Wilsnackfahrt (Mittelalterlicher Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack)
Von Flatow nach Fehrbellin

Tag 3 (Mo, 22.8.2022) Von Flatow nach Fehrbellin

Ich habe die Nacht im Pfarrhaus prächtig geschlafen. Das lag sicher nicht nur an der passablen Matratze, sondern auch am Altar im Zimmer. (Im Winter finden hier die Gottesdienste statt.)

Gut geschlafen hat angeblich auch Kaiser Wilhelm (welcher?), der während eines Manövers hier im Pfarrhaus genächtigt hat. Was der zum Frühstück bekommen hat, weiß ich nicht. Bei mir fiel das Frühstück spärlich aus: nur ein paar Stullen die ich mir gestern früh geschmiert hatte. Dazu einen löslichen Kaffee auf Kosten des Hauses. Ich hatte beim Quartiergeld etwas aufgerundet, da hatte ich kein schlechtes Gewissen, mir abends Tee und morgens Kaffee zu nehmen. Die beiden Flaschen Bier hat mir gestern Herr Kowalke,„Herbergsvater“ und Gemeindekirchenratsvorsitzender, mitgebracht. Das hatte er mir angeboten, als ich das Quartier gebucht habe und ich habe das dankbar angenommen. Die nächste Einkaufs- und Einkehrmöglichkeit ist heute (Montag) in Fehrbellin, meinem heutigen Ziel. An anderen Tagen hätte man im Flatow gegenüber der Kirche beim Bäcker Guse auf einen Kaffee einkehren können. Im Gästebuch des Pilgerzimmers habe ich gelesen, dass man da auch ein Pilgerfrühstück bekommt. Familie Guse, die auch mal die Pilgerbetreuung übernommen hatte, wird dafür im Gästebuch wiederholt gelobt, so wie alle anderen Betreuer, die sich seit 2007 um die Pilger bemühen.

Heute steht nur eine vergleichsweise kurze Etappe an. Da ich mich in Fehrbellin um 17 Uhr mit der dortigen „Herbergsmutter“ verabredet habe, habe ich reichlich Zeit.

Von Flatow nach Linum ging es zunächst durch die Apfelallee, die derzeit ihrem Namen besonders gerecht wird und mit reifen, wohlschmeckenden Äpfeln lockt. Aber ich habe gestern so viele Blaubeeren gegessen, dass ich heute keinen Appetit auf Süßes habe. Hinter der Apfelallee führt der Weg durch eine breite Schneise im Wald. Auf beiden Wegstücken kann man sich gut vorstellen, dass hier mal die Hamburger Poststraße entlang führte. Zwei Meilensteine bezeugen das auch.

Das letzte Stück nach Linum führt dann allerdings entlang der ziemlich stark befahrenen Landstraße. Das hat keinen Spaß gemacht. In Linum fällt einem sofort der Ziergiebel der Kirche auf, der sich beim Näherkommen laufend verändert. Es sind nämlich drei Ziergiebel hintereinander, je einer am Turm, am Kirchenschiff und am Chor. Durch ihre „Zinnen“ ergeben sich Lücken, durch die der dahinter liegende Giebel zu sehen ist. Da sich beim Laufen der Blickwinkel ständig ändert, ist laufend eine andere Giebelanordnung zu sehen. Erst wenn man neben der Kirche steht, erkennt man, wo welcher Giebel hingehört. Gern hätte ich mir die Kirche auch innen angeschaut. Das ist prinzipiell möglich. Dazu soll man am großen Fenster des ehemaligen Pfarrhauses klopfen, aber da rührte sich nichts.

Linum hat einen guten, aufgeweckten Eindruck gemacht: Arztpraxis, eine große Pension, Mosterei, Gaststätte (montags geschlossen), diverse Hofläden, Fischverkauf, NABU-Standort, Storchenschmiede (Museum und Info zum Storchendorf, geschlossen).

Von Linum nach Hakenberg geht es auf einem fast 3 km langen, gerade auf 3 Meter Breite frisch asphaltierten Rad-/Wanderweg entlang der Linumer Teiche.

In Hakenberg habe ich einen empfohlenen Abstecher zu dem Denkmal gemacht, das an die Schlacht von Fehrbellin 1675 erinnert. Da hat Kurfürst Friedrich Wilhelm (der Ur-Opa des Alten Fritz) die Schweden vertrieben, die von den Franzosen geschickt worden waren. F. W. wird seitdem „Großer Kurfürst“ genannt. Nach Ersteigung der Siegessäule habe ich eine Pause neben der geschlossenen Gaststätte gemacht. (Nur Donnerstag bis Sonntag geöffnet.)

Von der Siegessäule ging es zurück zum Pilgerweg. Bis zur Landstraße so wie ich gekommen bin, durch den Ort aber diesmal durch eine kleine Gasse, die zwischendurch auch ein Stück am Feldrain entlang führt. Auf dem Hinweg hatte ich die Dorfstraße vorbei an der Kirche genommen, die leider verschlossen und ohne Hinweis auf den „Schlüsseldienst“ war. Eine Besichtigung wäre insofern interessant, weil im Kirchturm Dutzende Kanonen­kugeln aufbewahrt werden, die ein rühriger Kantor, der sich als Ortschronist betätigt hat, auf den früheren Schlachtfeldern zusammengetragen hat.

