Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 26 (Fr, 22.3.2024) Montamarta - Granja de Moreruela / 22,4 km
Da heute vermutlich für alle nur eine 22 km-Etappe auf dem Programm stand, hatte es morgens niemand sonderlich eilig. Wobei das nicht heißt, dass alle den Wecker ausge­schaltet haben.
Um sieben kam Bewegung in den Saal. Weil ich mal bis aufs letzte Hemd alles gewaschen hatte, brauchte ich einige Zeit, meinen ganzen Kram zu verstauen. Aber da es in der Küche nur drei Tassen gab, war es eh nicht sinnvoll, dass sich alle gleichzeitig zum Frühstück niederlassen. Für die verlangten 5 € war diese Herberge überaus komfortabel ausgestattet, abgesehen vom fehlenden WLAN, was aber durch ein hervorragendes Funknetz kompen­siert wurde. Das Haus war geheizt, die Anlage hat nur leider nachts ganz herunter geregelt, weshalb man nicht ohne eine Decke ausgekommen ist. In der Küche gab es ein Ceranfeld, Mikrowelle, Wasserkocher und Geschirr, im Aufenthaltsraum standen zwei Tische und zusätzlich eine Sitzgarnitur, wo man sich wie der Holländer mit einem Buch hinsetzen und die Augen schließen konnte. Das ist übrigens jener, dem ich in Zamora den verlorenen Sommerhut feierlich überreichen konnte.
Nach acht sind wir schließlich alle nacheinander los. Wer den ausgeschilderten Weg durchs Dorf genommen hat, stand plötzlich am Rand eines Stausee-Ausläufers und musste auf die Straße ausweichen. Ich hatte gelesen, dass der markierte Weg nur bei Trockenheit benutzbar ist und bin vorsorglich gleich auf der Straße geblieben. Nach Überquerung dieses Wassers auf einem Damm mit Brücke zweigte der Weg links ab und ging dicht an einer alten Kirche vorbei, die auf einem kleinen Felsen über dem Stausee thront. Ein schönes Fotomotiv.
Weiter ging es auf Feldwegen zwischen der Landstraße (N-630) und dem aufgestauten Rio Esla. Auf der Karte erschien dann links eine Ausgrabungsstätte und eine Burgruine. Beim Heranzoomen wurde ein halbwegs rundes Vieleck gezeigt, dass man für die Reste einer Umfassungsmauer halten konnte. Beim Näherkommen war ich von dem überrascht, was sich da bot. Das Vieleck bestand nicht wie erwartet aus ein paar aus der Erde schauenden Steinen, sondern aus mehr oder weniger gut erhaltenen Resten einer Stadtmauer. Außerdem war die Größe der eingeschlossenen Fläche beeindruckend. Am gegenüber liegenden Ende der Anlage waren auf einem Felsen am Rande des jetzigen Stausees die Reste einer Burg erkennbar, die ich mir als Tagestourist sicher angeschaut hätte. Es handelte sich bei dem ganzen Areal um die Reste des aus dem 12. Jahrhunderts stammenden Ortes Castrotorafe, der viele Jahre dem Orden der Santiagoritter gehörte, aber aus unbekannten Gründen im 17. Jahrhundert verlassen wurde und verfiel. Schloss und Kirche des Ortes sind später von den Truppen jenes Napoleon geplündert worden, zu dem die Franzosen in den Pariser Invaliden­dom pilgern.
Als ich kurz vor dem Ziel von drei Pilgern überholt worden bin, habe ich nämlich die beiden angerufen und gebeten, mir in der Herberge ein Bett im Unterdeck zu reservieren. Ich dachte, die wären längst da und habe stattdessen erfahren, dass sie gerade einen Berg hoch keuchen, den ich schon lange hinter mir hatte. Nun habe ich das umgedreht gemacht. Ich bin in Granja de Moreruela, unserem Zielort, direkt in die Herberge und erst dann in die Bar, in der man einchecken muss. Damit habe ich die drei Vordrängler überholt und in Mallorca-Manier im Schlafsaal drei Unterdeck-Betten mit allem möglichen Kram aus dem Rucksack belegt und damit vor fremdem Zugriff bewahren können. Erst dann bin ich in die Bar, um meine 6 € zu bezahlen, die Einmalbettwäsche zu empfangen und mir einen Stempel in den Pilgerpass drücken zu lassen.
