Tag 21 (Mi, 01.11.2023) Valença - O Porriño / 20,3 km
17.45 Uhr. Ich sitze in O Porriño in einem Café zwischen den Spielautomaten, weil hier die einzige Steckdose ist. Ich habe mir an der Theke ein Estrella Galicia geben lassen und bin damit durch den Raum geirrt, bis ich diesen Platz gefunden habe. Dabei habe ich gar nicht mitbekommen, dass die nette schwarze Kellnerin mit einem Schälchen Chips und einem Teller Nüsse in der Hand hinter mir her irrt. Galicien. Das Bier ist zwar teurer als in Portugal, aber man bekommt immer ein Häppchen dazu. Schlimm sind ja die Kneipen, wo man bei jedem Bier was anderes bekommt. Da ist man aus Neugier, was da noch kommen wird, schnell betrunken. Auf einem der Automaten neben mir kann man Fußballwetten abgeben. Man müsste direkt mal schauen, was es bei einem 8:0-Tipp für Bayern gegen Darmstadt gegeben hätte. (Der Zusammenschnitt des Spiels lief vorhin auf dem Fernseher einer Kneipe am Wegesrand.)
Eigentlich wollte ich heute noch ein Stück weiter laufen. Bis Redondela wäre es im Hellen nicht zu schaffen gewesen, aber zum Beispiel bis Rúa, 5…6 km von hier entfernt. Aber als ich hier in O Porriño, wo es an Herbergen wimmelt, ankam, fing es zu regnen an und Wind kam auf. Das habe ich als Zeichen genommen, dass ich hier absteigen soll. Ich habe mir die kommunale 10€-Herberge ausgesucht, die ziemlich neu und nicht weit vom Camino entfernt ist. In der gibt es in zwei Räumen 50 Betten, aber als ich kam, war vielleicht ein Dutzend Pilger da. Da war also sogar nach was im Unterdeck zu haben. Ein Schlafraum war fast leer, da schlummerte nur ein Pärchen. Aber die Fenster zeigen zur Autobahn, was mich schon beim Beziehen des Bettes gestört hat. Deshalb habe ich meinen Kram gepackt und bin in den anderen Raum gezogen, wo schon etwa 10 Betten belegt waren und damit die Schnarchgefahr größer ist. Aber ein Schnarcher im Raum ist völlig ausreichend. Letzte Nacht war das Monika im Bett über mir, die zusammen mit der weichen Matratze dafür gesorgt hat, dass ich schlecht geschlafen habe.
Heute früh ging um sechs das Aufstehen und Einpacken los und kurz vor sieben stürmten die meisten aus dem Haus, dass ich schon dachte, ich hätte einen Feueralarm überhört. Ich saß da nämlich seelenruhig als Einziger in der Küche, habe meinen Kaffee geschlürft und mir die am Abend zuvor gekauften Brötchen geschmiert. Gegen halb acht bin ich aufgebrochen. Das habe ich gleich einem wissenschaftlichen Experiment verbunden. Ich habe mir nämlich den Wecker auf viertel neun gestellt, um zu ergründen, was passiert, wenn die Uhr auf spanische Zeit umschaltet. Hier gibt es ja das Kuriosum, dass man auf dem gleichen Meridian bleibend plötzlich in einer anderen Zeitzone ist. Also, um es nicht zu spannend zu machen: der Wecker hat nicht geklingelt, da die Uhr etwa um acht eine Stunde weiter auf etwa um neun sprang und 8.15 Uhr damit ausfiel. Nun, das Smartphone mag sich gedacht haben, dass ich nicht geweckt werden brauche, weil ich ja schon unterwegs bin. Aussagekräftiger wäre das Experiment ein paar Tage zuvor bei der Zeitumstellung gewesen, wo ja die Uhr von zwei auf drei gesprungen ist. Da wollte ich eigentlich den Wecker auf halb drei stellen, hatte dann aber Angst vor dem Zorn der Mitbewohner, wenn das Experiment misslingt. Uhrologe wäre ein spannender Beruf gewesen.
Ich bin heute erstmals nach drei Wochen im Trockenen los und auch den Tag über halbwegs trocken geblieben. Das heißt nicht, dass der Regen ganz ausgefallen ist, aber es kam immer nur so viel runter, wie das Regencape abhalten konnte. Es ist zwar lästig, das Cape ständig griffbereit zu halten und mehrmals täglich überzustülpen, aber wenn abends die Hose nicht bis zum Bund vollgesogen ist, kommt schon etwas Glücksgefühl auf.
