondern von dem einiger Mitschläfer, welche die Klotür scheppernd ins Schloss fallen ließen, statt die Klinke zu benutzen. Ich hab dann bis zum Wecken mittels Lichtanschalten noch ein bisschen ge­schlummert und schon mal mit der Leselampe an der Stirn meine Tabletten sortiert. Punkt sechs ging das Licht an und dann ging das Waschen, Packen usw. los. Man hätte hier Früh­stück buchen können, das aber nur aus Süßkram nebst Kaffee bestand und auch erst ab 7 Uhr in einer der umliegenden Gaststätten serviert wurde. Ich habe mich mit einem hervor­ragenden Kaffee aus dem Automaten begnügt und war schon drei viertel sieben in der Spur.

Es ging auf einem sehr guten, ebenen Weg ins Nachbardorf, wo um diese Zeit schon ein Bistro offen und mit Pilgern besetzt war. Richtig Hunger hatte ich nicht, trotzdem habe ich mal das Buffet inspiziert. Das einzige Nicht-Süße war ein halbes Baguette mit einer großen Käsescheibe und einem Fischfilet darauf. So richtig konnte ich mir nicht vorstellen, wie das schmeckt und morgens kurz nach sieben wollte ich das auch nicht ausprobieren.

Der Wegweiser zum Friedhof sah aus wie bei uns die der Soldatenfriedhöfe. Den kurzen Abstecher habe ich gemacht und war beim Blick durchs Tor auch tatsächlich der Meinung, das wäre eine Kriegsgräberstätte. Aber dann habe ich gesehen, dass die von weitem einheitlich aussehenden Grabsteine auf den regelmäßig angelegten, ebenen Grabstellen sehr individuell gestaltet waren. Das war ein ganz normaler Dorffriedhof, wie ich ihn aber noch nie gesehen habe.

Die einzelnen Kurven des Weges lassen sich im Reiseführer nachlesen, hier kann zusammengefasst gesagt werden, dass es permanent auf und ab ging, zwischendurch wieder bis auf 922 Meter. Lange Zeit hingen die Wolken noch tief in den Bergen, aber allmählich verzogen sie sich und nach dem nächsten Pass war auch mit der feuchten Luft Schluss und man konnte den Anorak einpacken. Gegen 10 Uhr kam dann die Sonne raus und auch der Pullover konnte im Rucksack verstaut und gegen Sonnenbrille und Schirm­mütze getauscht werden. Jetzt wurden mir erst die Vorzüge des Regenwetters bewusst. Am Tag zuvor, als ich Pullover und Anorak am Leib und den Poncho oben drüber statt im Rucksack hatte, war dieser wesentlich leichter!

Und auch Nebelwetter hat seinen Vorteil. Bei der Pyrenäen-Überquerung war links und rechts nichts zu sehen und wegen der feuchten Luft hat man nur mal kurz das Smartphone rausgeholt und raufgeschaut, um die Technik zu schonen. Da konnte man sich auf den Weg konzentrieren. Bei Sonnenschein kann man sich beim im Laufen die Umgebung anschauen und zudem noch auf dem Smartphone rumhantieren. Das führt leicht zu Stürzen, was ich ausprobiert habe. Zum Glück war es auf Beton, das hinterlässt keine Flecken. Und die Kreditkarte in der verschließbaren Beintasche hat erfolgreich die Kniescheibe geschützt. Ich hoffe, auf der Karte ist jetzt noch was drauf, sonst muss ich die nächsten Wochen darben.

Egal auf welcher Höhe der Weg verlief, die Schlammlöcher wurden immer häufiger. Und die zwischenzeitlich ertrampelten Umgehungen unterschieden sich von ihnen nur in der Einsinktiefe. Mit Stilettos hätte man hier bis ins Erdinnere vordringen können. Zum Schlamm gesellte sich bald glitschiges Gestein (wie schreibt man das?). Für einen Spezialisten der Plattentektronik wäre das eine Fundgrube, für den profanen Wanderer oder den Pilger stellte sich indes die Frage, warum denn die Gesteinsschichten nicht einfach übereinander liegen, sondern senkrecht oder zumindest schräg stehen und das Laufen extrem behindern. Man hätte den Jakobsweg gehen sollen, bevor die Pyrenäen und die spanischen Vorgebirge, durch die ich mich gerade kämpfe, gefaltet wurden.

