Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Muxia nach Dumbria

Tag 38 (Sa, 4.6.2022) – Von Muxia nach Dumbria

Heute, da ich viel Zeit zum Schreiben hätte, gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe gerade in der kommunalen Herberge von Dumbria, 24 km von Muxia in Richtung Santiago Quartier bezogen. Da ich so spät dran war, hatte ich schon Angst, vor vollem Haus zu stehen. Aber weit gefehlt. In dem sehr modernen und großzügigen Bau von 2010 sind drei 8-Bett-Zimmer und als ich kam, war in jedem Zimmer nur ein Bett belegt. Allerdings war niemand in der Rezeption. Nachdem ich eine Weile rumgetrampelt und alle möglichen Klingelknöpfe gedrückt hatte, habe ich mir mal die vielen Zettel an der Tür durchgelesen. Auf einem stand, dass man sich einfach ein freies Bett suchen und beziehen soll. Kostet 8 €. Ok, da kommt vermutlich irgendwann am Abend jemand kassieren.

Ich beglücke in dieser Nacht eine junge Italienerin. Mit mir kam noch ein Spanier, der hat das nächste Zimmer als Zweitbelegung genommen. Wir sind also zu fünft in einer 24+2 (Behinderte) Betten-Herberge. Die hat viele mit Kunstledersesseln ausgestattete Sitzecken (mehr als manches Hotel), Tische und Stühle auf zwei Balkons und mindestens 16 Sitzplätze in der Küche. Je zwei Klos, Duschen und Waschbecken für Männlein und Weiblein und ein Bad für Behinderte, alles sehr nobel. So gut ausgestattet war bisher nur die gestrige Herberge. Wenn die Italienerin nicht lauter schnarcht als ich, kann das eine angenehme Nacht werden.

Ich bin nach dem Betten-Beziehen zurück in den Ort gelaufen, um in einer der zwei Kneipen meinen Flüssigkeitsbedarf zu stillen. Als ich kam, war der Raum leer und die Wirtin dabei, den Boden zu wischen. Damit hat sie gleich aufgehört, zumal noch ein anderer, einheimischer Gast kam. Es riecht jetzt hier schön frisch nach Putzmittel. Ab und zu flitzt die vielleicht dreijährige Tochter der Wirtin durch den Gastraum. Gleich nebenan ist der zur Kneipe gehörige Supermercado. Da hält der Opa Wache, obwohl weit und breit kein potentieller Kunde zu sehen ist. Ich werde mir da nachher (wenn vorhanden) wieder eine Pizza oder Ähnliches holen und in der Herberge eine Fressorgie veranstalten.

Der ganze Ort mit angeblich 3000 Einwohnern ist irgendwie komisch. Es ist ein Straßendorf, das heißt die Häuser stehen beidseits der endlos langen Dorfstraße. Nur wenige sind verfallen, einige sind sehr ordentlich hergerichtet. Aber am Samstagnachmittag sind nicht viele Leute zu sehen und auf der Straße ist kaum Verkehr. Die Straße hat man offenbar erst vor kurzem neu gemacht. Prima Asphalt, ordentliche Fußwege auf beiden Seiten und neben den Fahrspuren auf jeder Seite eine Parkspur. Wer da sein Auto hinstellen soll, weiß ich nicht. Die Anlieger parken auf dem Grundstück, die Gaststätten haben eigene Parkplätze, und Leute, die mal durch Dumbria bummeln wollen, gibt es sicher nicht viele. Bisher stehen nur Mülltonnen, Papiercontainer etc. auf der Parkspur.

Gerade ist die Italienerin aus meinem Zimmer in der Gaststätte angekommen, um einen Kaffee zu trinken. Sie hat sich ganz schüchtern an einen anderen Tisch gesetzt. Ich muss inzwischen wohl einigermaßen furchteinflößend aussehen. Morgen will ich mich mal wieder rasieren. Den Schnauzer kriege ich mit Messer und Gabel leider nicht in Form, eine Schere im Rucksack hat Easyjet nicht erlaubt. Wer immer mich am Mittwoch in Ahrensfelde am Bahnhof abholt - ich werde mir wohl vorsichtshalber ein Namensschild umhängen.

Die Herberge in Muxia, in der ich die vorige Nacht verbracht habe, war wieder eine Langschäfer-Herberge. Es ist zum Glück niemand darauf gekommen, die neben meinem Bett befindliche Schiebetür beim Klogang auf und zu zu machen. Die war und blieb offen. Ein Teil der Wand war eh verglast, da kam Licht in den Saal, egal ob die Tür auf oder zu war. Ich bin erst um drei viertel sieben aufgewacht. Ein paar ganz Eilige waren da schon weg, manche schliefen aber auch noch um halb acht, als das Licht angeschaltet wurde. Da bin ich gerade los. Erstmal nur bis zur „Hafenbar“, wo ich mir einen Kaffee geholt habe.

