Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 2 (Di, 27.2.2024) Sevilla - Guillena / 22,4 km
Es ist Dienstag früh 8.30 Uhr. Ich habe die Nacht ganz gut geschlafen. Um 6.30 Uhr bin ich aufgestanden, hab‘ mich fertig gemacht und bin in die Küche gezogen, um mir dort Kaffee und die letzten zwei Eier zu kochen. Dabei bin ich gleich auf die Tücken der Technik gestoßen. Die Herdplatte ist aus Sicherheitsgründen von Mitternacht bis morgens um sieben gesperrt. Es war 6.50 Uhr als ich davor stand. Aber Punkt Sieben meldet sich die ersten roten Lampen, wenn man auf das Ceranfeld drückte. Nun galt es nur noch die Kinder­sicherung zu überwinden. Als auch das gelungen war, stand dem Eierkochen nichts mehr im Wege. Ich habe mir gestern in der Kaufhalle eine Art „Lätta“ gekauft, um nicht immer trocken Brot unter der Wurst zu haben. Damit konnte ich mir jetzt ein richtig schönes Frühstück machen. Um 7.30 Uhr bin ich aufgebrochen und auf der nächsten Brücke über den Kanal, dann zwischen Kanal und Fluss endlos lang über einen riesigen Parkplatz, der vermutlich mal zur Expo 1992 angelegt wurde und jetzt leer ist. Hinter dem Fluss verläuft der ausgeschilderte Weg anders als auf der Karte eingezeichnet, runter zum Wasser und etwa 2 km immer entlang des Flusses. Da war es ganz gut zu laufen. Allerdings weht heute ein ziemlich kräftiger Wind. Später ging es auf einem Feldweg schräg durch ein riesiges Gemüsefeld, das wie bei unseren Spargelfeldern lange, aufgehäufelte Reihen hat, auf denen allerdings Kohlköpfe thronen.
Der Weg durch die Felder ersetzt den Weg durch den Ort Camas, der noch der Karte verzeichnet ist. Aber vor Lärm ist man auch auf dem Feld nicht sicher, denn der Weg quert und verfolgt die Autobahn. Ziemlich weit vom Ort entfernt, zwischen den Feldern, bin ich an einer Sporthalle vorbeigekommen, die mit Olympiaringen verziert war. Davor stand eine große Menschentraube, bestimmt weit über 50 Leute, und hat kurz vor neun auf Einlass gehofft. Ich glaube nicht, dass die alle zur Morgengymnastik wollten. Vielleicht sind da irgendwelche Olympia-Tickets verlost worden. Ich weiß es nicht. Ein pilgerähnliches Subjekt hatte ich bis dahin noch nicht gesehen, aber ein entgegenkommender Herr hat mit einem freundlichen „Buen Camino“ gegrüßt - ganz unbekannt scheinen die Leute mit Rucksack und Muschel hier doch nicht zu sein. Kurz vor Santiponce bin ich sogar auf ein großes blaues Schild mit gelber Muschel und der Unterschrift „Camino de Santiago“ gestoßen. Das ist doch was gut Bekanntes.
Noch gar nicht im Ort angekommen, sticht einem schon der Turm des Klosters von Santiponce ins Auge. Das Kloster ist zwar ausgeschildert, aber ob dort etwas zu sehen ist, war nicht zu erkennen. Stattdessen bin ich am Ortsausgang nach rechts einem Wegweiser zum „Teatro Romano“, gefolgt. Der führt allerdings zu einem verschlossenen Tor, von dem aus man nicht viel sehen kann. Im benachbarten Museum, das einem Archäologen gewidmet ist, habe ich nicht nur einen Stempel für den Pilgerpass bekommen, sondern auch erfahren, von wo man einen Blick auf das Theater werfen kann. Leider musste ich dazu wieder ein ganzes Stück den Berg hoch in Richtung Stadt laufen. Aber der Blick vom bewachten Aussichtspunkt war gut und für EU-Bürger sogar kostenfrei.
Ein Stück weiter habe ich auch noch der alten Römerstadt Italica (gegründet 206 v. Chr.) und dem zugehörigen Amphitheater einen Besuch abgestattet. Das hat mich zwar fast zwei Stunden gekostet, war aber sehr beeindruckend und sehenswert. Das war die vorerst letzte Kulturspritze vor dem nachfolgenden Weg endlos lang schnurgeradeaus durch die Einsam­keit. Gegenüber der Römerstadt Italica habe ich noch ich noch schnell in einer Bar etwas Flüssigkeit zu mir genommen. Was man an Flüssigkeit im Körper hat, kann einem niemand mehr nehmen. Auf der anderen Straßenseite war gleich an der Römersiedlung eine Tankstelle namens Italica. Da gab es Benzin zu Preisen, wie sie früher bei den Römern üblich waren: 1,379 für Diesel und 1,489 für gutes Super.
Bald darauf bin ich von einem Pilger eingeholt worden - erfreulicherweise ein Deutscher oder genauer gesagt ein Sachse aus der Nähe von Zwickau, Ulf. Mit ihm habe ich erst mal Internet-Adressen ausgetauscht und ihn dann laufen lassen, weil er ja doch ein ganzes Stück schneller unterwegs ist als ich. Wir haben uns für heute Abend in der Herberge verabredet. Da es im Zielort nur eine gibt, werden wir uns nicht verfehlen, es sei denn, er läuft noch weiter.
