Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Sansol nach Logroño

Tag 7 (Mi, 4.5.2022) – Von Sansol nach Logroño

Jetzt ist es Mittwochnachmittag, ich kann wieder auf einen (den 7.) Tag zurück blicken. Ich habe hervorragend geschlafen. Mein Nachbar, Tarn aus Holland, hat nicht geschnarcht und behauptet das Gleiche von mir. Wir haben uns darauf geeinigt, dass unsere Frauen sich das mit dem Schnarchen nur einbilden. Um sieben zum Sonnenaufgang bin ich los, das war schön anzusehen. Es ging von Sansol zunächst bergab zu einen Flüsschen und dem dahinter liegenden Ort Torres de Rio, wo sich auch einige Herbergen befinden. Hinter dem Ort, wo ich meinen morgendlichen Kaffee aus dem Automaten gezapft und mir eine Tüte Nüsse als Frühstück gekauft habe, füllte sich die Straße schnell mit den Pilgern der Herbergen beider Orte, es brechen ja doch die meisten gegen 7 Uhr auf. Im Blick zurück zeigte sich die Silhouette des auf einer Anhöhe liegenden Sansol zauberhaft vor der aufgehenden Sonne. Leider kann meine Smartphone-Kamera das nicht richtig einfangen.

Dann ging die Tortur los. Es ging ziemlich steil bergauf, nach der Straßenüberquerung bergab und dann … ging es immer so weiter. Schon nach einer Stunde habe ich meinen Plan aufgegeben, weiter als bis Logroño zu laufen.

Die meisten Leute, die einem begegneten, d.h. von denen ich überholt wurde, kannte ich schon. Zum Beispiel den jungen Mann, der außer seinem Rucksack immer noch einen halb gefüllten IKEA-Beutel mit sich rumschleppte. Der jammerte, dass das Gestell seines Rucksacks kaputt ist und ihm eine Eisenstange immer in den Hintern piekt. Dagegen ist ja das oberflächliche Loch in meinen Schuhen ein zu vernachlässigendes Problem. So lange es nicht regnet, stört das nicht.

Beim nächsten Anstieg lief vor mir ein dänisches Ehepaar mit zwei Mädels, ca. 5 und 10 Jahre alt, die da hoch liefen, als wäre das nichts. Die Kleine hat nur mal gejammert, als sie hingefallen ist. Sie ließ sich aber durch Ihre Mama und mein Streicheln schnell beruhigen. Es ging insgesamt mehr als 10 km ohne jeden Ort über die teils mit Feldern, teils mit Weinbergen bedeckten Berge, ab und zu war mal ein Dorf am Berghang zu sehen, aber der Himmel war mit Wolken bedeckt und man konnte nicht viel erkennen. Die Fotos werden sicher einer Nachbearbeitung mit künstlichem Sonnenlicht bedürfen.

Erfreulich ist, dass sich immer wieder Leute finden, die auf einem der Pässe aus dem Auto heraus Kaffee, kalte Getränke und manchmal auch was zu essen verkaufen. Der erste war aber spät dran, der war kurz vor neun noch dabei, die Plastik-Gartenstühle aus dem Auto zu zerren und den Kocher anzuschmeißen. Schlecht organisiert. Die erste Pilgerkarawane war vorbei, bevor er fertig war. Da blieb ihm nur noch die zweite mit den Pilgern aus Los Arcos, mit der eine Stunde später zu rechnen war. Besser hat sich ein paar Kilometer weiter ein anderer eingerichtet, der eine Bretterbude mit Kühlschank, Kocher etc. an den Weg gestellt und auf der anderen Seite aus Paletten ein paar dauerhafte Sitzmöbel installiert hat. Was der verkauft, ist zwar doppelt so teuer wie im nächsten Ort. Aber bis dahin muss man es ja erstmal schaffen! Da der arme Kerl ja einigen Aufwand betrieben hat und den ganzen Tag den Stromgenerator laufen lassen muss, habe ich ihm trotzdem was abgekauft.

Der weitere Weg bis Viana war geprägt von Leid und Selbstmitleid. Warum tut man sich denn sowas an, man könnte doch auch mit dem Bus fahren. Und warum ist man denn überhaupt hier unterwegs? Ich kann mich erinnern, dass Autoren einschlägiger Jakobswegliteratur sich nach etwa einer Woche genau diese Frage gestellt haben - und doch weitergelaufen sind. Das werde ich auch tun. Aber ich möchte mal den treffen, der die Theorie aufgestellt hat, dass Diabetiker ein gemindertes Schmerzempfinden haben!

