Tag 16 (Fr, 27.10.2023) Porto - Vairão / 25,6 km
Heute früh war ich mir gar nicht sicher, ob es bei dieser Tour noch einen weiteren Tagesbericht geben wird, denn mein Fuß, den ich mir gestern irgendwie verdreht hatte, tat morgens beim Auftreten so weh, dass ich auf dem anderen Fuß zur Toilette hopsen musste. Da habe ich nicht geglaubt, dass ich hier noch viel laufen kann, und schon mal heimlich geschaut, was mit einem spontanen Rückflug wäre. Die angezeigten 360 Euro waren mir dann aber Ansporn, doch das Laufen zu probieren. Vielleicht ist es mit den festen, hohen Schuhen besser als barfuß. Und tatsächlich konnte ich einigermaßen laufen, als ich mit vielen Mühen endlich drin war. Da ich mich zuvor noch im Glauben an ein Ende der Tour in dem schönen warmen Bett -zigmal umgedreht hatte, war es schon fast um neun, als ich los bin. Zuvor hieß es aber von Björn Abschied nehmen - ich wusste nicht, wie weit ich komme, und er wollte sich erst noch Porto anschauen und später loslaufen. Ich denke aber, dass wir uns vor Santiago noch mal über den Weg laufen werden.
Ich bin dann also losgehumpelt, anderthalb Querstraßen runter, rechts rum und nach wenigen hundert Metern war ich schon auf dem Camino oder besser auf den Caminos, denn zunächst verlaufen der Camino Portugues da Costa und der Camino Portugues Central, den ich laufen will, identisch. Erst später, an einem dreieckigen Platz an der Rua da Fonte Velha, trennen sie sich.
Der rechte Fuß tat zwar bei jedem Auftreten weh, aber die dicke Sohle hat verhindert, dass da zu viel Druck auf den Ballen ausgeübt wird, was das Barfußlaufen so schwer gemacht hatte. So bin ich zwar langsam, aber stetig vorangekommen. Als Abschied von Porto habe ich mich noch in einer Bar über den Tisch ziehen lassen. Da habe ich für mein übliches Menü 3,30€ statt wie sonst 2,20€ bezahlt, also 50% Touristenaufschlag. Auf dem Kassenbon standen nicht ein Kaffee und ein kleines Bier, was ganz sicher samt Preis in der Kasse gespeichert ist, sondern zwei namenlose Artikel mit 1,80€ und 1,50€. Also die ganz üble Variante der Touri-Abzocke. Normalerweise reicht mir das für einen handfesten Streit aus, aber ich hatte wegen meinem Fuß den Kopf so voll, dass ich es bei einem Kopfschütteln und einem vernichtenden Blick belassen habe. Ob das der Tante hinterm Tresen Anreiz zur Reue war, weiß ich nicht.
Beim Losgehen war heute sogar etwas Sonne zu sehen, nachdem es in den frühen Morgenstunden wieder geschüttet hatte. Der Himmel zog sich dann aber schnell zu und unter der geschlossenen, hellen Wolkendecke zogen dunkle Wolken dahin, aus denen es immer wieder regnete. Man bekommt aber langsam einen Blick dafür, ob und wann eine Wolke Regen bringt. Und so konnte ich mich bei den dreieinhalb Regengüssen, die es tagsüber gab, immer rechtzeitig unterstellen: im Aldi, auf dem U-Bahnsteig, unter einem großen Balkon und zuletzt, als aber nicht viel runter kam, in einer Kneipe. So bin ich heute den ganzen Tag ohne Regencape ausgekommen. Es ist ein herrliches Gefühl, mal wieder einen ganzen Tag ohne diesen Gummimantel zu laufen.
Mit dem Fuß ist es zum Glück besser statt schlechter geworden. Nach etwa zwanzig Kilometern hat der Fuß endlich mitbekommen, dass ich auch laufe, wenn es weh tut. Da hat er sich gesagt, dass er dann ja auch die Schmerzen weglassen kann. Und plötzlich tat nicht mehr jeder Schritt weh. Aber ich bin trotzdem langsam und sehr bedächtig gelaufen. Nun werde ich sicher ein paar Tage brauchen, um den humpelnden Gang wieder loszuwerden.
Heute ging es ausschließlich entlang von Straßen, zuletzt auf einer Nationalstraße, die durch Häuser oder Mauern eingeengt ist und bestenfalls einen halben Meter Unkraut als Ausweichmöglichkeit bietet. Ich staune, dass trotzdem noch so viele Pilger lebendig in Santiago ankommen.
Um sechs war ich endlich in der angepeilten „Albergue de Peregrinos do Mosteiro de Vairão“, also der Klosterherberge von Vairão, etwa 24 km von Porto entfernt. Da war ich echt stolz. Und zu meiner großen Freude und Überraschung lag da Raoul im fast leeren Schlafsaal. Der hat gestern in Porto einen Ruhetag eingelegt und ist auch heute dort gestartet. Es ist jetzt mit einem anderen Pilger in die Kneipe gezogen, was mich ja auch sehr gereizt hätte, aber meine Schuhe mochte ich nicht nochmal anziehen und in Sandalen wollte ich nicht los. Außerdem hätte ich dann nicht gewusst, wann ich meinen Bericht schreiben soll. Ich habe mir statt dessen eine für den Notfall mitgeschleppte Packung Instant-Nudeln gekocht und zusammen mit einem Brötchen und einem Ei gegessen, was mir ein Münchner in unserem Saal spendiert hat. Der ist heute früh in Porto gestartet und mit einem Gruß an mir vorbeigezogen. Er sagte gerade, dass er nie gedacht hätte, dass ich so weit komme, weil ich so schlimm gehumpelt bin. Nun hoffe ich mal, dass die Nachtruhe dem Fuß gut tut und ich morgen wieder halbwegs normal weiterziehen kann.

Camino Portugues Central - Tag 16