Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Dumbria nach Santa Mariña

Tag 39 (So, 5.6.2022) – Von Dumbria nach Santa Mariña

Ich habe die letzte Nacht hervorragend geschlafen, die Italienerin hat nicht geschnarcht. Nach dem Abendbrot wollte ich nur mal kurz im Bett Probe liegen. Um halb zwölf bin ich aufgewacht und war putzmunter. Aber um diese Zeit kann man ja nicht loslaufen. Also habe ich halbwegs erfolgreich versucht, noch ein bisschen zu schlafen. Als ich kurz nach fünf noch einmal meinen Harndrang nachgegeben habe, war an ein Wiedereinschlafen nicht zu denken, weil draußen pausenlos ein Hund kläffte. Das war einer von der Sorte, der nur die Klappe hält, wenn ein Dieb über den Zaun steigt. Also habe ich nach und nach meine ganzen Sachen ins Foyer geschleppt und dort, nachdem ich die abendliche Dusche nachgeholt habe, in Ruhe eingepackt.

Um halb sieben bin ich dann los - durch den Notausgang raus, weil die Tür noch verschlossen war. Am Abend war wirklich noch die Dame von der Rezeption gekommen und hat von allen die Personalien aufgenommen, die 8 € kassiert und die Tür abgeschlossen. Hier ist man überall sehr penibel und erfasst alle Daten, die auf dem Ausweis stehen, sogar das MHD. Manche Wirte fotografieren sich den ganzen Ausweis ab. Ein einziges Mal bin ich in einer (privaten) Herberge unerfasst ins Bett gekommen.

Lauftechnisch war das heute eine erträgliche Etappe. Es ging natürlich bergauf und bergab, aber es gab nur wenige steile Aufstiege und der Weg verlief überwiegend auf Asphalt, zeitweise am (breiten) Rand einer ziemlich befahrenen Landstraße, meist aber auf kaum benutzen Straßen zwischen den Dörfern. Manche verteufeln das Laufen auf Asphalt, ich liebe es hingegen.

Vier Kilometer hinter Dumbria kommt man an die Stelle, wo sich der aus Santiago kommende Weg gabelt. Links ca. 29 km nach Fisterra, rechts ca. 24 km nach Muxia. Von dort komme ich. Ab hier laufe ich also etwa 60 km den Weg nach Santiago zurück, den ich vor ein paar Tagen gekommen bin. Verteilt auf drei Etappen ist das auch dann zu schaffen, wenn man etwas ausgelaugt ist.

Direkt an der Weggabelung ist ein vermeintliches Kraftwerk, das ich auf dem Hinweg im strömenden Regen nur schemenhaft wahrgenommen habe. Was da verbrannt wird weiß ich nicht, aber offenbar kommt Strom dabei raus, weil ein paar Leitungen wegführen. Was da sonst noch so rauskommt, kann man bei den dicken Wolken nur ahnen.

Für 9 Uhr war Regen angesagt und ich fühlte mich auch regelrecht von Regenwolken verfolgt, weshalb ich die erste Bar, wo ich vor ein paar Tagen am 10er-Tisch Abendbrot gegessen hatte, ausgelassen habe. In der zweiten, in O Logroso habe ich mir dann einen Kaffee und ein Sandwich kommen lassen: Schinken und Ei. Damit das ein bisschen nett aussieht, hat die Wirtin in die obere Toastbrotscheibe ein großes Loch gestanzt, durch welches das Gelbe vom Ei schaute. Das sah so lecker aus, wie es schmeckte.

Bei der Deklaration der Speisen gibt es offenbar keine klaren Regeln. Das hängt scheinbar davon ab, ob englische oder spanische Bezeichnungen herangezogen werden. Mal ist Bocadillo sowas wie ein Stück (heiße) Pizza, ein Sandwich das was wir kennen, und ein Toast das was aus zwei Toastscheiben besteht. In der nächsten Bar bekommt man als Bocadillo das, was bei uns ein Sandwich ist (aufgeschnittenes Baguette mit Käse und/oder Wurst), und als Sandwich die Toastbrotscheiben mit was dazwischen.

Ich bin offenbar nach wie vor der einzige, der vom Meer auch wieder zurück nach Santiago läuft. Zumindest habe ich keinen anderen kennengelernt. Entgegengekommen sind mir viele, mit und ohne Gepäck. Aber längst nicht so viele wie auf dem Hinweg nach Santiago. Man kann also nur bei Stopps in Bars oder in den Herbergen jemand kennen lernen.

