Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 13 (Sa, 9.3.2024) Alcuéscar - Valdesalor / 25,3 km
Heute Morgen war es ungewöhnlich lange still im Schlafraum, weil sich niemand getraut hat, aufzustehen. Es war kalt und wie man durch das Fenster sehen konnte, war kein verlockendes Wetter. Im Treppenhaus fehlten überall die bodentiefen Fenster. Ob sie gerade erneuert werden oder noch nie eingesetzt waren, war nicht zu erkennen. Ein Bauzaun vor dem großen Loch in der Wand verhinderte den Absturz nächtlicher Klogänger aus dem dritten Stock. Dadurch hatte das Treppenhaus Außentemperatur und da die knarrende Tür zum Schlafraum vom zweiten oder dritten Toiletten-Besucher offen gelassen wurde, war es im Schlafsaal auch nicht viel wärmer als draußen. Mit einem halbwegs warmen Schlafsack und zwei Decken drüber war es aber auszuhalten.
Das Haus war mal ein Waisenhaus, wie man an der langen Reihe in kindgerechter Höhe angebrachter Waschbecken erkennen kann. Der einfacheren Bedienung wegen sind die auch nur mit einem Kaltwasserhahn ausgestattet. Die früher im Waschraum befindliche Massendusche existiert nicht mehr, dafür gibt es jetzt ganz ordentliche Duschkabinen, in denen die Handduschen über eine Mischbatterie verfügen - was aber nicht viel nutzt, wenn auch im Warmwasserrohr nur kaltes Wasser ist. Jetzt werden von den im Haus lebenden Priestern und vermutlich weiteren Angestellten in einem Nebengebäude 75 hilfsbedürftige Menschen betreut. Ich hoffe, dass diese nicht den ganzen Tag frieren müssen. Die Priester, die mir begegnet sind, hatten alle dicke, schwarze Mäntel über ihrer Soutane.
Kurz vor halb acht, nachdem die Glocke im Turm neben uns schon zum zweiten Mal ihre Viertelstunden-Schläge abgegeben hatte, kam langsam Bewegung in die schlaftrunkene Pilgergruppe: Andreas & Bastian (Augsburg), Christoph (Tübingen), Hans-Peter (Hannover) und ein älteres niederländisches Paar. Das italienische Pärchen war in einem anderen Saal untergebracht und bestimmt noch im Tiefschlaf. Kaum waren wir auf, kam der Hospitalero, vermutlich, um die Überlebenden zu zählen. Das war ein guter Mann, der nichts für die Unzulänglichkeiten im Haus kann. Deshalb gab es von mir auch eine gute Spende in die dafür vorgesehene Box. Das Abendessen war ja schließlich auch sehr ordentlich. Als wir um halb neun aus dem Haus traten, regnete es schon kräftig. Da es in der Herberge keine Möglichkeit gab, sich Kaffee zu kochen oder was zu essen zu machen, sind wir erstmal auf einen Café con Leche und ein Tostado in die gegenüber liegende Bar.
Da ich ja immer der Langsamste bin, bin ich noch vor den Anderen aufgebrochen. Nach einer knappen Stunde wurde der Regen endlich etwas schwächer. Bis dahin hatte ich aber schon einige Pfützen, welche die ganze Wegbreite einnahmen, mehr oder weniger kunstvoll umrundet. Dann stand ich aber plötzlich vor einer Furt, die von einem fast tosenden Bach überspült war und mindestens 20 cm unter Wasser stand. Ich habe erfolglos alle Varianten überdacht und probiert, um da rüber zu kommen. Eine wäre gewesen, sich an einem dürftigen Zaun auf die andere Seite zu hangeln. Hätte der Zaun nachgegeben, wär man unweigerlich im Graben gelandet und zwar sicher auf dem Rücken, da bekanntlich die Erdanziehungskraft auf den Rucksack besonders stark wirkt. (Heißt das überhaupt „Erdanziehungskraft“, wenn man über dem Wasser hängt?) Ich bin dann lieber ein Stück am Bach entlang gelaufen, bis eine Stelle kam, an der man rüber springen konnte. Nach dem Weg durch die nassen, größtenteils unter Wasser stehenden Wiesen dorthin und wieder zurück, waren die Schuhe nebst Inhalt aber genauso nass, als wäre ich im flinken Dreierhopp durch die Furt oder seelenruhig durchgewatet.