In Viana, einer kleinen, sehr typischen Stadt, die mit ihrem hoch aufragenden Kirchturm auf einem Hügel thronend schon lange zu sehen war, reihte sich an der Haupt-(Fußgänger-) Straße gegenüber der gerade eingerüsteten Kirche eine Bar an die andere. Und überall saßen drinnen und draußen die Pilger und machten ausgiebig Pause. Es war etwa um elf und es stellte sich langsam Hunger ein. Als ich über meinem Baguette mit Schinken und Ei saß, gesellte sich Norbert aus Frankfurt (Main) zu mir. Er hatte sich auch was an der Theke ausgesucht und jetzt hatten wir etwas Zeit zum Quatschen. Er erzählte, dass er bis vor zwei Jahren in einem Fachverlag tätig war, aber dann wegen Burnout und Stress mit einer neuen Geschäftsführung ausgeschieden ist. Jetzt ist er mit 57 vorübergehend erwerbsunfähig. Psychotherapie und Reha haben ihm sehr geholfen, nun will er auf dem Camino etwas zur Ruhe kommen. Er will gern wieder arbeiten, aber ohne einen Chef, der immer reinredet und Vorgaben macht, obwohl er keine Ahnung hat. Na, solch einen Job muss man erstmal finden! Ich wünsche ihm viel Glück!

Bevor es weitergeht, streife ich in Viana noch durch ein paar Gassen und schaue mir die riesige Kirche an, die einen gewaltigen, bis in das Gewölbe reichenden, vergoldeten Altar hat. Das Gewölbe ist teilweise bemalt und in den Seitenschiffen stehen weitere imposante Altare.

Kurz hinter Viana begegnet mir ein weiterer Norbert, diesmal einer aus Belgien. Ein kräftiger, gut trainierter Typ, der seit zwei Jahren Rentner ist. Er läuft den Weg zum ersten Mal, ist aber schon von Belgien bis Santiago (2200 km) mit dem Fahrrad gefahren. Er war auch schon in der Nähe von Dresden, wo sein Vater im Krieg zweieinhalb Jahre als Zwangsarbeiter schuften musste.

Hinter Viana hörten endlich die Berge auf und der Weg verlief fortan sehr flach, allerdings teilweise an Straßenrand. Aber da die Höhenmeter vom Vormittag bei mir noch in den Knochen steckten, wollte es trotzdem nicht so richtig vorangehen. Ein Koreaner fragte ganz besorgt, was denn mit meinem Knie sei? Und ich musste ihm erklären, dass ich immer so komisch und so langsam laufe. Ein Stück weiter greift mich plötzlich ein Spanier und beginnt, die Rucksackträger zu verstellen. Der Mann schien Ahnung zu haben, denn danach ging es wirklich besser.

Nach einem kurzen Plausch mit einem Mexikaner und einem Texaner, die zusammen unterwegs waren, traf ich Wolfgang und Elna aus Bensheim, die ganz erstaunt waren, dass ich weiß, wo das liegt. Ich erzählte, dass ich mal ein Jahr lang in Bensheim gearbeitet und in Heppenheim gewohnt habe. Da haben sie gestaunt. Er ist seit einem Jahr Rentner und sie hat als Lehrerin ein Sabattical genommen, damit sie sich diesen lang gehegten Wunsch erfüllen können. Die beiden erzählten übrigens von anderen, die wirklich eine Nacht in dem Altersheim untergekommen bin, bei dem ich vor ein paar Tagen erfolglos gebimmelt habe. Ich hätte vielleicht mehr Ausdauer zeigen müssen.

In Logroño angekommen habe ich gleich die erste Herberge genommen, Santiago Apostol. Die sieht von außen ganz unscheinbar aus, hat aber innen die Dimensionen eines Kirchenschiffes mit einer freitragenden Decke. Um einen inzwischen zugebauten Innenhof herum sind auf zwei Etagen Doppelstockbetten aufgereiht. Alles nicht sonderlich gemütlich und ein bisschen heruntergekommen. Da hätte man bei der Vielzahl Herbergen im Ort bestimmt was Besseres bekommen. Aber in diesem Gemäuer kommen Pilgergefühle auf, denn so ähnlich haben bestimmt vor ein paar Jahrhunderten die Pilger gewohnt. Vielleicht war es aber auch mal ein Siechenheim.

Ich habe nur schnell meine Sachen abgestellt und bin ins nahe Zentrum gelaufen, um was zu trinken. Natürlich habe ich da wieder alte Bekannte getroffen. Nach einem kleinen Stadt­bummel inklusive Besichtigung der Kathedrale und einer weiteren riesigen Kirche mit einem mehretagigen goldenen Altar habe ich mich in eine Bar gesetzt und ein leckeres Süppchen gegessen, von dem ich immer noch nicht weiß, was drin war. Ich vermute Fisch.

Jetzt bin ich in der Herberge und werde Schluss machen, damit ich nicht im Dunkeln meinen Rucksack ausräumen muss. Bilder gibt es später, wenn ich nicht zwischenzeitlich einschlafe. Gute Nacht.

Camino Francés / Finisterre - Tag 7