Es ist ein schöner Sommertag im August 2010. Ein lange schon bestehender Vorsatz soll endlich in die Tat umgesetzt werden: Ein Stück auf dem „Jakobsweg vor der Haustür“ laufen.
Ganz konkret geht es um die erst vor kurzem ausgeschilderte Strecke von Strausberg nach Werneuchen. Auf dem ganzen Weg von Frankfurt (Oder) nach Bernau ist das die 5. Etappe.
Mit dem 944er Bus der Märkischen Busgesellschaft geht es von Hönow Nord zum S-Bahnhof Hoppegarten, der 2007/2008 eine völlig neue Fußgängerbrücke mit Aufzügen bekam.
Der sogenannte Kaiserbahnhof auf der Südseite der Gleise, der einst für Rennbahnbesuche der kaiserlichen Familie angelegt wurde, steht unter Denkmalschutz und wartet (2010) noch auf eine Rekonstruktion und eine neue Nutzung.
Von Hoppegarten geht es mit der S-Bahn nach Strausberg Stadt und zu Fuß zum treppenförmigen Marktplatz mit dem Alten Stadthaus (Rathaus) am oberen Ende. Links davon, durch eine kleine Gasse erreichbar, steht die Strausberger Marienkirche, auch Stadtpfarrkirche St. Marien genannt.
Zum Glück handelt es sich wirklich um eine Offene Kirche.
Die im 13. Jahrhundert errichtete Kirche wurde nach Bränden 1341 und 1432 renoviert und umgebaut. Es handelt sich um eine dreischiffige Basilika mit Kreuzrippengewölbe. Die Gewölbemalereien stammen aus dem Jahre 1448. Der ohnehin hohe Turm wurde 1815 mit einem 50 Meter hohen Holzaufsatz versehen, der aber 1922 bereits wieder entfernt wurde. Die Annenkapelle auf der Südseite, über die der Zugang zur Kirche erfolgt, erhielt 1815 ein klassizistisches Portal - das der Garzauer Pyramide, die dem Verfall preisgegeben war.
Die Größe der Kirche und ihre Ausstattung sind beeindruckend. Es ist eine der größten Feldsteinkirchen der Mark sowie das älteste und höchste Gebäude Strausbergs. Besonders beeindruckend ist das farbig bemalte Kreuzrippengewölbe.
Der geschnitzte Altar aus dem 16. Jahrhundert, die barocke Holzkanzel und die Orgel sind ebenfalls äußerst sehenswert.
An den Wänden finden sich außerdem einige Epitaphe, so zum Beispiel für den könig­lichen Accise-Einnehmer, Rathsherrn und Cämmerer Andreas Hundertmarck (welch passender Name!), der von 1651 bis 1709 gelebt hat.
An den Wänden finden sich außerdem Kriegergedenk­tafeln für die Gefallenen der Befreiungskriege 1813-1815 und des Deutsch-Französi­schen Krieges 1870/71, letztere mit Sterbeortangaben.
1813-1815
Aus diesem Kirchspiel verstarben für König und Vaterland:
  • Joh. Fried. Roeder. Oj.
  • Carl Fried. Reichel. Uo.
  • Joh. Gottlieb Simson. Uo.
  • Joh. Phil. Salomon. Gr.
  • Daniel Polack. Gk.
  • Aug. Weissenborn. Gr.
  • August Krüger. Gr.
  • Ludwig Goeritz. Mq.
  • Joh. Dan. Müller. Mq.
  • Joh. Carl Lecoutre. Mq.
  • Joh. Gottlieb Roose. Mq.
  • Wilhelm Keuch. Mq.
  • Joh. Fried. Müller. Hus.
  • Wilhelm Feuer. Lm.
  • Gottfried Zepernick. Lm.
  • August Chikar. Lm.
  • Fried. Rangnow. Lm.
  • Joh. Fried. Giel. Lm.
  • Aug. Meinecke. Lm.
  • Wilhelm Matthes. Lm.
  • Friedrich Winning. Lm.
  • Aug. Wilh. Straube. Lm.
  • Christ. Grunenwald. Lm.
  • Phil. Heinr. Fittig. Mq.
  • Friedrich Geesdorf. Mq.
  • Friedrich Müller. Tr. S.
 Aus diesem Kirchspiele starben für König und Vaterland.
  • Ferdinand Below, 18. April 1864 Düppel.
