Tag 24 (Sa, 04.11.2023) A Portela - Padrón / 28,9 km
Das erste Wecken, halb in der Nacht, haben heute Regen und Wind übernommen. Der Regen prasselte an die Fenster und der Wind schlug einen der schönen blauen Fensterläden immer wieder an die Wand. Das zweite Wecken haben die vier Portugiesinnen bzw. ihr Wecker übernommen, und zwar um 6.20 Uhr. Das habe ich zum Anlass genommen, auch aufzustehen. Die Mädels waren gut organisiert und hatten zum Beispiel abends noch ihre Rucksäcke im Aufenthaltsraum platziert um sich dort morgens umziehen und dann alles einpacken zu können, ohne die Verbliebenen im Schlafsaal zu stören. Sie haben auch nicht viel gefrühstückt und sind um viertel acht los. Da war es draußen noch stockfinster. Ich weiß nicht, warum die solche Eile hatten. Ich habe noch in Ruhe Frühstück gegessen und noch einen zweiten Kaffee hinterhergeschoben und bin pünktlich zum Sonnenaufgang gegen 8 Uhr los.
Auch heute hat sich der Begriff „Sonnenaufgang“ als theoretische Zeitangabe erwiesen, denn weder zur angegebenen Zeit, noch später am Tag war etwas von der Sonne zu sehen, lediglich mal als zweite Komponente beim Regenbogen. Zeitlich gesehen gab es heute eigentlich nicht viel Regen, aber es waren Regengüsse dabei, die mich binnen zwei Minuten so durchnässt haben, dass ich die nächsten 2…3 Stunden etwas davon hatte. Einmal hat es mich in Sichtweite einer rettenden Kneipe erwischt. Der Regenguss mit beigemischtem Hagel hat vielleicht eine Minute gedauert. Als ich wenige Minuten später die Kneipe erreicht habe, war ich völlig durchnässt. Die nassen Hosenbeine sind jetzt schon Alltag und erinnern mich an die Wadenwickel, die es früher immer bei Fieber gab. Vermutlich haben mich die drei Wochen Wadenwickel bisher vor fiebrigen Erkrankungen bewahrt. Mit der kratzigen Stimme bin ich schon angereist und über häufigen Harndrang redet man nicht in der Öffentlichkeit.
Der Weg führte heute zunächst über eine kaum benutze asphaltierte Straße und dann über einen glatt gewalzten Weg. Als dieser kurz vor der Bahnlinie, exakt bei Kilometer 53,320 rechts abbog, bot sich nach vielleicht 200 Metern das Schauspiel, dass sich das im Wald angestaute Wasser über den Weg und eine Brücke ergoss, um auf der anderen Seite des Weges ein Feld zu überschwemmen. Da war kein Durchkommen möglich und Rückzug angesagt. Als ich dann auf der Straße angekommen war und an der nächsten Kreuzung von Straße und ausgeschildertem Weg gesehen habe, dass eigentlich das ganze Tal überschwemmt und vermutlich nicht passierbar ist, habe ich mir geschworen, auf der Straße zu bleiben und gar nicht erst zu versuchen, zwischen den überschwemmten Felder nach passierbaren Wegen zu suchen. Die Straße stieß dann auf die N 550, die über Caldas de Reis nach Santiago führt. Auf dieser Straße bin ich dann im Wesentlichen bis zum Abend geblieben. Jetzt heißt es nur noch „Ankommen“. Der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ gilt schon seit Tagen nicht mehr. Die Luft ist raus und eigentlich ist alles nur noch eine Plage. Außerdem bin ich im vorigen Jahr im September schon mal den ausgeschilderten Weg von Redondela (wo sich die portugiesischen Caminos „Costa“ und „Central“ treffen) nach Santiago gelaufen. Ich verpasse also nichts, wenn ich auf der Straße bleibe.
In Caldas de Reis konnte ich sehen, wie ein ansonsten kleines Flüsslein schon einige Stadtteile überschwemmt hat. Eine Seitenstraße, die zu einem Parkplatz führt, war überschwemmt und aus dem Wasser schaute noch das Dach eines Häuschens raus, in dem vermutlich der Parkautomat stand. In den paar Minuten, die ich da stand, konnte ich sehen, wie das Wasser weiter die Straße hochkam. Die schöne Steinbogenbrücke, die mitten in der Stadt über den Rio Umia führt, schaute nur noch ein bis zwei Meter aus dem Wasser und unter den Brückenbögen war nicht mehr viel Luft. Eine mal idyllisch am Ufer gelegene Gaststätte war schon bis zur halben Fensterhöhe geflutet. Auf der linken Seite der Brücke waren Leute dabei, die Tiefgaragen ihrer nur durch einen Fußweg vom Wasser getrennten Häuser auszupumpen. Ein ziemlich riskantes Unternehmen, denn das Mäuerchen, das an dieser Stelle den Fluss begrenzt, ist offenbar nur dafür gedacht, unachtsame Fußgänger und spielende Kinder davon anzuhalten, ins Wasser zu fallen. Dass dieses Mäuerchen dauerhaft dem Druck des Wassers widersteht, wage ich zu bezweifeln. Und wenn die Mauer bricht, dann können die Leute, die da emsig pumpen, leicht in der eigenen Garage ersaufen. Das war zwar alles interessant anzuschauen, aber richtiges Verlangen, mich lange in Flussnähe aufzuhalten, hatte ich nicht.
