Mittwoch, 27.9.2023, von Kalchreuth nach Nürnberg und Rückfahrt / 18,9 km

13.40 Uhr. Ich sitze im RE 42 von Nürnberg nach Leipzig, der 13.38 Uhr fahren sollte - ein Zug früher als geplant. Bei dem muss ich nur zweimal umsteigen (Leipzig und Dessau) und bin planmäßig schon 20.44 Uhr in Berlin - wenn er denn irgendwann mal losfährt. Ich hoffe ich sitze im richtigen Zugteil, denn die andere Hälfte wird irgendwo abgekoppelt und fährt nach Würzburg.

13.43 Uhr. Der Zug rollt. Es geht zunächst nach Fürth, so wie 1835 der „Adler“, die erste deutsche Eisenbahn, gefahren ist.

Ich bin heute früh um halb sechs aufgestanden und habe erstmal unter Zuhilfenahme des noch brennenden Grablichtes alle verfügbaren Kerzen in Gang gesetzt, den Kocher angemacht und einen Topf Wasser (aus dem Kanister vorm Wagen) für den Kaffee aufgesetzt. Dann bin ich mit der Smartphone-Taschenlampe in der Hand zum Trockenklo fast am anderen Ende des Gartens. Das ist ein richtiges Herzhäuschen und man kann beim Geschäft durch das ausgeschnittene Herz den grandiosen Sternenhimmel beobachten, wenn man nicht beim Drücken die Augen schließt. Dann habe ich mich angezogen, die Sachen gepackt und zum Kaffee die obligatorischen Schinken-Käse-Croissants von vorgestern gegessen.

Als es um halb sieben draußen zu dämmern begann, bin ich los. Nach wenigen hundert Metern auf einen Schotterweg entlang der Bahn war ich schon auf dem Jakobsweg. Der geht noch ein Stück durch das südliche Ende von Kalchreuth und biegt dann links ab. Eigentlich wollte ich entlang der Landstraße laufen, um auf glatten Belag Zeit zu sparen, aber der abzweigende Weg ist betoniert und nicht befahren. Da kann ich auch den nehmen. Der Umweg war nicht groß und kompensierte bestimmt das häufige Ins-Bankett-Springen bei entgegenkommenden Autos auf der Landstraße. Es ging dann zwar nochmal ein Stück recht holprig (ohne Stock!) durch den Wald, aber den Rest des Weges verlief auf glatt gewalztem Recycling. Der breite glatte Weg scheint ganz neu zu sein und ist vermutlich nach dem Verlegen einer Abwasserleitung angelegt worden, denn Trupps vom Nürnberger Bauhof waren dabei, die Leitung mit einer Kamera zu befahren.

Hinter der Autobahn ging es um Buchenbühl herum, vorbei an der (leider geschlossenen) modernen Himmelfahrtskirche mit einem hohen, einzeln stehenden Turm. Dann führte der Weg vorbei am Nürnberger Flughafen, der trotz dichten Nebels in Betrieb war, und durch den Volkspark Marienberg, der teilweise als Hundeauslaufgebiet ausgewiesen ist und von vielen Gassigängern benutzt wird.

Um halb elf hatte ich schon Nürnberg erreicht, viel früher als erwartet. In einem Edeka, der von Natur aus schon ziemlich eng und dann noch mit Containern vollgestellt war, habe ich mir am Fleischstand ein warmes Schnitzel fürs zweite Frühstück besorgt und mich damit in den gegenüberliegen Park gesetzt. Dann ging es bergab, weiter in die Stadt hinein.

An der ehemaligen Stadtmauer angekommen, ging es rechts auf der Straße „Vestnertorgraben“ zunächst an der Burg entlang und dann an der Gaststätte „Hexenhäusla“ über eine Holzbrücke und einen Tunnel in die Burg hinein. Ich bin nicht wie vorgegeben geradeaus gestürzt, sondern hinter dem Tunnel rechts abgebogen, um mir wenigstens den Vorhof der Kaiserburg anzuschauen. Der ist sehr hübsch mit zwei Reihen Fachwerkhäusern, die bunte Fensterläden haben. Die Kaiserburg selbst ist Museum. Dafür war keine Zeit. Zurück auf dem Jakobsweg ging es über Treppen und steil abfallende Straßen weiter ins Stadtzentrum.

Etwas Zeit habe ich mir für die Kirche St. Sebald genommen - ich wusste bisher gar nicht, dass es einen solchen Heiligen gibt. Die Kirche ist innen und außen so reich an Epitaphen, Bildern und Statuen, dass man da gut einen halben Tag zubringen kann. Ich habe auf der linken Seite des Kirchenschiffes den Hl. Jakobus und den Hl. Sebaldus (im Pilgergewand mit einer Kirche auf dem Arm) entdeckt, sowie, für mich sehr interessant, im Chor rechts einen Pilger, der statt der Muschel drei goldene, im Dreieck stehende Scheiben am Pilgerhut hat. Das sind zweifelsfrei die Wilsnacker „Wunderbluthostien“. Hier ist also ein sogenannter „Wilsnackfahrer“ dargestellt, das heißt ein Pilger nach Wilsnack in der Prignitz, wo die „Wunderblutkapelle“ im 15. Jahrhundert ein bedeutendes Pilgerziel war, im gleichen Range wie Santiago, Rom und Jerusalem. Wer das ist und warum der hier steht, weiß ich nicht und die Kirchenaufsicht konnte mir das leider auch nicht sagen.

