Wilsnackfahrt (Mittelalterlicher Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack)
Bad Wilsnack

Tag 8 (So, 27.8.2022) Bad Wilsnack

Für heute war in Bad Wilsnack das Pilgerfest 2022 angesetzt, der Grund dafür, dass ich ausgerechnet jetzt den Weg laufen wollte. Für das Fest wurde auf Plakaten in der Umgebung und auf einem Banner vor dem Wilsnacker Rathaus geworben, ohne konkrete Zeit-, Orts- und Programmangaben. Für die Wilsnacker hat das sicher gereicht, denn es war ja schon das 19. Pilgerfest. Für einen Auswärtigen war es nicht so einfach, die Details heraus­zubekommen.

Auf der Webseite www.wegenachwilsnack.de stand zwar unter „Aktuelles“ das Pilgerfest ganz oben an, aber das war noch die Ankündigung des vorjährigen Festes; auf der Webseite des Fördervereins der Wunderblutkirche, der das Fest organisiert hat, war gar nichts davon zu lesen. Und auf der Webseite der Stadt, bad-wilsnack.de, stand im Veranstaltungskalender unter dem heutigen Datum „keine Termine“.

In der Touristen-Information war wenigstens zu erfahren, dass ab 9 Uhr ein Bus Interessierte zur Plattenburg bringt, von wo aus ab 10 Uhr nach Wilsnack gepilgert wird. Ob, wann und wo da eine Pilgerandacht stattfindet, war nicht bekannt. Also überraschen lassen!

Als ich drei Viertel neun aus dem Haus trat, standen da schon ein Transporter und zwei wartende Frauen. Wenig später kamen noch ein zweiter Transporter und eine größere Menschentraube hinzu. Insgesamt waren es etwa 20 Leute, die zur Plattenburg wollten. Einer der Transporter musste also doppelt fahren, um alle hinzuschaffen.

Als alle da waren, hielt die sympathische Pfarrerin Anne Trapp, die man für eine Jugendliche halten könnte, eine sehr ansprechende kurze Andacht mit Pilgersegen. Am Burgtor wurde noch mal angehalten, hier gab es symbolisch eine Entsendung aus dem durch Burgmauern geschützten Raum hinaus in die Welt. Dann ging es auf dem Weg nach Bad Wilsnack, den ich am Tag zuvor schon gelaufen bin: 6…7 km am Waldrand bzw. durch den Wald; die Hälfte auf Waldwegen, den Rest auf einem nagelneuen, noch gar nicht freigegebenen Beton-Pflasterweg.

Manche gingen den Weg schweigend, andere mit dem Nachbarn in ein ernsthaftes Gespräch vertieft, wieder andere laut über Belanglosigkeiten palavernd. Letztere (sicher unabsichtlich) mit mehrfachem Corona-Abstand, damit alle was von der Unterhaltung haben. Das finde ich nervend. Ein richtiger Freund des Wanderns/Pilgerns in der Gruppe werde ich wohl nie werden.

Ich habe mich nur mal rechtfertigend an meine Umgebung gewandt, weil ich das Smartphone vor der Nase hatte, um meinen Bericht vom Vorabend zu komplettieren, was aussah, als wären ich und dieses Ding ganz unzertrennlich. Etwas Unverständnis und Mitleid habe ich schon aus den Blicken herauslesen können. Der Pulk der 20 Pilger (darunter nur 4 Männer) hat sich schnell in die Länge gezogen, so dass sich jeder seinen Platz suchen konnte, entweder dicht dran an den Schwatzenden oder weit weg von diesen.

Erst kurz vor dem Schluss, als sich zwecks Straßenüberquerung Grüppchen bildeten, bin ich mit einer Frau ins Gespräch gekommen, die mit Pilgerhut, -stock und -tasche leicht als Pilgerin erkennbar war. Sie hat erzählt, dass sie in Plauen (Vogtland) lebt und Mittelalter­märkte liebt. Auf einem solchen Markt hat sie Zinngießer kennen gelernt, die ihr vom Pilgerfest erzählt haben. Da hat sie sich ins Auto gesetzt, ist hier her gefahren und mit dem Bus zurück nach Barsikow (wo ich im Kirchturm übernachtet habe), von wo aus sie nach Wilsnack laufen wollte. Aber sie ist vor Kyritz in ein Unwetter geraten und deshalb von dort mit der Bahn wieder hier her gefahren. Irgendwie habe ich wohl beim Umgehen der Unwetter Glück gehabt.

In Wilsnack hat die Pfarrerin die Pilgertour mit einer zweiten, kurzen Andacht und zwei Pilgerliedern abgeschlossen, darunter „Pilger sind wir Menschen“, eine deutsche Fassung des englischen „Land Of Hope And Glory“, was in England eine der Hymne ist, die u.a. gern von FC Chelsea-Fans gesungen wird.

Danach ging es nach einer kurzen Pause in den Park hinter der Kirche, wo längst das Pilgerfest begonnen hatte. Es war ein kleines, sehr ansprechendes Fest. In einem großen Halbkreis standen einfache, mit Sackleinen dekorierte Marktstände mit den üblichen Speisen und Getränken, regionalen landwirtschaftlichen Produkten und Kunsthandwerk. Auf der offenen Seite stand die Bühne, auf der um 15 Uhr ein sehr gelungenes Theaterstück zur Geschichte der „Wilsnackfahrt“ aufgeführt wurde. Auf einer zweiten Bühne hat ab 17 Uhr eine großartige 3-Mann-Band irische Lieder gespielt, was viele von den Sitzen gezogen und zum Tanzen animiert hat.

Das war wirklich ein gelungenes Fest, das den Weg nach Wilsnack gelohnt hat, obwohl ich ganz andere Vorstellungen hatte.

Die Pilgertour nach Wilsnack war in vielerlei Hinsicht gänzlich anders als das Pilgern auf dem Camino in Spanien und deshalb eine neue, gute Erfahrung.


Wilsnackfahrt - Tag 8, Bad Wilsnack