Tag 3 (Sa, 14.10.2023) Azambuja - Santarém / 32,9 km
6.30 Uhr. Ich habe gut geschlafen und auch nicht geschwitzt. Im Einvernehmen mit den anderen Pilgern habe ich die Tür zum kleinen Garten offen stehen lassen, ebenso die zum Aufenthaltsraum, wo das große Fenster zur Straße gekippt ist. Damit hatten wir Durchzug und halbwegs kühle, frische Luft zum Schlafen.
Da ich morgens immer gern trödle, bin ich um sechs raus, aufs Klo, unter die Dusche und an den Küchentisch, in der Hand eine Tasse Instant-Kaffee von Auchan. Gestern Abend war ich bei der Konkurrenz, in einem großen Intermarché, wo ich unter anderem „Tagliatelle Carbonara“ für die Mikrowelle erworben habe, die nach dem Öffnen zwar nicht so toll aussah wie auf dem Etikett, aber ganz gut geschmeckt hat. Das Etikett war vielleicht wie bei uns oft nur ein „Serviervorschlag“.
An der Wand der Herberge hängt eine Statistik, wo die 1933 Pilger herkamen, die im vorigen Jahr hier übernachtet haben: 305 Italiener, 246 Spanier, 166 Portugiesen, 151 Franzosen, 148 Deutsche, 140 Amerikaner, 78 Holländer, 61 Engländer, um es mal bei den acht Bestplatzierten zu belassen. Dass hier doppelt so viele Italiener wie Deutsche unterwegs sind, wundert mich schon. Die müsste man doch hören … Im Schlafraum der Herberge fehlte übrigens die Hälfte der abgehängten Decke. Ich dachte, da hat jemand die Renovierungs­arbeiten unterbrochen, aber Estefania hat bei der Hospitalera in Erfahrung gebracht, dass diese mal nachts abgestürzt ist und Pilger unter sich „begraben“ hat. Aber viel Schaden hat der Gipskarton wohl nicht angerichtet.
Kurz vor acht sind wir nach einem Gruppenbild, das der Engländer von uns gemacht hat, los. Es ging auf der Fußgängerbrücke zur anderen Seite der Bahn und dann auf einem völlig überdimensionierten, ganz neuen Fuß-/Radweg ins Nichts. Hinter einem kleinen Fluss bog der Weg ab. Der war hier mit weichem, hellem Stein gepflastert und man sah überall die Rillen, welche über Jahrhunderte hinweg die Fuhrwerke dort eingraviert haben. Weiter ging es durch die Felder, die überwiegend abgeerntet und schon wieder gepflügt waren. Später ging es lange auf einem gewalzten, aber staubigen Weg voran, dann mal wieder auf einer kaum befahrenen Straße und letztlich über einige Kilometer auf einem zumindest halbseitig befestigten Deich. Der Tejo war so weit weg, dass man ihn nicht sehen konnte, aber bei Hochwasser reicht er wohl bis hier.
In Reguengo führt die Straße auf dem Deich durchs Dorf, ca. vier Meter höher als die schmale Dorfstraße, welche die hinterm Deich stehenden Häuser verbindet. Da ist kein Geländer, nicht mal ein farbiger Strich an der Kante. Wenn man dort einem Auto ausweichen muss, ist man vier Meter tiefer und kann nur hoffen, dass man halbwegs weich auf ein geparktes Auto fällt.
Im nächsten Ort haben wir (Raoul und ich) Estefania und Tino in ihrer Herberge abgeliefert - da, wo ich in der letzten Nacht schlafen wollte, aber kein Bett mehr bekommen habe. Die Herberge ist aber wirklich winzig. Zur Straße hin eine Tür und ein Fenster und nur zwei Etagen hoch. Der Abschied war sehr herzlich. Estefania war überglücklich, dass Raoul es geschafft hat, die WhatsApp-Chats von einem alten zu einem neuen Account zu übertragen, was erforderlich wurde, weil sie eine neue Telefonnummer hat. Und ich habe mich gern mit ihr unterhalten. Sie ist viel unterwegs, aber im Sommer wird sie bei der Verwandtschaft in Kärnten in deren Gastwirtschaft auf der Alm aushelfen - auf 1500 m Höhe. Sie kann also kein Berg auf dem Camino erschrecken.
Hinter Valada folgte drei Kilometer weiter noch ein Ort, wo wir uns in einer Bar gestärkt haben, denn dann kam auf 16 km bis zum Etappenziel nichts mehr. Auf einem staubigen Weg, oft beidseits mit Schilf bestanden, ging es ziemlich genau nach Norden, also immer mit der Sonne im Rücken. Nirgendwo eine Bank oder ein Mäuerchen, wo man sich mal hätte hinsetzen können. Hinter dem ersten, Schatten versprechenden Knick haben wir im Stehen Pause gemacht und zwei kleine Fläschlein Schwarzbier verkostet, die ich tags zuvor zum Probieren erworben hatte. Zum Verkosten war ich aber nicht mehr gekommen. Das Bier war natürlich pup-warm, hat aber in dieser Situation hervorragend geschmeckt, vor allem das „Super Bock Stout“. Das klingt gefährlich, ist aber harmlos und wie gesagt selbst im warmen Zustand lecker.
