Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 19 (Fr, 15.3.2024) Aldeanueva del Camino - La Calzada de Béjar / 21,8 km
Etwas ganz Besonderes an der gestrigen Herberge habe ich vergessen zu erwähnen. Es war dort in allen Räumen kuschelig warm - auf dem Flur, in der Küche und im Schlafraum und vor allem im Bad. War das ein Vergnügen, unter der warmen Dusche zu stehen und dann ins Warme zu treten! Schlafen konnte man ohne eigenen Schlafsack im T-Shirt. Nur die Luft wurde irgendwann knapp, obwohl wir nur zu dritt im 8er-Schlafsaal waren. Ich hatte leider nicht noch im Hellen erkundet, wie das Fenster aufgeht, aber eine offene Tür zum Treppenhaus hat dann auch geholfen.
Eine Story will ich noch loswerden, die aus einem guten Sketch stammen könnte. Die Waschmaschine mit Nicklas’ und meiner Wäsche rödelte noch vor sich hin. Da erschien der weibliche Teil eines älteren, belgischen Ehepaares mit einem Bündel Wäsche unter dem Arm. Sie trampelte förmlich vor Ungeduld und fragte laufend, wie lange der Waschgang noch dauert, obwohl im Display 7…6…5 Minuten angezeigt wurde. Ich musste sie regelrecht anflehen, unserer Wäsche die verbleibenden Minuten zu gönnen, denn es könnte ja noch ein wichtiger Programmpunkt kommen. Als der Countdown abgelaufen war, habe ich unter strenger Beobachtung den noch mit Pepes Wäsche bestückten Wäschetrockner geleert und unsere Wäsche dorthin umgelagert. Dann haben wir ziemlich zeitgleich unsere Maschinen gestartet - sie ein 25-Minuten-Waschprogramm und ich ein Trockenprogramm von 1:15 Stunden. Ihre 25 Minuten waren noch nicht ganz abgelaufen, da stand sie schon wieder un­geduldig im Maschinenpark und fragte, wie lange denn der Trockner noch läuft (was natürlich auch exakt angezeigt wurde) und gab bettelnd zu verstehen, dass sie nichts anzuziehen hätte. Irgendwie tat die Frau mir leid, da sie ein lädiertes Knie hat und grauenhaft gehumpelt ist, als ich sie und ihren Mann unterwegs getroffen habe. Aus Mitleid habe ich den Trockner gestoppt, unsere Wäsche für eine spätere Fortsetzung des Trockenprogramms zwischen­gelagert und ihr den Vortritt gelassen. Kaum drehte sich der Trockner mit ihrer Wäsche, verschwand sie aufs Zimmer und kam ein paar Minuten später neu eingekleidet mit ihrem Mann, um Essen zu gehen. Mir gab sie noch die Instruktion, die Wäsche aus dem Trockner zu nehmen und auf den Tisch zu legen, wenn das Programm fertig ist. Das war wie aus einem SketchUp-Drehbuch. Aber ich habe mich gerächt und ihre Wäsche beim Programm­ende wirklich nur rausgenommen und nicht ordentlich zusammengelegt und sortiert!
Anders bei Pepe, meinen Zimmergenossen, dessen Wäsche ich aus dem Trockner geholt hatte, während er in einer Seniorenresidenz zum Essen war. Ich habe seine Wäsche zumindest so auf einen Wäscheständer verteilt, dass sie nicht muffig wird. Wie die Wäsche dort hin kam, hat ihn nicht interessiert, als er zurückkam. Stattdessen erschien er ein paar Minuten später mit einer einzelnen Socke in der Hand und stellte inquisitorische Fragen. Obwohl ich ihm erklärte, dass nichts in der Trommel geblieben sein kann, da die inzwischen mehrfach geleert und neu befüllt wurde, lies er sich nicht davon abhalten, mein Trocken­programm zu stoppen und den Trommelinhalt nach seiner fehlenden Socke zu durchforsten - natürlich ohne Erfolg, denn sie fand sich später in einem Hosenbein. Da überkam mich ein schlechtes Gewissen, dass ich seine Wäsche nicht sorgfältig entfaltet und die Socken nicht paarweise aufgehängt habe.