An diesem Weg ist für mich vieles neu, unter anderem, dass ich zum ersten Mal schon mit einem schmerzenden Fuß angereist bin. Irgendwann vor einer Woche bin ich wahrscheinlich mal umgeknickt und seitdem tut mir der Spann weh, aber der Fuß muss mit mir mitkommen. Da die Ärzte immer behaupten, dass Bewegung dem Körper gut tut, bin ich zuversichtlich. Ich hoffe nur, der Fuß weiß davon. Etwa da, wo ich Ulf getroffen habe, bekam ich zu sehen, was offenbar als Abschreckung gedacht war: ein schnurgerader, etwa acht Kilometer langer Weg, der ganz weit hinten am Horizont hinter einem Hügel verschwindet. So ist er auch in der Karte verzeichnet und im Wanderführer beschrieben. Bevor es richtig losging, zeigte aber an einer Gabelung ein Wegweiser nach rechts in einen als „Camino de Santiago“ ausge­zeichneten Weg. Der war zwar nicht unbedingt interessanter, aber nicht ganz so eintönig, da er in leichten Kurven durch die Felder führt. Er ist offenbar erst vor kurzem mit einem Belag aus fest gewalztem Split versehen und mit Furten und Brücken aus Beton ausgestattet worden. Nur ein kleines Stück ist noch schlammiger Weg, der ein paar Meter tief in einen Hügel eingeschnitten ist. Das Erdreich wird auf beiden Seiten durch kunstvolle Mauern gestützt, wobei eine der Mauern (wie auch manche Menschen) schon dem Druck von oben nachgibt.
Da hier bestenfalls ein paar landwirtschaftliche Fahrzeuge fahren, liegt der Verdacht nahe, dass der Weg für die Pilger hergerichtet wurde. Es stehen auch an jedem Knick die typischen Tafeln am Weg, die besagen, dass es sich um den Camino de Santiago entlang der Via de la Plata handelt. Zwischendrin steht sogar eine der mannshohen Granitstelen mit der oben genannten Inschrift. Die sollen hier in Andalusien weit verbreitet sein. In Santiago habe ich auch schon welche gesehen. Auf einem langen Stück sind beidseits des Weges außerdem kleine Bäumchen gepflanzt worden. Wenn Roland Marske (mein Lieblingsautor in Sachen Jakobsweg) hier in ein paar Jahren mal unterwegs sein sollte, kann er wieder berichten von „neun Schritte, ein Baum, neun Schritte, ein Baum, …“. Hier tut man offenbar etwas für den Tourismus, auch wenn (noch) nicht viele Leute unterwegs sind. Früher hat mal eine Königin für die Pilger eine Brücke spendiert und es ist gleich eine ganze Stadt nach ihr benannt worden (Puente de Reina). Heute veranlasst das die Tourismus- oder Wirtschaftsförderungs­abteilung irgendwo im Amt und kein Pilger erfährt davon.
Kurz nach vier war ich an meinem Tagesziel in Guillena - und stand vor einer verschlossenen Herberge. Da es eine kommunale ist, für die man mitunter bei der Polizei den Schlüssel bekommt, habe ich kehrt gemacht und bin zurück zum Polizeirevier, an dem ich vorbei­gekommen war. Die hatten dort zwar keinen Schlüssel, aber ein Polizist hat mir die Telefonnummer rausgesucht. Dort habe ich angerufen und der nur Spanisch sprechenden Dame erklärt, dass ich gern in der Herberge übernachten würde. Ihr „un minuto“ hat mich sehr beruhigt, aber als nach zehn Minuten immer noch keiner kam und ich gerade nochmal anrufen wollte, klingelte es erst in meinem Telefon und dann in meinem Kopf, dass ich vielleicht nicht vor der Herberge stehe, in der ich erwartet werde. Und so war es auch. Weil die Dame immer was von „Camino de Luz“ erzählte, habe ich nochmal meine Pilger-App befragt und erfahren, dass es hier doch noch eine zweite Herberge gibt und dass diese so heißt. Da bin ich dann also schnell hin und hab‘ dort problemlos eine Schlafstätte bekommen. Da mir das im Bett gegenüber liegende karierte Hemd bekannt vorkam, konnte Ulf nicht weit weg sein. Den habe ich dann auch auf der Dachterrasse angetroffen und wir sind gleich los, um den zwischenzeitlichen Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Das hat ein bisschen gedauert, weil es so viel zu erzählen gab. Ulf ist vor ein paar Jahren, als er in einer persönlich schwierigen Situation war, losgelaufen - gleich von der Zwickauer Haustür bis nach Santiago. Und da ihm das so gut getan hat, ist er nun immer wieder auf einem Jakobs­weg unterwegs. Das bietet natürlich Gesprächsstoff ohne Ende. Nachdem er mit seinen spanischen Konversationsversuchen bei der Kellnerin und ein paar Gästen Erheiterung und Beifall geerntet hat, bekamen wir plötzlich noch einen Teller mit Käse- und Schinkenstücken hingestellt. Da konnten wir schon aus Höflichkeit nicht gleich aufbrechen. Irgendwann haben wir uns aber doch aufgerafft, weil wir ja noch was fürs Abendbrot und Frühstück kaufen wollten. Da wir auf dem Weg zum Supermarkt an einer Gaststätte mit Pilgermenü vorbei­gekommen sind, haben wir kurzerhand umgeplant und nur fürs Frühstück eingekauft - das ist zwar in unserer Herberge im Preis drin, aber da gibt es nur Marmelade auf Margarine-Stullen. In besagtem Restaurant konnte man sich Vorspeise, Hauptgericht und Dessert ziemlich frei zusammenstellen. Da waren auch recht unverfängliche Sachen dabei. Aber wann bekommt man schon mal einen Pulpo-Salat oder eine Fischsuppe, in der außer Fischen sämtliches Getier des Meeres vertreten ist? Geschmeckt hat es nicht, aber Probieren muss man sowas mal. Ob im Salat und in der Suppe alles in Ordnung war, weiß ich oder meine Witwe morgen.

Via de la Plata - Tag 2