Mein heutiges Tagesziel war eigentlich die gut 20 km entfernte Herberge von O Pino (Valga), etwa auf der Hälfte zwischen Caldas de Reis und Padron. Etwa bis dahin wollten auch die portugiesischen Mädchen sowie Annette und Peter. Die Beiden habe ich auch kurz vorher getroffen, als ich auf der einen Straßenseite bei Regen in einer Bushaltestelle Pause machte und diese auf der anderen Seite wieder in den ausgeschilderten Weg abbogen. Annette übrigens mit Krücken, die sie sich auf Rezept in einer Apotheke holen konnte, nachdem vor ein paar Tagen ein Arzt bei ihr nach dem Röntgen eine Bänderzerrung diagnostiziert hatte. Aber sie ist zäh und will unbedingt bis Santiago kommen - und zwar spätestens am Montag, denn sie fliegt wie ich am Dienstag nach Hause.
Also, ich war kurz nach halb vier in der zu diesem Zeitpunkt noch leeren Herberge und habe die Aufsicht führende Dame aus ihrem Schlummern geweckt. Ich war heute wohl der erste Pilger und sie war ganz enttäuscht, dass ich nur einen Stempel haben wollte. Aus Mitleid wäre ich fast dageblieben, aber da war ringsherum nichts, abgesehen von einer Fernfahrer­kneipe auf der anderen Straßenseite. Kein Supermarkt, nix. Da bin ich doch lieber weiter und habe die Herberge in Pontecesures (7 km entfernt) oder eine der Herbergen in Padron (10 km) ins Auge gefasst.
Pontecesures erwies sich als ein bedauernswertes Kaff, in dem es außerdem grauenhaft stank, vermutlich durch die Chemiefabrik am gegenüber liegenden Ufer. Da bin ich lieber noch weiter nach Padron, an das ich noch wage Erinnerungen hatte. Die Stadt liegt zwischen zwei Armen des Rio Sar. Am westlichen Arm gibt es eine sehr schöne Promenade unter stattlichen Bäumen. Da standen allerdings nicht wie im vorigen Jahr im September lauter Kneipentische in der Sonne, sondern städtische Angestellte waren bei Regen dabei, die Weihnachtsdekoration zu installieren. Am Ende der Promenade ist die Santiago-Kirche, bei der die Tür offen stand. Da bin ich erstmal rein und habe mich umgesehen. Hier dominieren, wie nicht anders zu erwarten, Bilder und Statuen des Heiligen Jakobus (Sant Iago).
Kurz zuvor habe ich übrigens Raoul getroffen, mit dem ich ganz zum Anfang der Tour unterwegs war und dem ich zwischendurch nochmal begegnet bin. Der wollte wie ich zur kommunalen 10€-Herberge zu Füßen der Kathedrale. Es ist eine vermutlich schon Jahrhunderte alte Herberge mit jetzt 46 Betten, von denen etwa 30 belegt sind. Da einige freiwillig das Obergeschoss gewählt haben, weil man da mit dem Nachbarn schön kuscheln kann, habe ich mir ein Bett im Unterdeck aussuchen können. Ich habe sogar eins mit Steckdose in der Nähe gefunden. Nach der Bettensuche und -belegung bin ich wieder in die Altstadt, um im nächstbesten Supermarkt (Froiz) einzukaufen und um 19.30 Uhr den Gottesdienst in der Santiago-Kirche zu besuchen.
Als ich zurückkam, war in der Herbergsküche ordentlich Betrieb und Knoblauchduft schlug mir entgegen. Raoul und einige andere Pilger saßen um einen großen Tisch, auf dem eine Pfanne mit der Kreation eines Belgiers stand: Linsen mit viel Gemüse und reichlich Gewürzen. Davon sollte ich auch unbedingt kosten. Lecker! Als die dann alle weg waren, habe ich noch was von meinem Baguette und dem zugehörigen Aufschnitt gegessen. Ich wollte davon gern abgeben, aber angeblich waren alle schon satt.
Jetzt sind es nur noch etwa 27 km bis Santiago. Das werde ich hoffentlich morgen schaffen. Eine Herberge werde ich mir unterwegs online buchen. Am Montag kann ich dort die Beine hoch legen, am Dienstag geht es dann zurück. Ich freu‘ mich schon.

Camino Portugues Central - Tag 24