Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Zariquiegui nach Puente la Reina

Tag 4 (So, 2.5.2022) – Von Zariquiegui nach Puente la Reina

Die letzte Nacht im Freien war wirklich schrecklich. Die Bank war zugegebenermaßen etwas schmal - ein Fakir hätte da Nägel reingeschlagen, damit er nicht runterrollt. Ich habe wenigstens den Tisch ran geschoben, damit ich beim Schlaf nicht in die Tiefe stürze. Aber mit Schlaf war eh nicht viel. Es war bitter kalt, maximal 5 Grad. Als ich heute früh los bin, waren es sieben. Schlimmer war aber der Wind, der ungehemmt durch den Schlafsack drang. Um den abzuhalten, habe ich den Regenschutz für den Rucksack über die Füße und bis hoch zu den Knien gezogen. Blöd war nur, dass der mitunter weg geschnipst ist, wenn man versehentlich die Beine ausgestreckt hat. Für den Oberkörper hatte ich das Regencape gewählt, das man aber auch nicht einfach rüber legen konnte, weil es auf dem glatten Schlafsack immer weggerutscht ist. Also habe ich mir alles Verfügbare einschließlich „lange Männer“ (die ich schon aussortieren wollte) und Anorak angezogen, bin in den Schlafsack gestiegen und habe dann (!) das Regencape über alles gezogen. Dann zog es nur noch südlich der Gürtellinie, wo weder Schutzhülle noch Cape hin reichten. Das habe ich mir innen mit ein paar greifbaren Sachen ausgepolstert. Spätestens ab diesem Moment war Drehen eh nicht mehr möglich, weil das die ganze Anordnung durcheinander gebracht hätte.

Ich bin bestimmt immer mal eingenickt und ich habe nachweislich von drei bis vier geschlafen. Zu der Zeit haben nämlich mal die Vögel Ruhe gegeben, die statt zu singen monoton Tonfolgen wiederholt haben, die man eher im technischen Bereich ansiedeln würde. Einmal habe ich mein Smartphone gezückt, weil ich plong - plong - plong vernommen hatte. Dann klang es mal wieder nach einer Autowerkstatt, in der immer der gleiche Schrauben­schlüssel auf die Erde fällt, und einmal dachte ich, es kommt die Müllabfuhr, weil exakt die Tonfolge eines rückwärtsfahrenden LKWs zu hören war. Gesehen habe ich die Biester nicht, aber in meiner misslichen Lage hätte ich auch nichts gegen sie unternehmen können. Ich war nur froh, dass ich mir kein Quartier im Wald gesucht hatte, denn am Abend fuhren vier Jeeps mit Jägern raus und bald war auch immer mal ein Schuss zu hören. Die Kirche nebenan hatte zum Glück von zehn bis sechs Läutepause. Da waren nur die Glocken der Nachbardörfer zu hören, wovon eine noch nach Winterzeit bimmelte.

Um halb sechs bin ich aufgestanden und habe erstmal meine Tabletten auf der Schirmmütze platziert und dann mit Wasser aus dem Pilgerwasserhahn genossen. Lichtprobleme gab es nicht, die Terrasse war die ganze Nacht gut ausgeleuchtet.

Viertel nach sechs bin ich los. Da setzte gerade so die Dämmerung ein. Die Dunkelheit war aber kein Problem, da sich der helle, hier glatte Weg auch im Dunkeln gut von der Umgebung abhob. Das Problem war eher der Anstieg, denn jetzt ging es gleich über zweihundert Meter hoch auf den dicht mit Windrädern besetzten Kamm eines Bergriegels. Als ich gesehen habe, mit welcher Geschwindigkeit sich die Windräder drehen, war mir klar, dass ich mir den nächtlichen Luftzug nicht eingebildet habe.

