Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 31 (Mi, 27.3.2024) Asturianos - Requejo / 24,4 km
Heute früh um 6.15 Uhr, noch bevor Kees’ Wecker klingelte, erstrahlte plötzlich unser Schlafraum im grellen Neonlicht. Der Strom war wieder da. Schnell haben wir den Heizer reingesteckt, damit es zum Anziehen und Einpacken etwas überschlagen ist. Dank der dicken, warmen Steppdecken, die man über den Schlafsack legen konnte, war es nachts eigentlich ganz angenehm. Nur beim Klogang auf dem Flur und bei Frühstück in der Küche war es bitterkalt.
Draußen war es nicht besser. Vom Schnee sind auf den Wiesen nur ein paar Krümel übrig geblieben, aber auf den geparkten Autos war doch eine richtige Kruste. Am Himmel hing eine dicke, schwarze Wolke und es sah aus, als ob gleich wieder was runter kommt. Das wäre dann aber Regen gewesen, da inzwischen drei Grad waren. Weil abzusehen war, dass die Wege wieder verschlammt sind bzw. unter Wasser stehen, bin ich wie Ivor und Kees den ganzen Tag auf der Straße geblieben. Wann immer man einen Blick auf den Camino werfen konnte, der mehrmals die Straße kreuzte, konnte man sich gratulieren, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Nach einer Weile klarte es zumindest am Horizont auf. Im nächsten Ort lockten gleich zwei Bars mit einem warmen Kaffee, aber ich bin lieber so schnell als möglich gelaufen, um der dunklen Wolke über mir zu entfliehen. Zum Glück hat sich aber das Wetter an die Vorhersage gehalten und es blieb den ganzen Vormittag trocken. Kurz vor Puebla de Sanabria kam sogar mal für einen Moment die Sonne raus. Der vor dem Rio Tera gelegene Teil der Stadt besteht mehr oder weniger aus einer Hauptstraße mit Geschäften, Restaurants und zugeparkten Bürgersteigen. Da habe ich mir eine Pause mit Café con Leche und Tortilla gegönnt. Außerdem habe ich vorsichtshalber in einem der Supermärkte Brot, Käse und Wurst gekauft, weil ich nicht wusste, was ich am Zielort bekomme.
Als ich aus dem Supermarkt rauskam, begann es leider zu regnen. Ich bin trotzdem hinter der Brücke die lange Stiege hoch zur Altstadt gestiegen, die von einer Burg und einer weithin sichtbaren Kirche gekrönt wird. Glücklicherweise habe ich den tollen Blick von unten hinauf zur Altstadt noch bei halbwegs Sonnenschein fotografieren können. Oben angekommen, bot sich ein schöner Blick auf die Umgebung. Noch mehr hätte man oben von der Burg sehen können, die ein Museum beherbergt. Aber so prickelnd wäre das im Regen auch nicht gewesen. Erfreulicherweise waren die Kirche und daneben die Kapelle offen, sodass man sich umschauen konnte. Die Kirche konnte mit einem goldenen Altarhintergrund aufwarten und in der Kapelle standen schon die Figuren für die Osterprozession bereit. Das Rathaus war auch offen. Da gab es zwar nichts zu sehen, aber im Eingangsbereich standen Stühle, auf denen man wind- und regengeschützt Picknick machen konnte. Puebla wäre lt. Wander­führer gestern mein Tagesziel gewesen, aber Gronze wusste, dass die dortige Herberge seit September 2023 wegen „höherer Gewalt“ geschlossen ist. Ob damit ein Unwetter oder das Finanzamt gemeint ist, war nicht heraus-zubekommen. Äußerlich sah die tatsächlich geschlossene Herberge eigentlich gut aus. Da es im Ort sonst nur teure Unterkünfte gibt, habe ich wie meine Mitstreiter die Etappenplanung geändert und aus zwei Etappen drei gemacht. Also ging es weiter, leider überwiegend im Regen und Sturm.
Auf der Rückseite der Altstadt führte ein Weg runter zur Straße, die mich zur
N-525 brachte, auf der ich bis Requejo de Sanabria, meinem heutigen Tagesziel, gelaufen bin - stets bemüht, vom Wind nicht umgehauen zu werden. In Requejo angekommen, war erstmal der Schreck groß, dass die dortige Pilgerherberge geschlossen ist - laut einem Zettel an der Tür vom 20. März bis 10. April. Aber schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite fand sich die private 15 €-Herberge „Casa Cerviño“. Leider ohne Heizung, aber mit dicken Steppbetten. Zum Schlafen ok. Zum Glück habe ich mir aus Puebla schon was zu Essen mitgebracht, denn was hier als Laden in der Karte vermerkt ist, sind drei kleine Regale in der Kneipe: eins mit Konserven, ein anderes mit Knabberzeug und eins mit ein paar Drogerie­artikeln. Das einzige für mich brauchbare war ein Glas Pimentos - sowas wollte ich vorhin nicht mitschleppen. In einer Gaststätte im Ort gäbe es ein preiswertes Menü, aber ich habe wieder keine Lust, mich da allein hinzusetzen, außerdem müsste man da im Regen ein ganzes Stück laufen. Kees und Ivor, die auch in der Herberge sind, machen keine Anstalten, Essen zu gehen. Außerdem sind die beiden immer etwas anstrengend. Ivors Englisch ist kaum zu verstehen und bei Kees weiß ich immer gar nicht, ob er Deutsch oder Englisch spricht. In der Herberge ist außerdem der Kolumbianer, der letzte Nacht über mir geschlafen hat. Der spricht nichts außer Spanisch. Sieglind ist irgendwie verloren gegangen. Vielleicht hat sie sich hier ein Hotel genommen oder sie ist in Puebla geblieben.