Wieder auf dem Weg angekommen war es gar nicht so leicht, dessen Fortsetzung zu finden. Eigentlich sollte der Weg an der verlängerten Dorfstraße nur auf die andere Seite des Grabens wechseln und dort weiter geradeaus führen. Es war aber weder ein Weg noch ein Schild zu entdecken. Ich habe mir einen Pfad durch das hohe Gras gebahnt, ein quer über den gedachten Weg stehendes Tor umrundet und stand plötzlich auf einer etwas verwilderten Fahrspur. Am nächsten Pfosten eines Weidezauns fand sich dann auch noch der Aufkleber mit den drei Hostien. Alles ok. Es ging wieder schnurgerade am „A-Graben Fehrbellin“ entlang und auf der Hälfte des Weges wurde aus dem zugewachsenen Fahrweg sogar wieder eine Asphaltstraße. An deren Ende ging es über den Graben, der zwar immer noch Wasser führt, aber auch schon wasserreichere Zeiten erlebt hat.

Kurz vor Tarmow wechselt die Straße aufs die andere Seite des Grabens und gabelt sich dort. Leider fehlt wieder gerade an solcher Stille ein Wegweiser. Aber meine Intuition, den linken Abzweig zu nehmen, war richtig. Auf diesem Weg kommt man in den Ort hinein. Etwas verwundert nehme ich zur Kenntnis, dass Fehrbellin doch noch ein Stück entfernt ist und nicht mehr viel Zeit ist, wenn ich pünktlich um 17 Uhr an der Fehrbelliner Kirche sein will, um dort den Schlüssel für meine Unterkunft in Empfang zu nehmen. Ich ignoriere deshalb den Zettel an der Tarmower Kirche, der besagt, an wen man sich zwecks Besichtigung wenden kann. Ich werfe nur einen Blick auf den Friedhof, wo ein als Obelisk ausgeführter Gedenkstein die Namen der Gefallenen beider Weltkriege listet. Ein Blick fällt noch auf den Busfahrplan: in der Schulzeit wochentags EIN Bus, 7.07 Uhr zur Schule in Fehrbellin. Da sind wir ja deutlich besser dran.

Am Ortsausgang stößt der Weg auf die Landstraße und führt mit dieser über die Autobahn und nach Fehrbellin hinein. Da durchläuft man zunächst eine Siedlung mit lockerer Bebauung. Dann kamen zwei Supermärkte (Edeka und Lidl) und die Bebauung wird dichter. Bald darauf folgt ein dritter Supermarkt (Netto) und in den Häusern entlang der Straße sind vereinzelt Geschäfte zu entdecken. Ob das schon das Zentrum ist, bekomme ich aber nicht raus. Plötzlich stehe ich vor der katholischen Kirche, die aber nur anhand einer Marienfigur an der Häuserfront und an den bunten Kirchenfenstern als Kirche zu erkennen ist. Sonst hebt sie sich nicht von den anderen Häusern in der Straße ab. Nun durchzuckte es mich kurz, dass ich mit der Dame gar nicht ausgemacht habe, vor welcher Kirche wir uns treffen. Da sie aber vorgeschlagen hat, sich an der Kirche zu treffen, weil die nicht zu verfehlen ist, kann nicht diese hier gemeint sein.

Bis zur evangelischen Kirche, einem Bauwerk des Schinkel-Schülers Stüler, zieht sich der Weg aber noch. Die Kirche steht nicht weit weg von Dorfausgang auf einem Platz, der früher mal Anger war. Das heißt aber noch lange nicht, dass hier der Bär steppt.

Ich bin das letzte Stück sehr zügig gelaufen und 5 Minuten vor dem vereinbarten Termin an der Kirche, wo ich schon erwartet wurde. Die nette Dame gab mir Zeit, mich in der Kirche umzusehen und einen Kirchenstempel in meinen Pilgerpass zu drücken. Dann gingen wir zusammen los, ein Stück zurück auf dem Weg, den ich gekommen bin, bis zum Evangelischen Vereinshaus. Dort kann ich übernachten. Der Raum ist groß und nicht wirklich gemütlich. Aber es ist ja auch kein Hotel. Im Raum steht ein Sofa, das ich gleich als Schlafstätte erkoren habe. Ich könnte mir aber auch eine der drei Klappliegen ausbauen, die zusammengeklappt in der Ecke stehen.

Ich war danach einkaufen, habe Abendbrot gegessen, etwas telefoniert und dann zu schreiben angefangen. Damit bin ich nun eigentlich durch und ich kann gleich genießen, was ich in der vorigen Herberge vermisst habe: eine Dusche.


Wilsnackfahrt - Tag 3, von Flatow nach Fehrbellin