  • Gustav Ellvers, 16. August 1870 Vionville.
  • Gustav Ließ, 16. August 1870 Mars-la tour.
  • Friedrich Engel, 18. August 1970 St. Privat.
  • Carl Memmerl, 30. October 1870 le Bourget

Erwischt man einen Tag, an dem durch die Kirche geführt wird, kann man auch einen Aufstieg in den Turm unternehmen und von dort einen Blick auf die Stadt werfen.
Wenn man sich dabei an einem Balken den Kopf stößt, dann sollte man nachschauen, welche Jahreszahl (z. B. 1734) dort eingeritzt ist. Damit kann man dann gut prahlen.
Wieder auf dem Boden angekommen, sollte man sich die umliegenden Straßen und Gassen ansehen und dann die Klosterstraße gen Norden laufen. Dabei bekommt man noch ein paar schöne Altstadthäuser, das Amtsgericht und das Landratsamt, d.h. den Standort Strausberg des Landrates von Märkisch Oderland, zu sehen. Spätestens in der Großen Straße ist man wieder auf den Jakobsweg, der am Kulturpark vorbei durch die Badstraße zum Wasser führt, wo man einen schönen schattigen Wanderweg am Ufer des Straussees vorfindet.
Mit etwas Glück kann man von dort die Personen­fähre entdecken, die seit 1894 das Stadtgebiet mit dem Waldgebiet „Jenseits des Sees“ verbindet. Seit 1915 verkehrt hier eine elektrische Seilfähre mit Oberleitung, die in Europa einzigartig ist und als technisches Denkmal gilt. Das gegenwärtie Fährschiff wurde 1967 in Marienwerder gebaut.
Bei der Badestelle am Straussee, zu der die gut besuchte Liegewiese und das umgestürzte DIXI-Klo gehören, handelt es sich um die ehemalige Militärbadeanstalt des 60. Infanterie-Regiments, das von 1860 bis 1868 in Strausberg stationiert war. Danach befand sich hier bis 1901 die Männerbadeanstalt namens „Städtische Badeanstalt vor dem Wriezener Tor“.
Immer den Jakobsweg-Schildern folgend umrundet man mit der Gielsdorfer Straße das Nordende des Straussees und muss dann versuchen, am Abzweig der Wesendahler Straße die stark befahrene Umgehungsstraße zu überqueren.
Wenn einem das gelingt, ist man schon im Wohngebiet Friedrich-Schiller-Höhe, das man längs durchschreitet.
Am Wegesrand grüßt der Namensgeber der Siedlung vom Sockel herunter, sonst sind kaum Leute auf der Straße zu sehen. Bei diesem schönen Wetter haben alle im Garten zu tun, wenn sie nicht gerade mit dem Kremser unterwegs sind.
Der Wesendahler Straße folgend geht es bis auf einen Schlenker am Ortsende immer geradeaus nach Wesendahl.
Der Weg ist fest und trocken - bis auf die letzten zweihundert Meter vor der Wesendahler Mühle. Da stößt das Grenzfließ Gamengrund auf den links vom Weg liegenden Fängersee und setzt dort selbst bei Trockenheit den Wald unter Wasser. Das ist sehr schön anzusehen, führt aber leider oft auch dazu, dass der Weg stellenweise aufgeweicht ist.
Weit tragischer als das kurze schlechte Wegstück ist die geschlossene Wesendahler Mühle am Nordende des Fängersees, die 1608 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Dass dort kein Korn mehr gemahlen wird, kann man verkraften, aber daß der Kneipenbetrieb schon vor einigen Jahren eingestellt wurde, ist eine Katastrophe. Am Herrentag waren ständig einige Kremser zwischen der Spitzmühle und der Wesendahler Mühle unterwegs und durstige Radfahrer und Wanderer kamen hier immer in größerer Zahl vorbei.
Schade, dass das offenbar nicht gereicht hat, eine Gaststätte zu betreiben. 2007 wurde sie Gaststätte geschlossen und nun wird sicher das ganze Gebäude schnell verfallen und vielleicht auch bald nichts mehr vom großen unterschlächtigen Mühlrad zu sehen sein.
Auf dem nächsten Wegstück wird man meist von heftigem Hundegebell begleitet, denn es geht am Zaun des links liegenden Wesendahler Tierheims vorbei.
