Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela |
Tag 12 (Fr, 8.3.2024) Mérida - Alcuéscar / 34,8 km
Die letzte Nacht war ganz gut. Dank der beiden Heizgeräte war die Temperatur im Schlafsaal akzeptabel, obwohl der Strahler nur in der 400 Watt-Stufe lief und der Öl-Radiator bestenfalls das Doppel hatte. Um 5.30 Uhr waren die ersten Frühaufsteher zu hören. Als ich um 6.30 Uhr aufgestanden bin, standen schon die ersten abreisebereit an der Tür. Ich habe mir noch einen Kaffee gekocht und in aller Ruhe Stullen geschmiert. Um 7.30 Uhr bin ich aufge-brochen. Der Weg führte nördlich aus der Stadt heraus, vorbei am zweiten Aquädukt. Das ist zwar nur noch in Teilen erhalten, aber noch eindrucksvoller als das gestern gesehene. Auf fast jeder übrig gebliebenen Säule nisten jetzt Störche. Aus der Stadt hinaus verlief der Weg entlang der Landstraße, erst etwas unschön am nicht gegebenen Straßenrand, später auf einem Fuß-/Radweg entlang der Straße. So ging es bis zum Stausee „Embalse de Proserpina“, der insofern beeindruckend ist, als er damals von den Römern angelegt wurde und jetzt noch funktioniert. Die Staumauer hat also schon 2000 Jahre durchgehalten. Der Stausee wurde gebaut, um Mérida mit Wasser zu versorgen. Davon wurde viel gebraucht. Ich erinnere daran, dass die alten Römer offenbar den ganzen Tag gebadet haben.
Hinter dem Stausee, der einige Badestrände, aber leider zu dieser Jahreszeit nur geschlossene Gaststätten aufweist, geht es auf einer asphaltierten Forststraße weiter halbwegs geradeaus. Die Straße macht dann einen Knick nach rechts und der Jakobsweg, der auch hier ganz gut ausgeschildert ist, biegt links ab. Ab da geht es auf einem sandigen, teilweise unterspülten Weg durch eine Dehesa mit lockerem Bestand an Korkeichen und leider bis auf zwei Kühe ohne Weidetiere.
Heute war ich unsicher, wie weit ich laufen werde. Der Wanderführer gibt für heute und morgen Etappen von 17 bzw. 19 km an, die erste bis Aljuncén, die zweite bis Alcuescar. Auf der Gronze-Webseite sind beide zu einer 36 km-Etappe zusammengefasst. Ich habe beschlossen, in Aljuncén zu entscheiden, ob ich weiterlaufe, wenn ich bis zum Mittag da bin und der Fuß und das Wetter mitspielen. Ich war zwar erst um viertel eins im Ort, aber ganz so streng muss man das ja nicht nehmen. Ich bin zunächst in die offen stehende Sankt-Andreas-Kirche, die wahrscheinlich nur deswegen nicht zugesperrt war, weil drinnen ein Herr den Prozessionswagen für die Osterwoche vorbereitete. Der hat mir auch gleich einen Stempel für den Pilgerpass angeboten, den ich gern angenommen habe. Außerdem hat er mich darauf hingewiesen, dass die Infotafeln englische Beschreibungen enthalten. Ich habe mir zwar nicht alle durchgelesen, aber es war schon schön, so einen kurzen Überblick über die Geschichte der Kirche zu bekommen.
Im Ort waren an einer Mauer neben Muscheln und einem Santiagokreuz auch Fliesen mit den Bildern von Sankt Jakobus (Santiago) und Sankt Andreas. Unter Jakobus stand geschrieben, dass es noch 740 km bis Santiago sind. Das wundert mich, ich hätte gedacht, das wär noch mehr. Mérida befindet sich ja auf gleicher Höhe wie Lissabon. Von hier ist also in Richtung Norden genauso viel Wegstrecke zurückzulegen wie im vergangenen Herbst auf dem Camino Portugues. Hinzukommt aber das nach Westen zeigende Stück von mindestens 150 km.
Von den Deutschen, die mit mir in der Herberge von Mérida waren, ist einer heute abgereist: Philipp aus Köln. Der ist aber auch schon seit Anfang Februar unterwegs. Er ist auf dem Camino Francés gepilgert und dann, da er dann noch Zeit hatte, nach Sevilla gefahren und das Stück bis Mérida gelaufen. Der wird heute mit dem Zug nach Madrid fahren und dort ein Flugzeug nach Hause nehmen. Katharina aus Augsburg ist noch vor mir los gelaufen, wie weit sie wollte und wie weit sie wirklich gekommen ist, weiß ich nicht. Vor Aljucén habe ich auf dem sandigen Weg noch Fußabdrücke gesehen, die vermutlich von ihr stammen. Später auf der Straße war das natürlich nichts mehr zu erkennen. Michael aus Frankfurt ist mit mir aufgebrochen, hat aber gleich einen Schritt zugelegt. Der kam in Aljucén plötzlich in die Bar, in der ich mir ein Bocadillo hab‘ machen lassen. Er hat mir als Ausrede dafür, dass er nicht weiter laufen kann, eine große, dunkelrote Blase am Hacken gezeigt, die angeblich nicht wehtut, aber behandelt werden will. Der letzte im Bunde, Bernd aus Nürnberg, ist gerade erst aufgestanden, als wir uns auf den Weg gemacht haben. Wegen ihm hat sich heute früh keiner getraut, das Licht anzumachen. Dabei hat er uns die ganze Nacht mit seinem Stakkato-Schnarchen gestört. Den muss ich nicht unbedingt noch mal zwei Betten neben mir haben.