Als ich endlich mein wohlverdientes Caña (Cerveza aus dem Hahn) in den Händen hielt, kamen die beiden angeschnauft und waren froh, dass sie nicht um eines der begehrten Betten im Unterdeck kämpfen müssen. Nachdem ich mein Bett hergerichtet und meine Sachen verstaut hatte, bin ich zurück in die Bar, in der ich eingecheckt hatte. Da habe ich mir eine Linsensuppe kommen lassen, die ich bei jemandem auf dem Tisch gesehen habe. Lecker. Die habe ich schon bei früheren Caminos gern gegessen. Als ich voriges Jahr zur Semana Santa (Woche vor Ostern) in Santiago war und mir die dritte oder vierte Prozession des Tages von einer Gaststätte aus angesehen habe, gab es diese würzige Linsensuppe in kleinen Schälchen als Zugabe zum Bier. Da hatte ich das Glück, dass eine vierköpfige Familie diese Schälchen verschmäht und mir rübergeschoben hat. Da ich heute nicht auf solche Gönner gestoßen bin, habe ich mir einfach noch einen zweiten Teller kommen lassen. Auch der hat geschmeckt!
Das Projekt Abendbrot hatte sich damit erledigt. Ich habe mir deshalb nur im Kaufmanns­laden Brot und Aufstrich für morgen früh geholt und heute Abend lediglich davon gekostet, falls es was zu reklamieren gibt. Viel mehr ist hier in der Herberge bezüglich Dinieren nicht drin. Es gibt einen Kühlschrank und eine Mikrowelle. Sonst nichts - kein Geschirr, kein Besteck usw. Man merkt, dass die Herberge zu einer Bar gehört. Die wollen nicht, dass man sich selbst bekocht, statt Essen zu gehen. Der Morgenkaffee muss also ausfallen. Aber vielleicht hat morgen früh schon eine der Bars geöffnet.
Apropos Bar: Als ich da vorhin über meiner Linsensuppe saß, sackt doch ein älterer Herr am Tresen langsam zusammen. Vermutlich bedingt durch die schwül-warme Witterung und nicht infolge geistreicher Getränke. Drei Männer haben ihn aufgefangen und auf einen Stuhl gesetzt. Als er da umzufallen drohte, haben sie ihn mit den Beinen hoch auf die Erde gelegt. Als es ihm besser zu gehen schien, kam er wieder auf den Stuhl, wo er erneut zusammen­sackte. Da hat die Wirtin den Rettungsdienst gerufen, der auch schnell kam, ihn untersucht und mitgenommen hat. Man bekommt schon einen Schreck, wenn man das miterlebt.
Die heutige Herberge ist ziemlich voll geworden. Es sind höchstens zwei oder drei (obere) Betten frei geblieben. Es gibt einige neue Gesichter: ein Pole, eine Norwegerin, ein Italiener­paar und Carsten aus Pankow, der mit seiner Gitarre auf dem Rücken sowie Zelt und Rucksack auf einem Wagen durch die Gegend zieht. Das wohl schon seit einiger Zeit, denn auf einen aktuellen Wohnort wollte er sich nicht festlegen. Sein Abendessen hat er sich vorhin vor der Herberge mit dem Campingkocher auf dem Bürgersteig gekocht.
Ich bin gespannt, ob sich morgen die Truppe halbiert, denn hier im Ort trennen sich die beiden Wege nach Santiago. Die Via de la Plata führt weiter in Richtung Norden über Astorga nach Gijon an der Biskaya. Wer diesen Weg nimmt, läuft bis Astorga und wechselt dann auf den Camino Francés, der aber Anfang April bestimmt schon ziemlich voll ist und den ich ja auch schon kenne. Ich werde, wie es auch mein Wanderführer empfiehlt, hier abbiegen und auf dem Camino Sanabrés über Ourense laufen. Das ist allerdings keine große Abkürzung und Berge bleiben einem da auch nicht erspart. Auch hier gibt es Etappen, bei denen es bis 1300 Meter hoch geht. Aber wie sagt Angie: „Wir schaffen das“.

Via de la Plata - Tag 26