Tag 11 (So, 22.10.2023) Coimbra - Sernadelo / 26,4 km
Ich habe wieder gut und lange geschlafen. Am Bett war nur auszusetzen, dass der Platz zum Obergeschoss ziemlich eng bemessen war und man sich laufend den Kopf gestoßen hat. Bei solch einem Bett kann man immer nur hoffen, dass man nachts nicht schlecht träumt und hochschreckt.
Ich war schon mit dem Frühstück fertig, als sich die anderen aus ihren Betten gequält haben. Beim Einpacken habe ich dann auch den Mitbewohner im Bett gegenüber kennengelernt: Lukas aus Österreich. Am Abend ist der nur mal schlaftrunken und grußlos zum Kühlschrank und zurück ins Bett geschlichen. Auch morgens war der junge Mann nicht übermäßig gesprächig. Er ist nicht so richtig auf dem Camino unterwegs, sondern macht Urlaub. Da er zu wenige aus seiner Sicht billige Herbergen findet, will er jetzt mit dem Bus nach Porto, wo er jemand kennt, bei dem er unterkommen kann. Später haben sich in der Stadt nochmal unsere Wege gekreuzt. Mit seiner Salafisten-Hose war er leicht zu erkennen. Yunli und William waren noch beim Einpacken bzw. beim Frühstück als ich kurz nach acht los bin. Die Beiden taten mir leid, da sie mit ihren bepackten Fahrrädern im Treppenhaus drei Etagen runter mussten, weil der Zugang durch die Gaststätte erst nachmittags wieder möglich ist.
Ich bin heute erneut weitestgehend den ausgeschilderten Weg gelaufen, der mal auf ziemlich engen Straßen durch kleine Dörfer führte und dann wieder endlos lang durch einen Eukalyptuswald. Das Wetter war zum Glück besser als angekündigt. Obwohl 70% Regen­wahrscheinlichkeit angegeben war, kam kein Tropfen runter. An Pilgern oder Wanderern habe ich niemand getroffen, weder in meiner Richtung noch entgegenkommend. In der Erwartung, dass auch die nächsten Herbergen nicht überfüllt sein werden, habe ich mich nicht sonderlich beeilt und bin immer mal eingekehrt, am (Sonntag-) Vormittag noch in verschiedene Kirchen, nachmittags nur noch in Kneipen oder Paderias (Bäckereien), wo man auf Nachfrage nicht nur süßen Kuchen, sondern auch ein Schinkenbrötchen bekommt. Und in den von mir als „Kneipe“ bezeichneten Etablissements gibt es auch Kaffee!
Ich einem Dorf bin ich in einem kleinen Raum gelandet, der nicht nur Dorfkonsum, sondern auch Kneipe war: ein Tresen und drei winzige Bistrotische, im Rücken an der Wand die Regale mit Gemüse, Cornflakes und Waschpulver. Natürlich auch am Sonntag geöffnet. Genauso alle großen Supermärkte im letzten größeren Ort (Mealhada) vor meinem heutigen Etappenziel: Aldi, Lidl und Intermarché. Mein heutiges Ziel hieß Sernadelo, wo es eine sehr ordentliche 12€-Herberge gibt, leider ohne Küche, denn sie gehört zu einer Gaststätte, die natürlich keinen Umsatz durch Selbstkochen einbüßen will. Außer mir ist nur ein anderer Pilger hier, Björn aus Aschaffenburg, der gerade ein Schläfchen machte, als ich kam. Da konnte ich mich noch in Ruhe, aber leider erfolglos bemühen, bei o2 eine Fehlermeldung für das heimische Festnetz/Internet abzusetzen. Der „ausgezeichnete Service“ besteht in einem nicht funktionierenden Sprachautomaten. Da will sich angeblich „Aura“ mit dir unterhalten, aber das Mädchen mit der Computerstimme ist ziemlich sprachlos - bei jeder Frage ist nach zwei Silben der Ton weg, so dass man bestenfalls raten kann, was die von einem will. Die App, die man sich unbedingt herunterladen soll, bietet nicht unbedingt das, was die Webseite verspricht: „Service, wie du ihn dir wünschst“. Na, da kennen sie mich nicht, ich wünsche mir was anderes. Ich würde gern irgendwo die Telefonnummer eingeben, die plötzlich nicht mehr funktioniert und mich nicht von einer „Service“-Seite zur andern schicken lassen, um dann wieder bei der sprachlosen Aura zu landen.
Nachdem Björn erwacht war und ich meine Reklamationsversuche aufgegeben hatte, sind wir los zur Gaststätte an der Ecke, weil er dort gebackenes Spanferkel auf der Speisekarte entdeckt hatte. Das hat zwar nicht schlecht geschmeckt, aber serviert mit Kartoffelchips und etwas Salat, jedoch zu deutschen Preisen, war das ein Reinfall. Wenn dann auch noch die zuvor unaufgefordert gelieferten Häppchen extra auf der Rechnung erscheinen, ärgert mich das besonders. Da lobe ich mir doch das übliche Pilgermenü. Auch wenn das mal nicht so herausragend ist, so steht doch wenigstens die preisliche Obergrenze (10-12€) fest. Und da man Suppe und Hauptgericht hat, ist die Wahrscheinlichkeit doch groß, dass wenigstens eins von Beidem schmeckt. Meist ist Beides sehr lecker. Der Abend in der Gaststätte bot aber eine gute Gelegenheit, mit Björn zu plaudern. Er ist gerade in den Ruhestand gegangen und läuft seinen ersten Camino. Er ist Ende August in Genf gestartet und in sechs Wochen über Le Puy nach Saint-Jean-Pied-de-Port gelaufen und dann von Bayonne mit dem Bus nach Coimbra gefahren, um von hier auf dem portugiesischen Weg nach Santiago zu nehmen. Wenn er nicht davonrennt, werden wir uns wohl in der nächsten Zeit immer mal ein Quartier teilen. Es macht Spaß, sich mit ihm zu unterhalten und er kennt sich sogar etwas im Osten aus, weil er unter anderem mit seiner Frau schon Kanutouren auf der Werra gemacht hat. Er war früher wissenschaftlicher Berater bei einem Saatgutlieferanten und war immer dann gefragt, wenn es Konflikte mit irgendwelchen Schadstoffeinträgen gab, also zum Beispiel, wenn der Nachbar eines Biobauern auf seinem Feld dick Chemie aufgetragen hat und das Biogemüse gleich mit verseucht hat. Es war interessant zu erfahren, was da so an Problemen auftritt. Ich habe also nach einem nicht sonderlich aufregenden Tag wieder eine nette, interessante Bekanntschaft gemacht.

Camino Portugues Central - Tag 11