Dort ist mindestens ein Holzkünstler ansässig, denn nicht nur beidseits der Zufahrt zum Tierheim, sondern auch im nahen Wald findet sich eine große Anzahl mystischer Figuren.
Ein Trost für die geschlossene Wesendahler Mühle ist die Pferdeschenke am Camargue Pferdehof in Wesendahl, die man vom Tierheim in einem kurzen Marsch durch ein Wäldchen und später zwischen Pferdekoppeln hindurch erreicht.
Da findet man immer einen kleinen Imbiss und einen schönen Platz im Freien. Für den Fall, dass es draußen zu frisch oder feucht ist, gibt es auch im 8-eckigen Pavillon reichlich Plätze.
Das ehemalige Gutshaus gleich nebenan ist frisch restauriert und beherbergt unter anderem Saisonarbeiter, die auf der Apfelplantage beschäftigt sind.
Die Dorfkirche Wesendahl ist eine spätromanische Feldstein­kirche, die vermutlich aus dem Ende des 13. Jahrhundert stammt, im Dreißigjährigen Krieg gelitten hat und 1736 und 1883 umgebaut und renoviert wurde.
Die Kirche hat den zweiten Weltkrieg weitestgehend unbeschadet überstanden, aber der Bürgermeister hat 1946 verfügt, dass das Dach abgedeckt wird und die Dachsteine für Reparaturarbeiten im Dorf benutzt werden. Das hatte einen fortschreitenden Verfall zur Folge und wenige Jahre später war die Kirche nur noch eine Ruine.
Erst zum Beginn des 21. Jahrhunderts war ein Wiederaufbau möglich, für den sich ein Förderverein engagiert hat. Es gab dafür öffentliche Mittel, aber auch viele private Spenden und Zuschüsse der Kommune. Erst kürzlich (im Jahre 2010) konnte die restaurierte Kirche wieder eingeweiht werden.
Beson­ders aufwendig war der Wiederaufbau des Turms, der nur noch bis zum gemauerten Glockengeschoss aus dem 19. Jahrhundert erhalten war. Jetzt trägt er wieder ein geknicktes Walmdach mit einem Turmhelm, Turmkugel und Kreuz.
Im Turm hängt noch eine Glocke aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit den Namen der vier Evangelisten.
Der Anger umfasst neben der Kirche auf noch einen Dorfteich mit einem kleinen Festplatz. Am Rande dieses Platzes, direkt am Rand der Durchgangsstraße steht ein großer Granitstein, der an die Befreiungskriege erinnert.
Die Inschrift unter dem eingemeißelten Eisernen Kreuz lautet: „Den tapferen Kriegern die dankbare Heimat. 1813-1913“
Während die Hauptstraße am Ortsausgang nach Wegendorf abknickt, führt der Jakobsweg schnurgeradeaus nach Werneuchen. Ein langes Stück läuft man entlang der riesigen Plantagen des Obstgutes Franz Müller.
Hier werden über­wiegend Äpfel, aber auch Erdbeeren und Kirschen angebaut, die man entweder selbst pflücken, oder im Hofladen erwerben kann. Schade, dass von dem leckeren Obst bisher nur wenig in Supermärkten zu finden ist.
Reiter trifft man in dieser Gegend mehr als Wanderer und auch sogenannte Pilger sind auf dem hiesigen Jakobsweg eine Rarität. Erfreulicherweise ist der Weg ganz gut ausgeschildert und im Gegensatz zu manchen anderen Wegen findet man die Ausschilderung nicht nur auf gerader Strecke, sondern auch an Stellen, wo man abbiegen muss.
Abbiegen ist hier allerdings auf einigen Kilometern nicht nötig. Der Weg durchschneidet hinter der Plantage weite Felder, durchquert ein kleines Wäldchen und geht in Rudolfshöhe, in die asphaltierte Wesendahler Straße über.
Diese führt an der sogenannten „Russenkaserne“ und an Wohnsiedlungen für höhere Dienstgrade vorbei.
Kaserne und Wohnsiedlungen gehörten zum nördlich davon gelegenen Flugplatz, der 1937 als Fliegerhorst für die Jagdfliegerschule der deutschen Luftwaffe errichtet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog die Westgruppe der Truppen der Sowjetarmee hier ein und baute den Flugplatz als Militärflugplatz der sowjetischen Garnison aus.
Bis zum Abzug der Truppen 1993 wurde der Flugplatz von der 16. Luftarmee genutzt.