Die Besonderheit des heutigen Tages bestand darin, dass es in die Berge ging. Das breite, links von kleinen und rechts von großen Bergen eingefasste Tal, in dem ich die letzten Tage gelaufen bin, verengt sich nördlich meines letzten Etappenortes und ab Baños de Montemayor geht es nur noch über die Berge weiter. Ja, richtig gelesen: „Baños“ - das klingt wie „Badewanne“ und war wirklich mal ein römischer Badeort mit Thermalbad, wovon wohl noch ein Teil erhalten ist und in einem noblen Hotel als Spa genutzt wird. Ich glaube, das Römische Reich ist untergegangen, weil alle in der Badewanne saßen und niemand mehr was erobert oder verteidigt hat.
In Baños de Montemayor, wo es vielleicht an der durchführenden N-630 in den Hotels etwas Leben gibt, war es im Ortszentrum völlig ausgestorben. Da mangels offener Kneipen auch kein Klo im Angebot war, bin ich in einer Arztpraxis auf ein solches gegangen. Am Ortsende konnte man wählen, ob man die in mehreren Schleifen bergauf führende N-630 nimmt, oder auf dem Camino bleibt und einen ziemlich steilen Aufstieg mit echt römischem Pflaster nutzt. Ich habe das Römerpflaster gewählt, obwohl eigentlich nur der Historiker und der Chirurg was von diesem unebenen Belag haben. Oben, wieder an der Straße angekommen, wurde ich aber mit einem schönen Blick zurück auf den Badeort und einen dahinter liegenden Stausee belohnt. Weiter ging es auf der N-630, die hier wieder parallel zur Autobahn führt und entsprechend leer ist.
Kurz vor Puerto de Béjar führt der Camino nach links von der Straße weg - der knapp 900 Meter hoch gelegene Pass (Puerto) blieb mir deshalb aber nicht erspart. Später führte der Weg lange Zeit auf der historischen Römerstraße an einem Berghang entlang. Links ging es recht steil hoch und rechts genau so steil runter. Unten tost ein reißender Bach. Die Straße ist zwar mit echten römischen Begrenzungssteinen versehen, aber ich möchte nicht wissen, wie viele in Blech gekleidete Krieger trotzdem da runter gestürzt sind und jetzt im feuchten Grund vor sich hin rosten.
Schließlich führte der Weg aus mühevoll erklommener Höhe runter zu besagtem Bach und über eine echte, mehrbogige römische Brücke auf eine einsame Landstraße, die nach La Calzada de Béjar, meinem heutigen Etappen-ort führt. Auf dem Abstieg habe ich die beiden deutsch-spanisch/französischen Ehepaare wiedergetroffen - jetzt alle mit Rucksack, denn der auf dem Flug verlorengegangene Rucksack der Französin hat sich angefunden und ist ihnen in den nächstgrößeren Ort geliefert worden. Auf dem Abstieg stand plötzlich auch ein kleiner Seat mit deutscher Autonummer (UN-…) vor einem alten Haus, an dem Schilder mit „Albergue“ und „Café“ einluden. Bei dem durch die Toreinfahrt zu sehendem jungen Paar handelt es sich vielleicht um Deutsche, die sich hier niedergelassen haben und eine Herberge betreiben wollen. Schön, dass sich immer wieder Mutige finden, die sowas wagen.
Die Straße verlief hinter der Brücke eine Weile entlang des Baches. Auf der linken Seite ging es ziemlich steil bergauf und überall ragten Felsen aus der Erde. Bei einigen herum liegenden Brocken, die bei uns gut als „Markgrafensteine“ durchgehen würden, deutete manches darauf hin, dass sie vor gar nicht langer Zeit oben aus der Felswand gebrochen und an ihren jetzigen Platz gerollt sind. Auf den letzten knapp zwei Kilometern ging es nochmal von der Straße weg und auf einem steinigen Weg, der zugleich Bachbett ist, bergauf. Hier kam man aber auch mit beschränkten Balancierkünsten trockenen Fußes voran.
Oben angekommen, war hinter einem Mäuerchen ein weißhaariger Kopf zu sehen und beim Näherkommen war zu erkennen, dass der dazugehörige Körper Pepe gehört. Das dahinter befindliche Gebäude war folglich die hiesige „Albergue Alba-Soraya“. Da wollte ich hin. Die Chefin saß da schon mit gezücktem Stempel. Nachdem ich diesen für meine 12 € Über­nachtungsgebühr bekommen hatte, fragte ich bescheiden nach einem evtl. im Kühlschrank befindlichen „Cerveza“. Fehlanzeige. Aber die Herbergs-Chefin hat mich auf die hiesige Bar verwiesen und sich aufs Rad geschwungen, um mir den Weg zu zeigen - nicht ganz uneigennützig, denn ihr gehört auch die Kneipe …

Via de la Plata - Tag 19