Bald kam vor uns rechts eine tolle Schrägseilbrücke und links eine Stadt auf dem Berg in Sicht, beides von der Sonne beschienen, aber wie ein Schild verriet, noch 4…5 Kilometer entfernt. Als die Brücke in Fotografierweite kam, war leider die Sonne weg und zudem zu viel Grünzeug im Weg. Unter der Brücke sind wir auf eine Straße gestoßen, die nach Santarém hinein führt, das heißt in diesem Fall bergauf, was nach über 30 Kilometern sehr verdrießlich stimmt. Gleich am Anfang stand in einer Kurve eine etwa zwei Meter hohe Säule bestückt mit Täfelchen, auf denen ein Name und ein Datum stehen. Ich dachte, dies sind all jene, die mit dem Auto gegen diese Säule gedonnert sind, und ich habe mich nur gewundert, dass da drunter so viele namens Marco sind. Dann habe ich erst geschnallt, dass es sich um Hochwassermarken handelt und die März-Hochwasser besonders häufig auftreten. Für jemand, der weit weg von über-schwemmungsfähigen Flüssen wohnt, ist es unvorstellbar, welch riesige Flächen ein Fluss unter Wasser setzen kann.
In Santarém angekommen, sind wir in den erstbesten Bistro, einen Inder, wo wir uns jeder ein Bier und eine leckere, „spicy“ gefüllte Teigtasche mit etwas Salat haben kommen lassen. Alles zusammen für 4,60€ - für Beide gemeinsam! Da macht es noch Spaß, in die Kneipe zu gehen. Wir haben trotzdem entschieden, uns nach dem Einchecken im „N1-Hostal“ im nächsten Supermarkt zu versorgen, statt uns in eine Gaststätte zu setzen.
Raoul hatte sich mangels preiswerter Alternativen auf den letzten Metern entschieden, auch dort zu übernachten, wo ich gebucht habe. Das Einchecken war dann aber nicht so leicht, da die Dame am Tresen überhaupt nicht ihrer Aufgabe gewachsen war. Statt uns nacheinander abzufertigen, hat sie es mit Beiden gleichzeitig versucht und dann nicht mehr auf die Reihe bekommen, wer noch zu bezahlen oder zu unterschreiben hat und wer welche Zimmerkarte bekommt. Unsere Ausweise hat sie auch erst vom Kopierer geholt, als wir danach gefragt haben. Dass eine der Key-Karten nicht funktioniert hat, ist vielleicht nicht ihre Schuld. Das an der Bar angepriesene Heinecken aus dem Hahn (2,50€ für 0,5 Liter) hat sie leider nicht servieren können und wollte uns stattdessen mit einem Flaschenbier abspeisen, was wir uns eh im Supermarkt holen wollten. Als wir es uns nach dem Einkauf zum Abendbrot an einem der großen Tische in der leeren Lobby bequem machen wollten, hat sie uns leider verjagt. Wenigstens das hat sie hinbekommen.
Wir mussten mit unserem Kram auf die Terrasse flüchten, wo ich jetzt noch sitze. Raoul hat sich nach dem Essen verabschiedet. Ich bin gespannt, ob wir uns nochmal sehen. Er will ja ohne den Umweg über Fátima nach Santiago laufen. Ich habe ihm allerdings die vorbei an diversen Kirchen und Klöstern führende „spirituelle Variante“ zwischen Pontevedra und Padron aufgeschwatzt, die ich selbst gern gehen will, wenn die Zeit ausreicht.
Es hat Spaß gemacht, einen Tag mit ihm zu laufen. Er hat übrigens vier Jahre Landwirtschaft studiert und arbeitet jetzt in einer halbstaatlichen Forschungseinrichtung nahe der Ebro-Mündung, die unter anderem erforscht, ob und wie man Reis anbauen kann, wenn nur wenig Wasser zur Verfügung steht. Das ist ja mal ein sinnvolles Forschungsgebiet.
Es ist zwar mit Pullover noch sehr gut auf der Terrasse auszuhalten und die Country-Musik vom Grundstück gegenüber (John Denver, Johnny Cash etc.) könnte ich die ganze Nacht hören, aber jetzt kommen die fiesen portugiesischen Mücken, die keinerlei Respekt vor deutschem Mückenspray haben. Gute Nacht!

Camino Portugues Central - Tag 3