Irgendwann nahm auf dem Weg der Abwärtstrend zu, was aber wegen der oben genannten Plattentektonik nicht zur Freude ausartete. Erst kurz vor dem Etappenziel, Zubiri (nicht Zuchini!) wurde der Weg zivilisiert. Die Brücke, die über einen kleinen Fluss in den Ort führt, ist ein echter Hingucker. Der Ort selbst ist auch sehr ansehnlich und besticht vor allem durch mehrere Bars. Eine, die mit einem kleinen Kram-, Bäcker- und Fleischerladen auf gut 10 Quadratmeter kombiniert ist und Sitzgelegenheiten im Freien bietet, ist das Ziel der meisten Pilger. Hier habe ich ein köstliches warmes (!) Sandwich mit Käse und Schinken aus der Bar mit einer zuvor in der Alimentation erworbenen Bierbüchse kombinieren können. Köstlich!

Hier, nach 22 km wäre lt. Reiseführer Etappenziel, aber da ich mich noch nicht so richtig schlapp fühlte, das Wetter besser als angekündigt und der Nachmittag erst angebrochen war, habe ich mich entschlossen, noch ein Stück weiter zu laufen. Wie vor der Kneipe erzählt wurde, waren eh alle Herbergen voll. Hier muss man aber wissen, dass es neben den sehr preiswerten (und deshalb auch sehr beliebten) kommunalen und kirchlichen Herbergen unzählige private gibt (die nicht unbedingt viel teurer sind), und in größeren Orten auch Pensionen und Hotels. Da kommt man oft noch unter, wenn die Herbergen voll sind.

Ich bin also noch ein Stück weiter auf der nachfolgenden Etappe gelaufen und habe die 30 km komplett gemacht. Auf der Karte sah das harmlos aus, nämlich immer am Fluss entlang. Aber hier in Spanien sagt man sich „warum einen flachen Uferweg einrichten, wenn es auch über Bergpfade geht?“

Vorbei an einem Bergwerk mit großen Halden und einer Fabrik (nicht wie vermutet eine Zementfabrik, sondern ein Magnesitwerk) ging es am Berghang auf und ab, durch ein kleines Dorf und vorbei an einer trutzigen, aber leider geschlossenen Kirche mit einem kleinen Kloster und einen winzigen Friedhof, vielleicht 4x8 Meter, vorbei. Da, wo eine Brücke über den Fluss führt, machte eine private Herberge Reklame. Dort bin ich hin, aber da war alles reserviert. Um in den nächsten etwas größeren Ort zu kommen hätte ich wieder über den Fluss und weiter auf dem Jakobsweg laufen, oder entlang der Landstraße abkürzen können. Zum Glück habe ich Letzteres gemacht, denn in der kommunalen Herberge von Larasoaña habe ich kurz nach fünf gerade noch das letzte freie Bett bekommen. Diese kommunale Herberge ist sehr ordentlich und hat gute sanitäre Anlagen. Ich habe in einem Vierer-Zimmer ein Bett im Erdgeschoss eines Doppelstockbettes. Bei 9 € inklusive Einmalbettzeug (Laken und Kopfkissenbezug) kann man nicht meckern.

Da die Kneipe in Ort nicht mehr existiert, bin ich auf den Supermarkt verwiesen worden, der zwar nur wenige Regale mit einem auf Pilger abgestellten Angebot enthält, aber eine breite Palette gut aussehender und offenbar wohl schmeckender Speisen zu bieten hat. Die verzehrt man im Vorgarten des Supermarktes, der mit diversen Tischen und Stühlen besetzt ist. Ich möchte wetten, dass alle, die hier sitzen aus meiner Herberge oder vielleicht auch den diversen Pilgerpensionen stammen. Es ist eine schöne Stimmung, denn inzwischen kennt man sich ja. Eigentlich war vor einer halben Stunde Ladenschluss, aber es wird immer noch fleißig serviert.

Ich werde mich gleich ins Quartier aufmachen und deshalb jetzt schließen. Mein Wander­kollege, der Ex-Polizist aus dem Rheinland, hat leider gestern Abend aufgegeben, da er keine Haut mehr an der Ferse hatte. Er ist heute von Biarritz nach Hause geflogen. Schade. Aber unter den vielen Pilgern hat man immer mal welche gefunden, mit denen man ein paar Worte wechseln oder ein Stück zusammen laufen konnte. Darunter zwei Frauen aus Wunstorf/Luthe, die aber unsere dortige Verwandtschaft nicht kennen. Außerdem zwei ältere Damen aus Seattle im äußersten Nordwesten der USA und ein älteres Ehepaar aus Neuseeland mit riesigen Rucksäcken auf den Rücken und zwei kleinen Rucksäcken vor dem Bauch. Die wollen nach Santiago und danach noch nach England, Belgien und Deutschland.

So, jetzt wird mir im Supermarkt/Kneipengarten kalt. Bilder kommen später.

Camino Francés / Finisterre - Tag 2