15.00 Uhr. Inzwischen hielt der Regional-„Express“ in Fürth, Erlangen, Forchheim, Hirschaid, Bamberg, Breitengüßbach, Zapfendorf, Ebersfeld, Bad Staffelstein, Lichtenfels, Michelau, Hochstadt-Marktzeuln und Küps.

Zurück zum Weg durch Nürnberg. Gleich hinter der St. Sebald-Kirche gelangt man zum Rathaus mit dem sich anschließenden Hauptmarkt, wo immer der Christkindlmarkt stattfindet. Auch heute war da Markt, aber mit Pullovern, Taschen und irgendwelchem Trödel. Hinter der Pegnitz-Brücke biegt der Jakobsweg rechts ab. Laut Karte steht da die Statue „Der Pilger“. Die habe ich leider übersehen. Da muss ich wohl nochmal herkommen.

Durch die Kaiserstraße, über den Josephs- und den Ludwigsplatz und vorbei am „Weißen Turm“ kommt man zum Jakobsplatz mit der St. Jakobskirche. Das ist das offizielle Ende des Jakobsweges von Hof nach Nürnberg und der Beginn von Jakobswegen, die weiter nach Süden und Westen führen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ich hier nochmal her komme. In der Kirche, die sehr sehenswert, aber bei weitem nicht so üppig ausgestattet ist wie St. Sebald, befindet sich das Nürnberger Pilgerzentrum, das aus einer Statue, einem Monitor, einer Karte, einer Wandzeitung und einer kleinen Vitrine mit Pilgerandenken besteht. Kein Mensch da, aber wenigstens ein Pilgerstempel.

16.00 Uhr. Bevor ich noch ein bisschen die Augen zumache, will ich die zuletzt mit einem Halt beehrten Orte nennen: Neuses, Kronach, Gundelsdorf, Stockheim, Pressig-Rothenkirchen, Förtschendorf, Steinbach am Wald, Probstzella, Unterloquitz.

18.10 Uhr. Dinge gibt‘s, die glaubt man kaum. Der Bayern-Thüringen-Express hat seine Verspätung aufgeholt und war pünktlich in Leipzig, wo der Anschlusszug nach Magdeburg, mit dem ich bis Dessau fahre, pünktlich kam und (fast) pünktlich abfuhr. Beide Züge waren bzw. sind ganz gut gefüllt, aber es sind noch vereinzelte Sitzplätze und mein Rucksack musste seinen Platz neben mir auch noch nicht aufgeben.

Die Sonne, deren wunderschönen Aufgang ich heute früh kurz hinter Kalchreuth erleben durfte, wirft dem Zug ihre letzten Strahlen hinterher. Es sind jetzt, kurz vor dem Sonnen­untergang noch 25 Grad, vor zwei Stunden waren es in Leipzig sogar 27 Grad. Es war also wieder eher ein Sommer- als ein Herbsttag. Insgesamt kann ich mich über das Wetter nicht beschweren. Das bisschen Nieselregen an den ersten Tagen ist ja nicht der Rede wert.

Überhaupt gibt es bei der Tour nichts zu beklagen. Ich hatte überwiegend gute Quartiere und bin stets auf freundliche Gastgeber gestoßen. Allerdings war ich auch dieses Mal, abgesehen von den muffligen Kletterern in Stierberg, stets allein in der Unterkunft, was einen leicht schwermütig werden lässt. Aber in der Regel war ich abends so müde, dass ich eh schnell eingeschlafen bin. An Wanderern getroffen habe ich nur an der Main-Quelle die vier Männer, die auf einem anderen Weg unterwegs waren, und die zwei Frauen, die sich nicht von mir in die Kneipe von Kemmathen locken lassen wollten. Die konnte ich auf der Straße nicht mal nach woher? und wohin? befragen, da sonst drinnen meine Würste und das Sauerkraut kalt geworden wären. Diese Kneipe, die etwas von Chicago während der Prohibition hatte, gehört zu den bleibenden Erinnerungen an diese Reise.

Mein Fuß hat sich inzwischen beruhigt - wie schon erwähnt, war das tagelange Humpeln aber auch mal eine wichtige Erfahrung.

Nürnberg ist nun erst einmal für eine Weile Endstation auf dem Jakobsweg nach Süden. Das klingt immerhin schon mal besser als Hof. Das über viele Monate verteilt gelaufene Stück von Stettin nach Nürnberg stellt etwa die Hälfte der alten Reichsstraße „Via Imperii“ dar, die weiter bis Rom führt. Dieser Rest würde mich auch interessieren. Ich hoffe, dass ich noch ein paar Jahre krauchen kann. So, jetzt ist meinerseits erstmal Schuss in diesem „Via Imperii“-Chat. Ich hoffe, es hat Euch nicht gelangweilt und Ihr seid wieder mit dabei, wenn ich mich in zwei Wochen auf dem Camino Portugues von Lissabon nach Santiago begebe. Bis dann!

Via Imperii - Kalchreuth-Nürnberg