Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Santa Mariña nach Hospital

Tag 34 (Di, 31.5.2022) – Von Santa Mariña nach Hospital (hinter Olveiroa)

Heute ist nicht so richtig mein Tag. Das Wetter schlägt aufs Gemüt. Es hat zwar erst am späten Vormittag angefangen zu regnen und auch nicht so stark wie erwartet, aber das Vor-sich-hin-Traben abwechselnd mit und ohne Poncho zehrt an den Nerven. Aber wenigstens habe ich wieder eine Erfindung gemacht bzw. Erkenntnis hinsichtlich multivalenter Nutzung von Alltagsgegenständen gewonnen: Wenn der Regenponcho gerade nicht gebraucht wird, kann man ihn über dem Arm oder den Rucksackgurt hängen, wobei meist die mühsam trocken gehaltene Hose nass wird, oder ihn mühevoll im Rucksack verstauen, was heißt Rucksack absetzen, Plane entfernen, Poncho rein, Plane rüber und Rucksack wieder auf, was mühevoll ist und mitunter zu einem nassen Rucksack führt, oder ihn (jetzt kommt meine Erfindung) zusammenrollen und unter die Trageriemen der Rucksacks klemmen, wodurch der stechende Schmerz eine Zeit lang gemildert wird. Das sieht besser aus als die angedachte Schwimmnudel, mit der man bei Sonnenschein in den Bergen wieder nicht viel anfangen kann. Manche denken sogar, der Poncho auf der Schulter bzw. vor der Brust sei eine ganz neue und deshalb noch nicht gesehene Outdoor-Entwicklung und werfen mir neidische Blicke nach.

Die Herberge Casa Pepa in Santa Mariña war eine ausgesprochene Langschläferherberge. Abgesehen von einem, der seinen Wecker um 4.45 Uhr klingeln ließ und dann weiterschlief, und einem Paar, das halb sechs zu packen anfing, blieben alle bis halb … drei viertel Sieben liegen. Das war ok. Ab sieben hat der Wirt Kaffee bzw. Frühstück serviert. Drei viertel acht bin ich mit einem Café con Leche im Bauch los.

Nach einer ganzen Weile hat mich Tabea eingeholt und wir sind eine halbe Stunde miteinander gelaufen und haben uns einen endlos langen Aufstieg hoch gequält. Sie meinte, wir könnten ja oben Rast machen, aber ich habe 20 Meter vorm Ende verkündet, dass ich nicht mehr kann und schon hier Rast mache, weil ja oben eh keine Bank steht. Dann habe ich mich aber doch bis nach oben gequält. Und da stand eine Bank! Hier ganz unüblich. Auf einem hölzernen Podest gab es einen Infopunkt mit Karte, Fernrohr und zwei Bänken. Warum habe ich nicht darauf vertraut, dass es am Ende des Aufstiegs einen Platz zum Ausruhen gibt? Tabea hat sich dann leider bald verabschiedet, weil sie noch ein Stück weiter will als ich. Vielleicht sehen wir uns in Fisterra wieder, wo sie ein paar Tage bleiben will.

Die erste Einkehrmöglichkeit kam nach 9,3 km in einer Herberge, zu der man eine heftige Treppe hochkraxeln musste. Eigentlich wollte ich da nur einen weiteren Kaffee und ein Getränk nehmen, aber die Düfte aus der Küche haben mich dazu verleitet, ein paar Spiegeleier mit Bacon zu nehmen.

Die nächste Einkehrmöglichkeit, das Café eines Zeltplatzes habe ich aufgesucht, weil es mittlerweile so stark geregnet hat. Inzwischen habe ich mich so ausgelaugt gefühlt, dass ich am Tisch fast eingeschlafen bin. Ich habe den Wirt gefragt, ob ich mich in dem ungenutzten Aufenthaltsraum des Zeltplatzes einen Moment auf eine der Lederbänke legen kann und habe dort bestimmt eine Stunde geschlafen. Danach war alles ok - bis auf das Wetter.

Die nächste Herberge wäre in Olveiroa gewesen, dem eigentlichen Etappenziel der 2. Etappe nach Fisterra, wenn man dem Reiseführer folgt. Aber ein kleines Stück wollte ich noch weiter, damit ich am nächsten Tag ohne einen Gewaltmarsch bis ans Ziel komme. In einem Reiseführer hatte ich gesehen, dass es etwa 2 km weiter, in Hospital, kurz vor der Gabelung des Weges nach Fisterra (links) und Murxia (rechts) eine Herberge gibt. Aber da war nichts von einer Herberge zu sehen. Es war 15.30 Uhr und in Richtung Finsterra war der nächste Ort 15 km entfernt.