Zum Glück hatte ich am Tag zuvor noch ein paar angesagte Änderungen an den Rucksack­einstellungen gemacht, weil mir von den Riemen die Schulter wehtat. Die Wanderrucksäcke sollen ja so eingestellt werden, dass der Bauchgurt auf der Hüfte aufsitzt. Da greifen sie bei mir aber ins Leere. Nicht, dass ich keine Hüfte hätte, aber da der Bauch da drüber mindestens den gleichen Umfang liefert, weiß der Rucksack leider nicht, wo der Bauch aufhört und wo die Hüfte anfängt. Die Gürtellinie ist bei mir eher eine gedachte Linie, als eine sichtbare. Aber das ist beim Äquator nicht anders. Die Änderungen haben was gebracht, irgendwie trägt sich der Rucksack jetzt doch leichter.

Schnaufend auf dem Kamm angekommen, erwartete mich eine große, aus rostigem Eisen geschnittene Pilgergruppe, ähnlich derer in Bernau am Wasserturm und zwischen Seefeld und Werneuchen am Bahnübergang. Auf der anderen Seite ging es dann ziemlich gerade auf einem Geröllweg bergab. Etwa so, wie in Rerik an der Ostsee am Strand. Da war das Runterlaufen eine ziemliche Tortur. Insgesamt habe ich für die 5 km über den Bergrücken über zwei Stunden gebraucht. Das hätte ich am Tag zuvor ganz sicher nicht mehr geschafft.

Im nächsten Ort, Uterga, verließen gerade die letzten Gäste (Radfahrer) die dortige Herberge, an der übrigens von gestern das Schild „voll“ hing. Ich habe geklopft, um nach einem Pilgerstempel zu fragen und habe vom Wirt nicht nur diesen, sondern auch ein vom Frühstück übrig gebliebenes Küchlein und eine Apfelsine bekommen. Da ich offenbar verschlafen aussah, hat er mir angeboten, auf der Couch ein Schläfchen zu halten, wenn es mich nicht stört, dass er derweil den Schlafraum (12 Doppelstockbetten) sauber macht. Ich habe abgelehnt, da ich weiter wollte. Außerdem schlief schon die Katze auf dem Sofa. Ich habe mir aus dem Automaten zwei Kaffee geholt, das fast leere Smartphone etwas aufgeladen und mich umgesehen. Das war urig: hinter dem Tor mit etwa 15 cm dicken Flügeln war ein mit Steinen gepflasterter Raum mit alten Möbeln, darunter ein alter Schreibtisch als Rezeption. Links ging es in den Schlafsaal, rechts in einen kleinen Schankraum und geradezu in einen Garten mit einer hauseigenen Kapelle.

Gegenüber war noch eine zweite Herberge, aber die sah längst nicht so gemütlich aus. Im Ort gibt es eine stattliche Kirche mit einem Vorbau auf Säulen. Die Kirche war leider zu. Aber im Vorbau hätte es eine Bank gegeben, gemütlicher als meine in der Nacht, und noch dazu in windgeschützter Lage. Das sollte man sich merken!

Der nächste Ort war Muruzábal mit einer großen mittelalterlichen Kirche im Zentrum. Leider auch zu. Wegweiser im Ort verweisen auf die Kirche Sante Maria de Eunate, die man oft auf Kalendern und in Reiseführern abgebildet sieht. Eine achteckige Kirche mit einem achteckigen Säulenkranz und (man staune) einer ebenfalls achteckigen Mauer drumrum. Die liegt am Aragonischen Jakobsweg, der am Somport-Pass in den Pyrenäen startet und sich ganz in der Nähe, in Obanos, mit meinem, dem Navarrischen Jakobsweg zum Camino Francés verbindet.

Der Abstecher zu dieser Kirche bedeutet 2 km Umweg - die wär aber auch 20 km wert! Ich war um halb 12 Uhr dort und fand alles verrammelt, was mich gewundert und verärgert hat, weil dort um 10 Uhr Gottesdienst war. Am benachbarten Haus, wo es die Tickets gibt, hing ein Schild mit der Begründung und der Bitte um Verständnis. Nachdem ich die Kirche zweimal umrundet und abgelichtet hatte, war das Kassenhaus plötzlich offen und ich konnte ein Ticket, sogar mit Pilgerrabatt (1,50 statt 2,00 € - sehr human!) erwerben und mir auch das Innere der Kirche anschauen.