Der Weg ging dann entlang des Hafens und auf einem hölzernen Weg um den Hausstrand von Muxia herum. Dann kam bis zum Nachmittag die übliche Kombination von Auf- und Abstiegen. Nach dem ersten großen Aufstieg wurde ich wenigstens mit einem letztmaligen Blick aufs Meer belohnt. Bei den folgenden gab es als Belohnung immer nur irgendwas Grünes zu sehen. Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile physisch und auch psychisch ziemlich am Ende bin. Man hat kein richtiges Ziel mehr vor Augen, nur noch das pünktliche Ankommen am Flughafen.

Da zwar viele nach ihrem „Camino“ noch von Santiago nach Muxia und/oder Fisterra laufen, aber kaum einer zurück nach Santiago, trifft man den ganzen Tag kaum jemand, der in die gleiche Richtung läuft und mit dem man schwatzen könnte. Es kommen einem zwar in der Mittagszeit einige Pilger entgegen, die z.B. vom Dumbria nach Muxia wollen. Aber mit Entgegenkommenden tauscht man nur Grüße aus, da bleibt man nicht stehen, um sich zu unterhalten. Und Kneipen, wo man das nachholen könnte, gibt es nicht viele. Man trottet also vor sich hin durch eine Landschaft, die außer Grün nichts kennt. Ginge es nur geradeaus, wär das alles auszuhalten, aber wenn man jeden Berg ganz allein meistern muss, ohne angespornt oder angetrieben zu werden, geht das aufs Gemüt (und auf die Schulter). Zum Glück habe ich nicht wie die Mehrzahl der Pilger mit Blasen an den Füßen zu kämpfen.

Ich sitze immer noch in der Kneipe mit dem Supermarkt. Aber jetzt brummt mir der Schädel, weil nicht einsehbar irgendwo in der Kneipe das Kleinkind mittels Laptop und darauf einem ätzenden Kinderprogramm mit lauter kreischenden Stimmen und quietschenden Geräuschen ruhig gestellt wird. Dass hier die Gäste ausbleiben, ist verständlich. Mich sind die zumindest gleich los.

Im angrenzenden Supermarkt war das Angebot überschaubar, aber ich habe eine Pizza (die einzige und davon die letzte), Salat und eingelegte Paprika (was bei uns immer Letscho hieß) gefunden. Schlimm ist nur, dass nirgends ein Preis dran steht. Es sei denn, der ist schon fabrikmäßig draufgedruckt. Aber wenn auf der Packung Nüsse 1 € drauf steht, jedoch kein Barcode dran ist, dann hat zumindest der Opa an der Ladenkasse ein Problem. Er hat die Wirtin gerufen und die hat alles nochmal eingescant. Letztendlich habe ich die Erdnüsse umsonst bekommen, ob absichtlich oder versehentlich weiß ich nicht. Hätte ich das reklamiert, würde ich jetzt noch an der Kasse stehen.

Stattdessen habe ich bereits die Pizza mittels Mikrowelle auf Temperatur gebracht und verschlungen. Ebenso die Zutaten. Eigentlich wollte ich mir ja ein Fertiggericht mitnehmen, aber dann habe ich gesehen, dass das in einer flachen Keramikschüssel ist, die man zuhause gut als Blumentopf-Untersetzer oder als Aschenbecher für den Schwiegersohn nehmen kann, die hier aber nach dem Verzehr nutzlos ist. So weit haben andere offenbar nicht gedacht, denn als ich in der Herberge auf der Suche nach einem Teller die Schubfächer in der Küche inspiziert habe, fand ich drei der sechs Schubfächer voll mit diesen Keramik­schalen. Wenn hier mal Militärübungen sind, können in der Herberge zwei Regimenter Suppe fassen.

Es ist übrigens in der Herberge bei der Fünfer-Belegung geblieben. Dass es hier drei Sitzecken und zwei Balkons gibt, hat jeder seinen Rückzugsbereich. Einer bleibt sogar frei, denn ich sitze noch in der Küche und werde von hier direkt ins Bett wandern, bestenfalls noch auf einem Umweg übers Bad. Hier wird es hoffentlich kein Gedrängel geben, denn drei Männer müssen sich hier zwei Duschen teilen. Bei den Frauen hat jede ihre eigene.

Camino Francés / Finisterre - Tag 38