Noch sieht man viele halb verfallene Häuser auf dem Kasernengelände, aber einige sind schon zu schmucken Wohnhäusern und Schul­gebäuden umgebaut worden.
Nur in den früheren Offiziers­häusern tut sich nicht viel.
Kurz bevor die Wesendahler Straße im spitzen Winkel auf die Wegendorfer Straße trifft und ins Werneuchener Stadtzentrum eintaucht, kommt man an der neuen Feuerwache vorbei, auf der Tag und Nacht ein Kamerad Turnübungen macht. Auf der Freienwalder Straße (B158), die von Ost nach West durch die Stadt führt, findet man einen interessanten Mix aus ganz neuen Bauten und Häusern, die dringend eine Restaurierung nötig haben. Und selbst auf dem Marktplatz ist noch nicht jedes Gebäude eine Augenweide.
Schön herausgeputzt, aber leider ohne jede Nutzung ist das Werneuchener Schloss, das 1913 von Hans Müller und seiner Frau Frieda. Das Grundstück hat Frieda's Vater spendiert, der frühere Fabrikbesitzer und seinerzeit Mehrower Rittergutsbesitzer Robert Stock.
1945 wurden die Besitzer vertrieben, ins Schloss kamen eine Schule und Wohnungen. Ab den 70er Jahren verfiel es, nach der Wende hat ein Architekt das Haus gekauft und saniert.
Die evangelische Stadtpfarrkirche St. Michael stammt angeblich von 1247. Nach mehreren Zerstörungen durch Brände und Kriege ist sie wiederholt um- und ausgebaut worden. Ihre jetzige neugotische Form erhielt sie 1873/74, wobei nur der Chor der mittelalterlichen Feldsteinkirche, der ein Kreuzrippengewölbe besitzt, erhalten blieb.
Der bekannteste Pfarrer an dieser Kirche war Friedrich Wilhelm August Schmidt (1764 bis 1838), der „Schmidt von Werneuchen“ genannt wurde. Der hat mit seinen Lobliedern auf die Schönheit des Landlebens eine gewisse Berühmtheit erlangt, vorallem weil sich Goethe über ihn lustig gemacht hat. Nun gut, der schwebte in ganz anderen Sphären.
Pastor Schmidt wohnte im Pfarrhaus nahe der Kirche - eine Tafel über der Tür erinnert daran. Sein Grab befindet sich nur ein paar Meter entfernt und ist mit einem gusseisernen Kreuz versehen, das folgende Inschrift trägt:
„F. W. A. Schmidt, Prediger zu Werneuchen u. Freudenberg,
Ritter des rothen Adler Ordens 4ter Kl.,
geboren den 23. März 1764, gestorben den 26. April 1838.“
Rechts daneben befindet sich auf dem ehemaligen Kirchhof das Mausoleum der Familie Petitjean, die Mitte des 19. Jahrhunderts den Gutshof von Werneuchen besaß.
Die „Breite Straße“ bzw. „Altstadt“, die zum Werneuchener Bahnhof führt, sieht Dank des neuen Straßenpflasters schon sehr ordentlich aus.
Ein paar Feldsteinbauten sind bereits hergerichtet worden und das momentan funktionslose Postamt an der Ecke Poststraße hat wenigstens etwas frische Farbe bekommen.
Absolut trostlos sieht hingegen der Werneuchener Bahnhof aus. Fenster und Türen sind verrammelt und Grafitti sind der einzige Schmuck. Der Bahnhof an der 1898 eröffneten Wriezener Bahn ist seit 2006 Endpunkt der ehemals vom Bahnhof Berlin-Lichtenberg bis nach Wriezen an der Oder verkehrenden Bahn.
Momentan (2010) betreibt die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH (ODEG) die Linie als OE25 - sie kann nichts für Zustand des Bahnhofs, der gehört der Deutschen Bahn.
Mit einem Modernen Dieseltriebwagen VT 650.72 der ODEG geht es von Werneuchen nach Ahrensfelde Friedhof, von wo noch ein kleiner Fussweg nach Mehrow ansteht.
Verglichen mit den anderen Etappen des Jakobsweges von Frankfurt (Oder) nach Bernau war diese eine wenig spektakuläre, aber keineswegs langweilige Etappe.
Wenn man nicht darauf abzielt, unterwegs viele Leute kennenzulernen, dann ist man hier genau richtig.