Tag 0 (Mi, 11.10.2023) Lissabon / 2,8 km
Liebe Freunde und Verwandte. Ich melde mich aus dem FEX nach Schönefeld. Das heißt, es geht mal wieder auf Reisen, und zwar wie leicht zu erraten ist, auf den Jakobsweg. Ryanair wird mich hoffentlich sicher und pünktlich nach Lissabon bringen, wo ich mich morgen auf den Camino Portugues durch das Landesinnere von Portugal nach Santiago begeben will. Obwohl ja schon etwas Jakobsweg-Erfahrung vorliegt, wird doch wieder vieles neu und manches sogar spannend sein. Ich will in gewohnter Weise auch dieses Mal mindestens einmal täglich einen Bericht und ein paar Bilder in die Runde schicken.
11.00 Uhr. Mein Flieger nach Mailand hebt ziemlich pünktlich ab. Dort habe ich zwei Stunden Aufenthalt, danach geht es weiter nach Lissabon. Ankunft soll um fünf sein. Dann muss ich mich beeilen, denn mein gebuchtes Hostel lässt nur bis um sieben Gäste rein, wie mir heute zum Glück nochmal per Email mitgeteilt wurde, denn bei der Buchung hatte ich das überlesen. Da ist also nichts mit gemütlicher Straßenbahnfahrt zu meinem Quartier in der Largo de Graça. Ich werde wohl von der Metro aus zügig den Berg hochlaufen müssen.
Mein Bruder Theo hat mich übrigens heute früh angerufen und erzählt, dass sein Enkel Anton auch heute Vormittag vom BER fliegt, um 10.45 Uhr über Frankfurt nach Vancouver, wo er in sein zweites Auslandsjahr startet. Das Gate für den Flieger nach Frankfurt habe ich schnell gefunden und tatsächlich dort Anton getroffen. Es ist schon Jahre her, dass wir uns gesehen haben und so war die Freude über das unerwartete Wiedersehen auf beiden Seiten groß. Wir haben noch einen Moment geschwatzt, bis sein Flug aufgerufen wurde. Ich musste dann, um zu meinem Billigflieger (Ryanair) zu kommen, noch ein ganzes Stück, fast bis zum Ende des Terminals 2, laufen. Zeitgleich mit mir kam das Flugzeug an. Das Aussteigen der Angekommenen ging schnell, ebenso unsere Abfertigung. Gestockt hat es denn im Flieger, da trotz Aufpreis viele ein großes Handgepäck dabei hatten und es Probleme gab, das Gepäck hinter den Klappen zu verstauen. Denn dort hatten einige ihre kleinen Taschen deponiert, die eigentlich unter den Vordersitz sollen. Die Stewardessen haben da leider nicht regulierend eingegriffen.
Wenn man aus dem Flieger schaut, sieht man nur wenige Wölkchen, aber es ist recht diesig oder die Fenster sind dreckig. Aber der Flieger (Boeing 737) macht innen und außen eigentlich einen sehr ordentlichen Eindruck. Die Rückenlehnen sind zwar dünn und ungepolstert, aber damit ergibt sich mehr Platz in den Reihen. Ich bilde mir ein, hier mehr Beinfreiheit zu haben, als in den Airbussen von EasyJet. Ich habe mir beim Check-In Sitzplätze zuweisen lassen, statt gegen Bezahlung welche auszusuchen. Ich hätte es nicht besser treffen können. In beiden Flügen habe ich ziemlich weit vorn einen Sitz am Gang.
Das Wetter ist bei dieser Reise mit vielen Fragezeichen versehen. Vor wenigen Tagen gab es für mehrere Orte an der Route eine Hitzewarnung und auch heute sind z. B. für Lissabon 28 Grad angesagt. Aber die Temperaturen sollen in den nächsten Tagen ziemlich runtergehen, in einer Woche sind es nur noch 21 Grad - ideal zum Wandern. Da meine Tour bis in den November hinein reicht, befürchte ich aber, dass ich spätestens in Galizien noch kalte Nächte erleben werde. Christopher (der Präsident der Jakobus-Gesellschaft Brandenburg-Oderregion e. V., mit dem ich gerade unterwegs war) hat mich zwar damit zu beruhigen versucht, dass in den Gemeinschaftsunterkünften nicht gelüftet wird und es dadurch warm ist, aber ich vertraue dem nicht, denn in einer im November eventuell leeren, ungeheizten Unterkunft fällt dieser Effekt weg. Ich habe deshalb nach reiflicher Überlegung meinen neuen, etwas wärmeren
10-Grad-Schlafsack mitgenommen, obwohl der größer und 200 Gramm schwerer ist, als der sonst benutzte 15-Grad-Schlafsack. Der Rucksack wiegt trotzdem nur 6,2 kg und lässt sich so stauchen, dass er problemlos bei der (heute ausgefallenen) Handgepäck-Größenkontrolle (55x40x20) durchgegangen wäre. Was soll man schon groß mitnehmen, wenn man nur vier Wochen unterwegs ist? Ich habe aber alles so reichlich mit, dass ich höchstens einmal wöchentlich Wäsche waschen und nicht nackig im Waschsalon warten muss.
Wir fliegen gerade über die Alpen, wo nur wenige Gipfel schneebedeckt sind und nicht viel von Gletschern zu sehen ist. Soeben wird durchgesagt, dass wir bald in Mailand-Bergamo landen werden und die stramme Stewardess mit der viel zu engen Bluse läuft durch die Reihen um zu schauen, ob alle brav angeschnallt sind. Jetzt kommt zur Nachkontrolle noch eine zweite Stewardess mit ähnlich enger Bluse durch. Hier bekommt man wirklich was geboten! Die Dame neben mir fährt noch rasch mit dem Lippenstift durchs Gesicht und macht sich die Wimpern schwarz. Ich überlege schon, ob ich mich noch schnell rasiere.
Gelandet - und keiner klatscht.
14.00 Uhr. Ich sitze auf dem Flughafen BGY in der Goldenen Schwalbe (McDonald) an einer Steckdose und lade mein Smartphone auf. Theoretisch gibt es hier auch WLAN, aber das ist so schnarchig, dass ich mir zum Senden noch einen anderen Platz suchen muss.
Ich bin ziemlich müde und würde mich am liebsten lang hinlegen. Aber das kommt vielleicht nicht gut an und außerdem befürchte ich, dass ich den Anschlussflug verpasse. Vielleicht kann ich im Flieger schlafen. Der ist drei Stunden unterwegs, das würde sich lohnen. Aber ich will auch nicht verpassen, ob und wo die Uhr auf portugiesische (Greenwich-) Zeit umspringt. In Portugal geht doch die Uhr eine Stunde nach. Ich könnte mir ja einen Wecker stellen, aber nach welcher Zeitzone? Wenn ich mir den auf 17 Uhr und „täglich wecken“ stelle - wird er dann heute zweimal klingeln? Wenn es bei uns 17 Uhr ist und dann nochmal, wenn es in Portugal 17 Uhr ist? Interessante Fragen, da werde ich wohl nicht zum Schlafen kommen.
Bis jetzt ist mein Flieger nach Lissabon noch als pünktlich ausgewiesen. Ich hoffe, dass es dabei bleibt.
14.45 Uhr. Wir sitzen schon alle im Flieger, in einer Viertelstunde soll es losgehen. Noch verhandeln getrennt sitzende Ehepaare, denen der Trennungsschmerz ins Gesicht geschrie­ben ist, mit anderen Fluggästen, um zusammen sitzen zu können. Andere blockieren den Gang, weil sie noch aushandeln, wo man sich nach der Landung trifft. Und dann gibt es ja noch jene, die Reihe 5 zwischen der 22 und der 24 vermuten. Einer mit Turban weiß gar nichts mit der Sitzplatzangabe auf der Bordkarte anzufangen, andere finden wenigstens die Reihe und scheitern dann erst bei der Zuordnung der Buchstaben zu den Sitzen.
So, die Tauschgeschäfte im Flieger nähern sich dem Ende. Nun könnte der Steward mal probieren, ob die Tür zugeht.
15.15 Uhr. Die Pünktlichkeit schwindet dahin. Kaum waren die Türen zu und erklärt, dass man ggf. die Schwimmwesten erst außerhalb des Flugzeuges aufblasen soll, starteten endlose Bandansagen, abwechselnd von einem Mann und einer Frau gesprochen. Entweder ist das ein Auswuchs des Genderwahns, dass jedes Geschlecht seine eigene Ansprache bekommt, oder es handelt sich schlicht um ein Hörspiel. Lissabon, wo es hingehen soll, war ja mal Kulturhauptstadt. Ich würde mich jetzt nicht wundern, wenn die Crew plötzlich in Kostümen erscheint.
17.30 Uhr. (Noch ist die Zeit nicht umgestellt.) Der Flieger setzt zur Landung an. Von meinen Platz am Gang sehe ich nicht viel. Nur ziemlich flaches Land, während es vorhin mal über ein Gebirge ging. Ich weiß aber nicht, welches das war. Jetzt geht es über ein großes Wasser, über das sich eine lange Brücke spannt. Das ist eine riesige Ausbuchtung des Tejo (span. Tajo, engl. Tago River).
17.43 Uhr (Berlin) / 16.43 Uhr (Lissabon). Wir sind gerade gelandet. Die Uhr ist umge­sprungen, als ich den Flugmodus ausgeschaltet habe. Wer an meinen wissenschaft­lichen Untersuchungen interessiert ist: der auf 17 Uhr „immer mittwochs“ gestellte Wecker hat zweimal geklingelt, eine Dreiviertel Stunde vor und eine Viertelstunde nach der Landung. Also um 17 Uhr unserer Zeit und dann nochmal um 17 Uhr portugiesischer Zeit. Mit dieser Erkenntnis hat die Menschheit wieder einen intellektuellen Zugewinn.