Reichlich verärgert darüber, dass mir die Info-Dame in Olveiroa, die gelangweilt neben ihren Pilger-Info-Zentrum in der Bar saß, auf Anfrage bestätigt hat, dass es in Hospital eine Herberge gibt, habe ich mich auf den Weg nach Fisterra gemacht. Knapp 15 km bis zum nächsten Ort, dort also vermutlich erst gegen Sieben, so viel wollte ich heute eigentlich nicht laufen. In solchen Fällen lohnt es sich immer, zunächst die nächstgelegene Kneipe aufzusuchen. Die fand sich am Ortsausgang von Hospital. Am Haus stand nur Café & Bar, aber auf einem Reklameschild habe ich das Wort „Albergue“ entdeckt. Ich bin also in die menschenleere Bar rein, wo ein älteres Mädchen genervt vor dem Computer saß und offenbar Schularbeiten machte.

Mir ein Bier zu zapfen war ihr eine willkommene Abwechslung. Sie erklärte mir dann, dass 200 m entfernt im Dorf die Herberge sei und dass mich ihre Mutter dorthin fahren und um 19 Uhr zum Abendbrot wieder abholen würde. Das klang gut. Nach einer Weile kam ein französisches Ehepaar mit ähnlichem Anliegen und dann noch ein junger Italiener. Als alle ihre Gläser geleert hatten, hat uns die zwischenzeitlich erschienene Wirtin in die von außen unscheinbare, aber innen sehr modern eingerichtete Herberge gefahren. Ein 6er-Zimmer im Erdgeschoss war schon belegt, wir vier haben im Obergeschoss zwei Doppelstockbetten in einem 6er-Zimmer zugewiesen bekommen. Die 14 € dafür scheinen hier in Galizien Standard zu sein.

Nun liege ich also frisch geduscht, halb tot, aber zufrieden im Unterdeck, über mir der Italiener, der aussieht, als käme er auch ohne Leiter aufs Oberdeck. Das französische Ehepaar kommt übrigens aus Perros-Guerec in der Bretagne (Kommissar Dupin lässt grüßen!), wo wir erst vor kurzem mit den Enkelkindern im Urlaub waren. Natürlich kennen auch sie Ploubalay, wo mein Opa herstammt.

Ich hoffe, dass ich es nicht verschlafe, wenn die Wirtin uns zum Abendbrot abholt. Noch habe ich keinen Hunger, weil ich vorhin eine riesige Terrine Linsensuppe mit Speck und Knacker gegessen habe, aber spätestens wenn es nichts gibt, kommt der Hunger. Und hier gibt es nichts, außer der besagten Bar. Man könnte sich höchstens mit der Stirnlampe auf der Rübe nachts beim Bauern aufs Feld schleichen und dort irgendwas ausbuddeln. Aber wenn man Pech hat, erwischt man eine Zuccini. So weit will ich es nicht kommen lassen.

Wir sind hier nach und nach mit dem Auto zur Gaststätte gefahren und dann an einem 10-Mann-Tisch platziert worden: 3 Franzosen, 3 Italiener, 2 Deutsche und 2 Schweizer. Die zweite Deutsche habe ich erst bei dieser Gelegenheit kennen gelernt, eine Frau aus Hamburg, die den Camino von Porto nach Santiago (von vielen sehr gelobt) gelaufen ist und nun auch noch nach Fisterra will.

Unter den Schweizern war überraschenderweise Tabea, die am Morgen noch munter an mir vorbei gezogen ist, aber dann plötzlich einen schon bekannten Rheumaschub bekommen und es gerade noch bis in die Herberge geschafft hat. Mit Tränen in den Augen hat sie sich in die Gaststätte und nach dem Essen zurück zum Auto geschleppt. Sie tut mir so leid, aber wie soll man da helfen? Sie meint, dass sie es morgen wohl nicht einmal mit dem Taxi nach Fisterra schaffen wird, wenn der Rheumaschub so verläuft, wie sie es kennt. Es tut mir so leid, die junge Frau so niedergeschlagen zu sehen …

Camino Francés / Finisterre - Tag 34