Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Portomarin nach San Xiao do Camino

Tag 28 (Mi, 25.5.2022) – Von Portomarin nach San Xiao do Camino (hinter Palas de Rei)

Heute sind vier Wochen um, noch 2…3 Tage bis Santiago. Das sind schöne Aussichten. Außerdem ist heute ein wunderbarer Tag. Es ist bedeckt, 18…19 Grad und bis auf einen etwas heftigen Aufstieg am Morgen keine großen Berge. Und in dieser Gegend kommt selbstredend überall „Estrella Galicia“ aus dem Zapfhahn, was die Stimmung hebt.

Die Nacht im 130-Betten-Saal lief sehr viel besser als erwartet. Da das Bett unter mir frei geblieben ist (wieder eine nicht in Anspruch genommene Reservierung), bin ich runter gezogen und konnte da schön unterm Bett meinen ganzen Kram ausbreiten. Die dicke Matratze war genau richtig, nicht zu hart und nicht zu weich. Ich bin sowohl am Abend, als auch nach dem nächtlichen Klo-Gang sofort eingeschlafen. Ich habe nur zwei gehört, die etwas laut geatmet haben. Aufgewacht bin ich halb sechs, als neben mir Henry zu packen anfing. Tina schräg über uns mussten wir wecken, so gut hat die geschlafen.

Nach einem Kaffee aus dem Automaten sind wir viertel sieben los. Gleich hinter der Brücke über einen Zufluss des Stausees gabelt sich der Weg. Die beiden sind links entlang der Straße gegangen, ich habe den rechten Abzweig genommen, bei dem es fast ausschließlich durch den Wald ging. Erst ziemlich lange bergauf, dann aber auf einem Plateau geradeaus. Etwa drei Kilometer weiter liefen die beiden Varianten wieder zusammen und wir hätten uns fast umgerannt, weil wir dort gleichzeitig ankamen.

Der weitere Weg war nicht so übermäßig spannend. Es ging erst entlang der Landstraße und dann auf Feldwegen, die oft von Natursteinmauern (Schiefer, so wie er hier auch unbehauen auf die Dächer gelegt wird) gesäumt sind. Bäume, Hecken und Wiesen haben hier ein sattes Grün. Ohne den reichlichen Regen sähe das ganz anders aus. Aber heute haben die vielen Wolken wie vorhergesagt nichts fallen lassen.

Henry und Tina, die (wie fast alle anderen) viel schneller sind als ich, waren bald verschwunden. Aber wie das so auf dem Camino ist: man trifft sich immer wieder. Wenn nicht in der nächsten Bar, dann in der übernächsten. Und so habe ich nicht nur die Beiden, sondern auch viele andere Bekannte wiedergetroffen: Romana aus Linz, die heute mit Inge aus dem Schwarzwald unterwegs war. Torben, Henning und Jenny, mit denen ich mal ein Vierbettzimmer geteilt habe, Ralf und Agnes, Peggy aus Colorado, die mit Thomas daher kam usw. Man kennt sich inzwischen untereinander und alle „echten“ Pilger vereint der Groll gegenüber denen, die mit einem Beutelchen auf dem Rücken von einer Herberge zur andern laufen und ihr Gepäck transportieren lassen. Bis hier waren es wenigstens Rucksäcke, die durch die Gegend gefahren wurden, heute habe ich einen ganzen Haufen Rollkoffer fotografiert, den die gerade losgelaufenen Pseudopilger zum Weitertransport abgestellt haben. Man tarnt sich hier nicht mal mehr mit einem Rucksack.

Eigentliches Etappenziel war heute Pallas de Rei, aber wir hatten schon vorher entschieden, ein Stück weiter zu laufen, um dem Pilgertross zu entkommen.

Heute war es schon mal hilfreich, dass wir in der Herberge kein Frühstück gebucht hatten, denn das gab es erst um sieben, als wir längst unterwegs waren. Das ergab einen Vorsprung von über einer Stunde gegenüber den Weicheiern, die ohne Schnittchen nicht in Gang kommen. Die Bars am Wege sind bei dem Pilgerstrom vormittags ziemlich überfordert. Man muss lange Schlange stehen. Eine Bar, in der ich Spiegeleier mit Speck gegessen habe, war so schlau, Bilder und Preise aller Pilgeressen auszuhängen. Dort habe ich schön gegessen und bin dann den anderen Pilgern hinterher.

Kurz vor zwei war ich in Palas de Rei, wo Henry und Tina schon auf mich warteten. Der Ort lud wirklich nicht zum Verweilen ein. Eine ziemlich stark befahrene Straße führt durch die Stadt, die sich „Königspalast“ nennt. Wir, Henry, Tina und ich, sind noch ca. 5 km weiter und haben ein wirklich schönes Quartier in San Xiao do Camiño gefunden. In einem rustikalen Haus mit Kneipe ein 7-Bett-Zimmer mit richtiger Bettwäsche. Das ist auch mal schön. 14 € sind ok.

Der Mittwochabend war schnell rum. Wir hatten beschlossen, uns um sieben in unserer Herberge zum Pilgermenü zu treffen. Vorher wollte ich mir noch den kleinen Ort ansehen und bei der nahen Kirche anfangen, die wie alle Kirchen hier an dem über das Dach hinausragenden Giebel mit Kreuz und Glocken erkennbar ist. Davor standen ein paar Leute herum, drei etwa 14jährige und 5 oder 6 Erwachsene. Da kam ein Auto angebraust, dem ein kleiner, relativ junger Priester entstiegt, zur Kirche eilte, die Tür aufschloss, sich ankleidete und 18.10 Uhr mit dem 18-Uhr-Gottesdienst begann. Dreiviertel sieben dann das Gleiche in umgekehrter Reihenfolge, weil er (wenn ich es richtig verstanden habe) in einem anderen Dorf noch einen weiteren Gottesdienst zu halten hat. Da er mitbekommen hat, woher ich komme und wohin ich will, gab es zum Abschluss noch einen Pilgersegen auf Englisch und ein „Auf Wiedersehen“ auf Deutsch. Das war sehr nett.

Nach dem Abendbrot bin ich zum Telefonieren nochmal auf die Dorfstraße, konnte aber kaum was verstehen, weil eine Kuh mit inbrünstigem Muh auf sich aufmerksam machte. Das nahm kein Ende und wurde sogar lauter. Als ich mich umdrehte, stand die Kuh hinter mir und begehrte vorbeigelassen zu werden. Vor dem Stall hat sie dann auf gleiche Weise auf sich aufmerksam gemacht, bis der Bauer sie einließ. Nach ein paar Minuten kam sie, vermutlich gemolken und gefüttert, wieder raus, verabschiede sich mit einem Muh und trottete zwischen den auf beiden Seiten stehenden Kneipentischen die Dorfstraße hinunter.

Camino Francés / Finisterre - Tag 28