Als dann endlich wieder die Straße (N-630) erreicht war, habe ich mir geschworen, diese bis zum Ziel nicht mehr zu verlassen. Ein Stück verlief diese noch ganz dicht neben dem Camino, auf dem sich Andreas, Bastian und Christoph (fortan „ABC“) näherten. Am ersten überdachten Rastplatz, den ich hier überhaupt gesehen habe, dicht neben einer Römer­brücke, haben wir zusammen Rast gemacht. Sie erzählten, dass A&B an der Furt den Graben unter Zuhilfenahme ihrer Wanderstöcke im kühnen Sprung überwunden haben und dass C mit entblößten Füßen durchs Wasser gewatet ist. Das soll so erfrischend gewesen sein wie die Dusche im Kloster.
Die drei haben sich meinem Vorschlag angeschlossen, auf der Straße zu bleiben und zusammen sind wir bis Aldea del Cano gelaufen und dort zu einem mittäglichen Café con Leche im „Restaurante Las Vegas“ eingekehrt. Auf dem weiteren Weg habe ich die drei wieder laufen lassen und bin langsam hinterher getrottet. Durch die Benutzung der Landstraße sind uns zwar sicher ein paar alte Brücken und Meilensteine aus der Römerzeit entgangen, dafür hat uns die Straße an der eindrucksvollen Burg „Castillo de las Arguijuelas de Arriba“ aus dem 16. Jahrhundert vorbeigeführt. Gegenüber steht noch eine mittelalterliche Kirche und ein Stück weiter ein vermeintlicher Nachbau der Burg, der jetzt wohl Gaststätte und/oder Museum ist, wie die vielen Autos auf dem Parkplatz vermuten lassen. Leider kam an der Stelle wieder ein kräftiger Regenguss runter, weshalb es schwierig war, das sehenswerte Ensemble zu fotografieren.
Von dort war es aber nicht mehr weit bis zum heutigen Ziel, Valdesalor. Dort sind wir als die bis dahin einzigen Gäste in der kommunalen Herberge eingekehrt - ich als Nachzügler mit einer halben Stunde Verspätung. Es ist eine sehr ordentliche Herberge mit 14 Betten, gut eingerichteter Küche und einem großen, halbwegs gemütlichen Aufenthaltsraum. Und mit warmem Wasser! Anmelden muss man sich in der einzigen offenen Kneipe des Ortes und dort die traumhaften 6 € Übernachtungsgebühr zahlen. Wir waren dann noch im Kaufmanns­laden und haben uns Zutaten für das Abendbrot besorgt, das uns C bereitet hat: Nudeln mit Eier-Schinken-Butter-Soße und (mangels Pfeffermühle) handzerstoßenen Pfefferkörnern. Dazu ein schmackhafter Rotwein.
Dann zauberte B ein Spiel aus seinem Rucksack, das er aus Deutschland mitgebracht hat: „Exit - Das Vermächtnis eines Weltreisenden“, wo durch Lösen verschlüsselter Fragen Codes zu ermitteln sind, mit denen man zur nächsten Fragestellung kommt - vergleichbar mit den beliebten Escape-Spielen, bei denen man sich so aus seinem Gefängnis befreien muss. Wir haben eine ganze Weile gemeinsam gegrübelt, aber mit einem Banker (A), einem Internisten (B) und einem Architekten (C) als Mitspielern war alles lösbar. Es hat großen Spaß und müde gemacht. Was ich vergessen habe zu erwähnen: als wir gerade beim Essenkochen waren, klopfte es und Oscar und Claudia standen vor der Tür. Die sind ja seit gestern uns allen bekannt und wurden gleich bejubelt. Nun sich wir schon fast eine richtige Clique.

Via de la Plata - Tag 13