Eine neue Bekanntschaft fand sich aber in der Herberge, nämlich Paul, ein junger Mann aus Österreich. Der ist von zuhause im Südosten Österreichs über Slowenien, Norditalien, Südfrankreich (Nizza, Marseille, Montpellier, Toulouse) nach Saint-Jean-Pied-de-Port und auf dem Camino Francés nach Santiago (3000 km). Von dort läuft er nun meinen Weg rückwärts bis Mérida und dann schräg durch Südspanien nach Almeria am Mittelmeer (1400 km). Der hat auf seiner Tour einigen Schnee zu sehen bekommen, auch auf dem Pass, über den wir morgen müssen. Gerade habe ich von Andreas und Bastian, die mir einen Tag voraus sind, ein Bild von der Überquerung des etwa 1350 Meter hohen Passes bekommen. Da sieht es ziemlich weiß aus und im Hintergrund ist ein Schneeschieber im Einsatz. Ich werde also morgen mindestens so viel anziehen müssen wir heute: vier Lagen unter der Windjacke und zwei Schlüppis in der Sommer-Wanderhose. Aber vermutlich ist ja der Regenponcho erforderlich, das ist dann eine zusätzliche und zudem windabweisende Schicht.
Bei der hiesigen Herberge ist es zum Glück so, dass die Tür offen steht und man sich bei der Ankunft selbst ein Bett suchen kann. Wenn dann der Hospitalero kommt, wird registriert, bezahlt und gestempelt. Mit der Bettenwahl habe ich es mir hier schwer gemacht. Da war neben Kees noch eins am bodentiefen Fenster frei, das ich mir gleich ausgesucht habe. Beim Probeliegen zeigte sich aber, dass das Fenster ziemlich kalt abstrahlt und dass es durch die Ritzen zieht. Darum habe ich mir ein Bett ganz am anderen Ende des Zimmers gesucht, aber da war es so finster, dass Depressionen drohten. Da bin ich reumütig zurück ans Fenster und habe das dortige Bett mit Decken so ummantelt, dass mich kein Windzug mehr zum Frösteln bringt.
Nachdem der Hospitalero zum Kassieren da war, bin ich eiligen Schrittes im Regen zu der Kneipe mit den drei Regalen und habe es mir an einem der zwei Tische bequem gemacht. In der Ecke bullerte ein mit Holz bestückter Kanonenofen und aus dem Hahn rann kühles Bier. Was will man mehr. Nur das Fernsehprogramm hätte besser sein können. Da lief so eine Art Miss-Marple-Krimi, der zwar die drei anwesenden Gäste, aber nicht mich gefesselt hat. Irgendwann kam Paul rein. Der ließ sich aber nicht auf ein Bier einladen, da er es eilig hatte. Er hat bei der Frau des Hospitaleros zwei Eier abgestaubt, wovon er sich eines als Rührei zubereiten wollte, wofür ihm noch Zutaten fehlten. Das andere Ei soll morgen als Frühstücks­ei dienen. Wie anspruchslos wird man doch nach ein paar Monaten Jakobsweg! Als das nächste Mal die Tür aufging, traten Ivor und Kees in den Raum und gesellten sich zu mir - ganz in die Nähe des Kanonenofens. Wir haben da eine ganze Weile gesessen, gequatscht und die Wärme des Ofens in uns aufgesogen. Kees, der in der Nähe von Groningen wohnt, hat dann mal ein Familienbild gezückt, auf dem anlässlich seines 45. Hochzeitstages die drei Söhne und drei Töchter nebst Enkeln versammelt sind. Das ergibt eine ziemlich große Gruppe. Und, bis auf einen Sohn, der etwas südlich in Holland lebt, wohnen alle Kinder ganz in der Nähe.
Etwa um acht wurde es voll in der Kneipe und es war uns schon fast peinlich, dass wir drei der acht Stühle in Beschlag nehmen. Aber an der Bar war ja reichlich Platz. Kurz vor neun sind wir in die Herberge gezogen. Ich habe mir einen noch im Rucksack befindlichen Salat mit den gerade gekauften Piementos gemixt und Ivor hat sich eine Büchse mit Fleischbällchen auf die Herdplatte gestellt. Und bums - der Strom war weg. Meinem Salat hat das nichts gemacht, zumal ich fast fertig war, aber Ivor musste seine Fleischbällchen lauwarm mit Stirnlampe verspeisen. Kaum war er damit fertig, ging das Licht wieder an. Da es hier nur kalte Heizkörper und keine Elektroheizung gibt, kann uns heute niemand mit einem Stromausfall ärgern.

Via de la Plata - Tag 31