Als ich um viertel eins in Aljucén in die einzige geöffnete Bar kam, saß da schon einer der Spanier aus der letzten Herberge. Einer von denen, die noch vor sieben im Dunkeln losgezogen sind. Auch der Ire ist nicht weiter gekommen. Mir wäre die Zeit zu schade, einen ganzen Nachmittag in einem kleinen Kaff herumzuhängen, während das nächste Etappenziel noch gut zu erreichen wäre. Mit anderen Worten: ich habe mich entschieden, die nächste Etappe, sprich etwa 19 km, noch dranzuhängen und hoffe, dass sich das Wetter hält. Inzwischen sind doch einige Wolken, wenn auch größtenteils freundlich aussehende Schäfchenwolken, aufgezogen. Aber das kann sich ganz plötzlich ändern. Aus zwei weißen Wolken wird hier ganz schnell eine graue.
Eine Stunde hinter Aljucén habe ich gemerkt, dass plötzlich an der Landstraße gar keine gelben Markierungen mehr sind. Ein Blick auf die Karte hat mir gezeigt, dass ich hinter der Brücke über den Rio Aljucén hätte rechts abbiegen müssen. Der Camino verläuft ab da ein Stück entlang des Flusses und dann einige hundert Meter östlich der Landstraße (N-630). Straße und Weg treffen sich wieder kurz vor Alcuescar, meinem neuen Tagesziel. Da es sich auf der sehr breiten Asphaltstraße mit Randstreifen auf beiden Seiten hervorragend lief und kaum Fahrzeuge unterwegs waren, habe ich mich entschieden, weiter am Straßenrand zu laufen. Für den Fall dass es regnet, wonach es lange aussah, ist die Landstraße eh besser als ein aufgeweichter Feldweg in einer Dehesa.
Schade ist nur, dass mir so das uralte Kirchlein am Wegesrand mitten in der Einöde entgangen ist, von dem Chris, der Amerikaner, so geschwärmt hat. Dafür hatte ich hier zwischen den Korkeichen eine rechtwinklig von der Straße wegführende Brücke, die man beim ersten Hinsehen für eine alte Römerbrücke hätte halten können. Wäre es wirklich eine gewesen, hätte man sie vermutlich nicht sperren müssen - aber diese hier, die über die tief eingeschnittene Autobahn führt, war sogar für Fußgänger gesperrt.
In den drei Stunden, in denen ich auf der parallel zur Autobahn verlaufenden Straße unterwegs war, sind mir 12 Autos entgegengekommen: 9 PKW, 1 Van, 1 Transporter und 1 Bus. Das macht ein Auto pro Viertelstunde auf einer Landstraße, die das bei uns Übliche in den Schatten stellt. (Die zwei ganz zum Schluss noch entgegenkommenden Autos habe ich mal unterschlagen, weil sich das sonst nicht mehr so leicht rechnen lässt.)
Es war schon weit nach vier, als ich am „Cruce de Las Herrerias“ von der N-630 runter bin. In einer Fernfahrerkneipe habe ich mir was zu trinken geholt und das fast leere Smartphone etwas aufgeladen. Die Powerbank war nämlich inzwischen auch leer. Dann waren es noch etwa vier Kilometer bis zur Herberge am Ortseingang von Alcuescar. Es ist ein „Casa de Misericordia“ (Haus der Barmherzigkeit) genanntes Kloster eines 1990 gestorbenen Ordensgründers. Um Punkt sechs stand ich da vor der Tür. Zum Glück kam gerade Christoph aus Tübingen vom Einkaufen zurück. Der kann etwas Spanisch und konnte mir das Problem des Hospitaleros, eines Freiwilligen aus dem Ort, erklären. Der hatte nämlich in der Küche für sechs Pilger Essen in Auftrag gegeben und ich kam nun noch dazu. Aber er meinte, wenn alle etwas weniger essen, wird es auch für mich reichen. Das hat Christoph dann auch so im Schlafsaal kommuniziert und keiner hat Einspruch erhoben. Ich habe nur schnell meine Sachen abgestellt und bin noch mal runter in einen Lebensmittel-Laden. Da laufe ich doch vor der Tür Oscar und Claudia, den beiden Italienern, in die Arme. Die wollten auch hier übernachten, weil es inzwischen heftig regnete. Nun hatte der Hospitalero wieder ein Essensproblem. Aber als es um halb acht nach einer geführten Besichtigung der Hauskapelle zum Essen ging, hat die Küchendame so viel herausgegeben, dass es locker für alle gereicht hat. Es gab Gemüsesuppe, grünen Spargel mit Rührei und eine dicke Scheibe gepresstes Fleisch (was wir als Frühstücksfleisch kennen) mit Zwiebelkonfitüre oben drauf. Das war sehr lecker und wie die Übernachtung selbst auf Spendenbasis.
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Via de la Plata - Tag 12 |