Weiter ging es 2,5 km auf dem Aragonischen Weg nach Obanos, wo sich wie gesagt beide Jakobswege vereinigen. Im Ort ist eine von außen sehr stattliche und innen prachtvolle Kirche, in der gerade Erstkommunion gefeiert wurde. Ich habe einen Moment zugesehen, wie die prächtig gekleideten Mädchen einzeln zum Altar gingen und dort empfangen wurden.

Durch einen Torbogen ging es aus dem Kirchbezirk heraus und weiter nach Puente la Reina, benannt nach einer Brücke, die einst eine Königin für die Pilger gestiftet hat. Am Anfang der Innenstadt, am Beginn der Straße, die sich durch die ganze Altstadt zieht, habe ich gleich in der ersten Herberge eingecheckt, was auch sehr gut war, da hier viele Reservierungen vorlagen (eine Unsitte!) und offenbar kurz nach eins nur noch wenige Plätze frei waren. Ich habe für meine sieben Euro ein Bett in einem 14-Mann-Zimmer bekommen. Das ist einer von 10 Sälen! Sehr lobenswert ist, das hier an meinem Bett eine Konsole entlang läuft, breiter als mein gestriges „Bett“, auf der man mal seine ganzen Habseligkeiten verteilen, sortieren und neu verpacken kann. Ich habe schon seit Tagen nichts mehr in meinem Rucksack gefunden. Es müsste mal jemand einen Rucksack erfinden, der nur aus Außentaschen besteht!

Ich habe meinen Kram da schon mal verteilt und bin dehydriert zur nächsten Alimentation und von dort mit einer Flasche „Agua von Gas“ (Sprudelwasser) zu besagter Brücke, hab bei perfektem Sonnenstand ein paar Bilder gemacht, telefoniert und mich dann zu einem winzigen Nickerchen auf eine schattige Bank zu Füßen der Brücke gelegt - und habe letztlich 1,5 Stunden herrlich geschlafen. Inzwischen war allerdings die Sonne weiter gerückt, was sich nun in roter Hautfarbe zeigt. Jetzt lohnte es nicht mehr, vor dem Essen ins Quartier zu gehen. Ich habe mich in eine Gaststätte gesetzt, die mit Paella warb, die letztlich sehr köstlich war. Ich dachte immer, da wären stets alle Scheußlichkeiten der Tiefsee drin, aber hier waren es überwiegend kleine Hühnerflügel auf Reis in köstlicher Soße. Das Mahou aus dem Hahn kam in einem Glas aus dem Kühlschrank. Gute Idee!

Jetzt bin ich in der Herberge und werde mich noch ein wenig der Wehwehchen widmen, die sich über die Tage angesammelt haben. Die Füße sind erfreulicherweise noch ok. Der kleine Finger, den ich unlängst beim Sturz schützend unter das Smartphone gelegt hatte, verliert zwar langsam an Farbe, würde sich aber wahrscheinlich trotzdem über etwas Kühlung freuen.

Mit Fotos für die Allgemeinheit musste ich mich heute etwas einschränken, da Smartphone und Powerbank fast alle waren. Die meisten Bilder mache ich eh mit der kleinen Taschen­kamera, die gibt es dann irgendwann mal zu sehen. Hier wird insgesamt wenig fotografiert und wenn, dann mit dem Smartphone, junge Frauen vorzugsweise an den vielen Pferdekoppeln. Mich hat gestern ein Italiener gefragt, warum ich so viel fotografiere. Ich habe ihm gesagt, dass ich eine große Familie habe und jeder ein Bild haben will …

Camino Francés / Finisterre - Tag 4