Unterwegs auf der Via Imperii, von Bad Düben nach Krostitz (17.8.2022)

Es hat heute wieder nicht mit einer Nacht im Freien geklappt, obwohl die Chancen dafür gut waren.

Im Pilgerherbergsverzeichnis ist hier in Krostitz ein Bett im Gemeindehaus als Pilgerherberge ausgewiesen. Das habe ich beim Pfarrer reservieren lassen. Ich sollte mich nach der Ankunft bei der Kirchenältesten melden, die mir aufschließt. Ein paar Tage später kam eine Mail, dass die Dame an dem Tag nicht da ist, ich aber offene Türen vorfinden werde. Bei meiner Ankunft gegen fünf Uhr bin ich aber schon an der Gartentür gescheitert. Eine nette Nachbarin hat mir jedoch verraten, mit welchem Trick man rein kommt.

Die Treppe hoch geht es zu einem Jugendraum, von dem aus man ins Pilgerzimmer kommt. Hier war die Tür nur leider wirklich verschlossen und es war nicht herauszubekommen, wer einen Schlüssel hat. Die Kirchenälteste, die man hätte fragen können, war tatsächlich nicht erreichbar.

Nun haben sich die netten Nachbarn ins Zeug gelegt und herumtelefoniert, wer denn weiß, wer den Schlüssel hat. Ich habe derweil die Urlaubsvertretung des Pfarrers angerufen, eine Pfarrerin einige Orte weiter. Die konnte mir auch nicht auf Anhieb weiterhelfen, versprach aber, sich zu kümmern. Nach einer Weile rief die von ihr informierte Vikarin an und sagte, dass sie dem Pfarrer eine SMS geschickt hat. Zugleich bot sie mir einen Platz in der Pilgerherberge Weltewitz an, ca. 8 km von hier. Sie könnte mich auch abholen und dorthin fahren. Aber ich hatte mich schon auf die Nacht auf dem Treppenabsatz eingerichtet. Da konnte sie mir wenigstens noch den Tipp geben, wo ich im benachbarten Pfarrhaus Toiletten finde. Ein paar Minuten später rief sie nochmal an und sagte, dass Sie die Pfarrsekretärin erreichen konnte, die den Schlüssel hat und mir aufschließen wird. Das kann nur einen Moment dauern, weil die Dame drei Dörfer weiter wohnt. Ich war inzwischen auf dem Weg zum ziemlich weit entfernten Supermarkt, denn irgendwas brauche ich ja zum Abendbrot und für morgen früh. Eigentlich hatte ich vor, nach dem Einkauf gleich beim Griechen, der einzigen offenen Gaststätte, was zu essen. Aber nun wollte ich erstmal sehen, welchen Lauf der Abend nimmt.

Noch im Supermarkt rief mich die Kirchenälteste zurück, weil die gesehen hat, dass ich sie angerufen hat. Sie würde mir den Schlüssel bringen, aber das kann einen Moment dauern, weil sie noch in Leipzig ist. Nun musste ich erstmal blitzschnell sortieren, wen ich angerufen habe, wer sich bei mir gemeldet hat und welche Auskünfte ich schon bekommen habe. Nach haarscharfer Analyse des Vorangegangenen konnte ich der Dame Entwarnung geben, weil ja schon jemand mit dem Schlüssel unterwegs ist. Eine tolle Hilfsbereitschaft von allen Seiten. Vor einer Stunde stand ich noch vor verschlossener Tür und jetzt sich schon zwei Schlüsseldienste auf dem Weg. Allen Beteiligten einen herzlichen Dank!

Die Kirchenälteste, die einzige, von der ich eine Telefonnummer habe, habe ich dann aber doch noch mal angerufen, weil ich mit den über zwei Etagen verteilten Räumlichkeiten nicht klar gekommen bin. (Ich habe die Toilette hinter einer verschlossenen Tür vermutet, aber die ist eine Etage tiefer.) Sie kam kurz darauf vorbei, hat mir alles erklärt und sogar noch die Kirche zur Besichtigung aufgeschlossen. Auch dafür nochmals herzlichen Dank.

Nun sitze ich im Pilgerzimmer, in dem man inklusive Jugendraum eine halbe Schulklasse unterbringen könnte. Die erste Runde Abendbrot ist absolviert. Wenn ich das hier abgeschickt habe, kommt die zweite Runde und dann vielleicht auch noch ein Bericht von Rest des Tages.

Ich habe nun schon zweimal erlebt, wie schnell man in Bedrängnis geraten kann, nur weil jemand einen kleinen Fehler gemacht hat - den Code geändert oder die Tür abgeschlossen. Aber ich kann da nicht mit Steinen schmeißen, weil ich im Glashaus sitze.

Nachdem ich gestern den richtigen Code bekommen habe, konnte ich die Schlüsselbox öffnen und mit dem darin befindlichen Schlüssel aufschließen. Den habe ich mit rein genommen und überlegt, was ich damit am Morgen mache. Ich bin dabei gar nicht auf die Idee gekommen, dass ja noch jemand nach mir kommen könnte, der dann vor einer leeren Schlüsselbox steht. Genau so kam es aber. Nachts halb elf ruft mich der Vermieter an, dass ich doch bitte die zwei Radfahrer reinlassen soll, die da vor der Tür stehen. Die haben sich nicht getraut zu klingeln oder an die Scheibe zu klopfen, hinter der ich in der beleuchteten Küche am Küchentisch saß. Sie haben stattdessen den Umweg über den Vermieter gewählt. