Tag 9 (Fr, 20.10.2023) Alvaiázere - Rabaçal / 28,5 km
Ich habe diese Nacht hervorragend geschlafen und prompt verschlafen. Um sieben bin ich aufgewacht - da wollte ich eigentlich schon unterwegs sein, da heute wieder eine Tour mit über 30 km ansteht. Zeit für ein Frühstück habe ich mir trotzdem genommen. Etwas Über­windung hat es gekostet, in die Schuhe zu steigen, die immer noch innen feucht waren, obwohl ich gestern den ganzen Nachmittag halbstündlich und auch nachts und am Morgen das reingestopfte Papier ausgetauscht habe. Da mein Prospektstapel bald aufgebraucht war, habe ich das schon benutzte Papier auseinander gefaltet und zum Trocknen im Zimmer verteilt. Das sah sehr lustig aus. Nach einer Stunde war das Papier wieder verwendbar. Mehr Recycling geht nicht.
Als ich um acht aus dem Haus trat, war der Bis-6-Uhr-Regen gerade am Abklingen. Da ich nicht wusste, wie die Waldwege nach mehrtägigem Regen aussehen, habe ich hinter Alvaiázere die Straße statt den Weg durch den Wald gewählt. Den fast 500 m hoch gelegenen Pass hat mir das aber nicht erspart. Über mir waren dicke Wolken, aber es war trocken. Mitunter schien sogar die Sonne durch eine Wolkenlücke. Da erschien plötzlich neben mir ein doppelter Regenbogen. Den sieht man ja eigentlich nur, wenn Sonne und Regen aufeinander treffen. Das hat sich nun das Wetter auch gesagt und ein paar Eimer Wasser runtergeschüttet. Das ging so schnell, dass ich schon total nass war, bevor ich das Regencape aus dem Rucksack gezogen hatte.
Im weiteren Verlauf habe ich abwechselnd die Straße und den ausgeschilderten Weg genommen, der mal links und mal rechts von der Straße verläuft. Der ist an sich schön, wenn auch holprig, oft mit uralten Mauern aus lose aufgeschichteten Steinen eingerahmt. An Bäumen dominiert der Eukalyptus - bei Regen riecht es da wie bei einem Gang durch die Apotheke. Wenn das Wetter etwas besser ist, werde ich wieder eine Hopfen-Eukalyptus-Kur machen, das heißt, mich mit einer Bierbüchse in den Wald setzen.
Der Weg ging so weiter wie beschrieben, mal den Schildern durch schöne Landschaft folgend, mal die kürzere Variante entlang der Straße, die leichter zu laufen war. In den Orten entlang der Straße ist bestimmt jedes dritte Haus unbewohnt, in den kleinen Orten abseits der Straße sind es geschätzt 80%. Da gibt es dann auch keine Kneipe und keinen Konsum mehr. In Ansiáo, der einzigen größeren Stadt am Weg, war man gerade dabei, Kabel und Rohre zu legen und danach die Straße neu zu pflastern. Wo man damit schon fertig war, sah es richtig schick aus. Und ein paar ganz moderne Wohnhäuser an diesen Straßen schienen zu beweisen, dass Leute bleiben oder kommen, wenn das Umfeld lebenswert ist. Noch stehen auch an diesen gut hergerichteten Straßen leere, verfallene Häuser, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die bald ausgebaut oder ersetzt werden. In den Bergdörfern ist es leider nicht mit einer neuen Straße getan. Der Boden und die oft kleinen Grundstücke lassen nicht mehr als Olivenhaine und ein paar Reihen Rebstöcke zu. Davon kann keiner leben.
Das Wetter war den ganzen Tag über wechselhaft, viel Sonnenschein, aber auch dunkle Wolken, aus denen es urplötzlich zu schütten begann. Alvorge, gut zwanzig Kilometer von meinem Start entfernt, kam als Etappenziel in Frage, da es dort mehrere Herbergen, darunter eine auf Spendenbasis gibt. Aber von dort wären es dann morgen etwa 35 km bis Coimbra gewesen. Darum habe ich den auf einem Berg liegenden Ort im wahrsten Sinne des Wortes links liegen gelassen und bin weiter nach Rabaçal, von wo aus es nur noch ca. 25 km sind. Bei den Kilometerangaben muss man eigentlich immer dazu sagen, ob es sich um die kürzeste Verbindung lt. Routenplaner oder um die ausgeschilderte Jakobswegstrecke handelt. Von Alvorge bis Rabaçal sind es z. B. laut Routenplaner 6 km, wenn man die Entfernungs­angaben des Pilgerführers („Buen Camino“-App) addiert, sind es fast 13 km. Und tatsächlich schlägt der ausgeschilderte Weg einen großen Bogen, um die Straße zu umgehen.
Ich habe hier in Rabaçal in der Herberge Bonito, gleich am Ortseingang, eingecheckt (13,50€). Hier bin ich auf zwei Deutsch sprechende Mitbewohner gestoßen: Thomas aus Tuttlingen (mit dem angeblich hässlichsten Bahnhof Deutschlands), dem ich schon mal begegnet bin, den ich aber gar nicht gleich wiedererkannt habe, und Marc aus der Schweiz, der gerade auf Weltreise ist. Vor fünf Wochen war er noch in Israel und Palästina auf einem Pilger-Rundweg unterwegs. Der ist natürlich schockiert von dem, was jetzt in den Nachrichten zu hören und zu sehen ist. Es war interessant, seine Erlebnisse und seine Einschätzung der politischen Lage zu erfahren. Er ist zudem ein Sprachgenie und plaudert mit der Wirtin, als stamme er von hier, dabei lernt er angeblich erst seit zwei Wochen Portugiesisch. Er spricht aber auch Italienisch, Französisch (dort zur Schule gegangen), Englisch (englische Mutter) und Spanisch, weil er seit ein paar Jahren in Spanien lebt.
Von Thomas war zu erfahren, dass er zwei Tage mit Raoul unterwegs wer, der vermutlich schon hinter Coimbra ist. Thomas ist den Tieren zuliebe Vegetarier, scheut sich aber nicht, diesen das Grünfutter wegzuessen. Darüber konnten wir noch ganz gut und amüsant diskutieren. Als wir dann zu dritt gegenüber im Restaurant saßen und die Nachrichten im Fernseher liefen, entpuppte er sich aber als ein Verschwörungstheoretiker, zumindest nach meinen Kriterien. Da hat es bald keinen Spaß mehr gemacht, miteinander über das Weltgeschehen zu reden. Dank Marcs Sprachkenntnissen haben wir aus den Nachrichten erfahren, dass man in den nächsten Tagen lieber nicht krank werden sollte, weil das Gesundheitswesen eine Woche lang bestreikt werden soll. Ich habe zum Glück nicht vor, krank zu werden.
Die Nachrichten zum Wetter sind immer noch gruselig, können aber zum Glück nicht alle auf die von mir durchlaufene Gegend bezogen werden. Ich bekomme immer noch laufend Küstenunwetterwarnungen auf mein Smartphone, aber nur weil die hiesige Region bis ans Meer reicht, wo tatsächlich ziemlich was los ist. Hinter einer Bergkette kann das Wetter schon wieder ganz anders ausschauen, wie sich heute gezeigt hat. Für morgen ist eigentlich nur mittags eine Stunde Regen angegeben. Damit könnte man leben.

Camino Portugues Central - Tag 9