Vor einer Bar, in der ich ein Getränk zu mir nehmen wollte, saß ein junger Langhaariger, zu dem ich mich gesellt habe. Es war Christian aus São Paulo, der jetzt in Portugal lebt, aber eigentlich nur unterwegs ist. Er hat erzählt, dass er in der 12-Millionen-Stadt São Paulo (mit Vororten 22 Millionen) mit dem Auto zwei Stunden zur Arbeit gebraucht hat, mit öffentlichen Verkehrsmitteln hingegen viermal umsteigen musste. (In ganz Portugal leben übrigens nur 10 Millionen Einwohner.) Er war schon mal in Berlin und findet es dort schön. Das muss ihm doch aber wie ein Dorf vorgekommen sein.

Er ist ganz im Süden von Portugal gestartet und immer entlang der Küste bis nach Santiago gelaufen. Da das kein offizieller Pilgerweg ist, gibt es dort keine Herbergen. Deshalb hat er fast immer mit einem Minizelt, das an seinem Rucksack baumelt, auf Campingplätzen gezeltet. Er ist am 11. April bei Faro gestartet und nach jeweils 8 Tagen Pause in Lissabon und Porto vor ein paar Tagen in Santiago angekommen. Jetzt will er nach Fisterra und wenn er zurück in Santiago ist, wird er zusammen mit Freunden den ganzen Camino Francés, den ich absolviert habe, rückwärts nach Saint Jean in den Pyrenäen laufen! Danach möchte er in Frankreich oder Deutschland „etwas“ wandern, muss sich aber auch irgendwo noch etwas Geld verdienen. Ein sehr sympathischer Weltenbummler.

Bei den vorhin geschickten Bildern waren drei von sogenannten Pilgerinfos dabei. Hier hat man im Abstand von zehn Kilometern pompöse Glaskästen gebaut, die nicht mehr als Toiletten, einen Infostand und ein paar Bilder an der Wand beinhalten. Dass man für solche Stände auch Personal und ein Konzept braucht, hat aber wohl keiner bedacht. Die Toiletten würden von Pilgern gern angenommen werden, aber wenn der Glaskasten zu ist, kommt man auch nicht aufs Klo … Das, was die Pilger interessiert, kann man auch auf eine Tafel schreiben, zum Beispiel, wie weit es zu den nächsten Herbergen ist. Da braucht man keinen Info-Tresen und erst recht keinen mit einem Glaskasten drum. Das Prospekte-Sammeln habe sogar ich mir hier abgewöhnt, Man muss ja alles durch die Gegend schleppen. Zum abendlichen Dia-Vortrag im Saal wird auch keiner kommen, wenn die Herberge im Nachbarort ist. Hier hat man also völlig konzeptlos viel Geld verbrannt. Auch die über-dimensionierten Herbergen, in denen ich die letzten zwei Nächte war, müssten so nicht sein. Ein paar mehr sehr einfache wären hilfreicher.

Ich habe nach ca. 24 km genau in der Herberge Quartier gefunden, die ich angepeilt hatte. In Santa Mariña - dieses Mal an der viel befahrenen Straße, auf dem Weg hierher war ich etwas abseits in der Casa Pepa, wo der Wirt entweder geschlafen oder beim Bedienen fast seine Hosen verloren hat. Es war schon wieder ziemlich spät und ich sah schon meine Chancen auf ein freies Bett gen Null gehend, als gegenüber sieben Mann um die Ecke bogen und wenige Sekunden vor mir in die zur Herberge gehörigen Gaststätte stürmten - fünf junge Polen (?) und ein deutsches Ehepaar. Ich habe aber noch ein Bett bekommen und es ist immer noch viel frei.

Mit den beiden Deutschen hatte ich noch einen sehr lustigen Abend. Ich habe natürlich meine Nacht im Freien nicht unerwähnt gelassen und sie zeigten sich sehr erstaunt, wie oft sowas passiert, denn vor drei Wochen hat ihnen schon mal ein Benedikt aus Berlin davon erzählt. Da dämmerte es allmählich in allen drei Köpfen und das Gelächter war groß, als sich zeigte, dass wir uns schon mal gegenseitig vorgestellt und unsere Erlebnisse ausgetauscht haben. Elna und Wolfgang aus Bensheim tauchen bei mir am Tag 7 auf und ich fand bereits in Elnas Reiseerinnerungen Erwähnung. Auch Norbert aus Belgien findet bei mir und bei ihr Erwähnung. Wir haben viel darüber gelacht und festgestellt, dass bei den vielen Erlebnissen, die man hier hat, so vieles verloren wäre, wenn man kein Tagebuch führen würde. Die Geschichten bleiben zwar oft hängen, aber keine Namen, Orte oder Daten. Darum will ich noch drei Tage durchhalten und tägliche Berichte liefern. Die dienen ja nicht nur der Erheiterung, sondern mir selbst der Erinnerung.

Wir haben zusammen das ganz ordentliche Tagesmenü (Kohlsuppe, Fleisch mit Reis und Salat, Eis und Wein) gegessen und noch eine Weile gequatscht. Jetzt sind die Beiden ins Bett und ich werde ihnen gleich folgen.

Camino Francés / Finisterre - Tag 39