Ausstieg und Bustransport gingen halbwegs zügig. Punkt 17 Uhr war ich am Ticket-Verkauf für die Metro. Da gab es eine lange Schlange, aber es ging schnell, weil da mindestens ein Dutzend Automaten stand und zwei Bedienstete beim Finden des nächsten freien Automaten und ggf. bei dessen Bedienung halfen. Mit dem englischen Menü ging der Fahrkartenverkauf aber sehr einfach: 50 Cent für eine aufladbare Karte und 1,65 € für eine Metro-Fahrt. Wenn ich es richtig verstanden habe, mit Umsteigemöglichkeit in den Bus, was mir aber nichts nutzt. 17.15 Uhr saß ich schon in der Metro der roten Linie, die mich bis Alameda gebracht hat, wo ich mit einem langen Marsch durch die Unterwelt in die grüne Linie umgestiegen bin, mit der ich jetzt bis Martim Moniz fahre.
19.30 Uhr. Ich war Dreiviertel sechs am Zielbahnhof und mit flottem Schritt im Zickzack über endlose Treppen 20 Minuten später oben auf dem Berg, wo es eine grandiose Aussicht auf die Stadt gibt. Noch zweimal um die Ecke stand ich vor meinem Hostel in der Largo da Graça, aber beim Klingeln im 2. Stock tat sich nichts. Da habe ich die bei Booking.com angegebene Nummer angerufen und nur jemand erreicht, der so gut wie kein Englisch kann. Nach viel beiderseitigen Nichtverstehens stellte sich heraus, dass das Hostel geschlossen ist und ich woanders einquartiert werde. Damit der Herr mir die Adresse per SMS oder WhatsApp schicken kann, habe ich unendliche Male meine Telefonnummer (die in der Buchung steht) durchgegeben. Gekommen ist bis jetzt nichts. Daraufhin habe ich in meiner Mailbox geblättert und gesehen, dass ich nachts um drei eine Nachricht von Booking.com bekommen habe. Die hatte ich ignoriert, weil sie wie eine gestrige Email damit anfing, dass Check-In bis 19 Uhr ist. Dann habe ich aber gesehen, dass danach noch stand, dass das Autostela’s Hostel aus technischen Gründen nicht nutzbar ist und ich im Bagetti Guest House in der Av. Almirante Reis 108 einchecken soll. Da ich nicht wusste, ob auch hier Check-In nur bis 19 Uhr ist, habe ich mich gleich auf die Socken gemacht und war zehn vor sieben hier. Das Zimmer ist bestimmt nicht schlechter als des gebuchte und ich musste bis auf die angekündigten 2 € Tourismusabgabe nichts nachzahlen. Insofern ist alles ok. Aber das neue Hostel ist ein ganzes Stück weiter weg vom Zentrum, weshalb ich hier nicht gebucht hatte.
Hätte ich die Nachricht eher gelesen, hätte ich drei Stationen früher aussteigen und mir das Erklimmen des Berges sparen können. Das ist zu 50% eigene Blödheit, den Rest der Schuld schiebe ich Booking.com zu, weil die in der Buchung, die ich wegen der Adresse mehrfach aufgerufen habe, nicht richtig deutlich gemacht haben, dass es eine gravierende Änderung gibt. Ich habe wiederholt in Pilgerberichten gelesen, dass das Besondere am Pilgern ist, dass man mal ohne Email und Telefon auskommt. Pustekuchen, einmal keine Email gelesen und schon stehst Du nachts im Freien.
Im Flieger hatte ich mir so schön ausgedacht, dass ich heute Abend noch runter zur nahen Kathedrale laufe und dann 2…3 Kilometer auf dem Jakobsweg, bis der halbwegs an meinem Hotel vorbei kommt. Dann hätte ich morgen dort starten und ein Stück sparen können. Morgen wird es nämlich vermutlich eine 32km-Tour werden, da erst in Alverca do Ribatejo bezahlbare Quartiere kommen. Nun muss ich umdisponieren, denn jetzt nochmal bis in die Altstadt zu laufen, ist mir zu weit und zu spät. Es ist ja auch hier inzwischen dunkel. Ich werde wohl nur noch kurz runtergehen und mir im Supermarkt was zu essen holen und morgen dann von hier zur Kathedrale und weiter auf dem Camino nach Alverca ziehen. Man könnte auch einen Tag Stadtbummel einfügen, aber das wäre eh zu wenig und andererseits waren wir schon vor ein paar Jahren (2017) eine Woche hier und haben sehr viel gesehen.

Camino Portugues Central - Tag 0