Gleich hinter der Herberge ging es etwas bergauf und in die Altstadt von Valença hinein, die auf zwei Festungen verteilt und von einer weiteren, gemeinsamen Festungsmauer umgeben ist. Sowohl die massiven, tadellos erhaltenen Festungsbauten, als auch die Straßen und Häuser der Altstadt sind sehr beeindruckend. Ich habe mich geärgert, dass ich nicht am Abend zuvor nochmal losgezogen bin, denn da wäre die Altstadt bestimmt auch sehr sehenswert gewesen. Wenn die Stadt durchquert ist, geht es in ein langen Tunnel durch die innere Festungsmauer und dann durch die äußere und auf einer Treppe steil bergab bis auf das Niveau der Bahngleise, die durch die Stadt und rüber nach Tui führen. Man geht nach links und nach hundert Metern ist man schon an der Brücke, die Portugal und Spanien verbindet. Es ist eine zweistöckige Fachwerkonstruktion aus Stahl. Oben fährt die Bahn und unten fahren die Autos. Für die Fußgänger gibt es auf der unteren Ebene links und rechts einen Gehsteig. Drüben angekommen, läuft man der Polizei direkt in die Arme, denn da gibt es eine Polizeistation und als ich kam, stand da fast ein Dutzend Polizisten vor der Tür. Die beratschlagten was und stiegen dann mehrheitlich in herumstehende Polizeiautos und brausten davon.
Der Camino schlängelt sich zunächst am Fluss und dann durch die Altstadt von Tui hoch bis zur Kathedrale. Das ist ein burgähnlicher Bau, der eingezwängt zwischen Häusern auf der Kuppe eines Hügels steht. Ich habe nur kurz einen Blick hineingeworfen: ziemlich dunkel, mit einigen Nebenräumen und einem goldenen Altarhintergrund. Für 3€ Eintrittsgeld hätte man sich das alles anschauen können, aber da ich inzwischen ziemlich spät dran war, habe ich mir das verkniffen. Ein Stück weiter, in der St. Bartholomäus-Kirche, in der ich eine schöne Jakobsfigur entdeckt habe, bin ich in einen Gottesdienst geraten und auch ein Stück weiter in einem Vorort kamen die Leute gerade zu einer Messe zusammen. Da dämmerte mir, dass heute (1. November) Allerheiligen ist. Google verriet mir dann noch, dass dies in Spanien einer der acht nationalen Feiertage ist und dass Behörden und Geschäfte geschlossen sind. Ich hatte mich schon gewundert, dass so wenig Betrieb auf den Straßen ist und dass statt Autos viele Radfahrer unterwegs sind, was sonst nur sonntags der Fall ist.
Der Weg führte heute planmäßig zunächst entlang einer Fernstraße. Da, wo er eigentlich zum Fluss abbiegen sollte, war der Weg mit Flatterband abgesperrt und eine Umleitung ausgeschildert. Dieser Abschnitt des Weges war wohl nicht mehr passierbar. Und auch auf der Umleitung, die noch ein Stück entlang der Straße und erst später in den Wald führte, standen einige Pfützen und manche Passagen entlang eines kleines Flusses waren nur schwer zu meistern.
In Orbenlle gabelt sich der Camino. Der eigentliche führt durch ein Industriegebiet und dabei lange Zeit auf einer schnurgeraden Straße, der etwas längere „Complementario“ schlängelt dich hingegen westlich davon durch den Wald. Die im Wald zu erwartenden Wege­verhältnisse haben mir die Entscheidung leicht gemacht. Außerdem ist es ja auch mal ganz interessant, ein fremdes Industriegebiet zu sehen. Verkehr war ja nicht viel zu erwarten, da nur in wenigen Firmen gearbeitet wurde und keine Zeit für Berufsverkehr war. Der Weg durch das Industriegebiet war tatsächlich mit vielen neuen Eindrücken verbunden. Ich habe zum Beispiel noch nie einen so riesigen Parkplatz für fabrikneue Autos gesehen wie hier. Hier standen unendlich viele Autos verschiedener Typen und Hersteller herum. Wobei das mit der Vielfalt so eine Sache ist. Da stand zum Beispiel ein und derselbe Kleintransporter mit den Schriftzügen bzw. Logos von Fiat, Citroën, Peugeot und Toyota herum und die Opel-Version hatte auch nur etwas andere Lampen.
Der Fakt, dass heute keine Geschäfte offen sind und man damit zur Versorgung auf Gaststätten angewiesen ist, war neben dem Wetter ein Grund, in O Porriño zu bleiben. Hier wimmelt es an Gaststätten, während es lt. Pilger-App in Rúa keine einzige gibt. Da es draußen immer noch regnet, werde ich noch einen Moment in dem Café bleiben, in das ich mich beim Einsetzen des Regens geflüchtet habe. In einem Café bekommt man hier ja nicht nur Kaffee zu trinken.
Ich bin ja kein übermäßig ängstlicher Typ, wenn es um Wanderungen trotz Schlechtwetter­warnungen geht. Aber im Fernsehen kamen gerade sehr eindrucksvolle Bilder von der hiesigen Küste und auf der Wetterkarte war die ganze galizische Küste wegen Sturm rot gefärbt. Und bei den Eilmeldungen am unteren Bildschirmrand lief durch, dass in der Provinz Pontevedra, wo ich mich gerade befinde, Windgeschwindigkeiten von 100 km/h erwartet werden. Da werde ich mich wohl auf kürzestem Wege und unter Umgehung der Waldwege nach Santiago bewegen und die angedachte „Variante Espiturial“, die dicht entlang der Küste führt, auf ein anderes Mal verschieben.

Camino Portugues Central - Tag 21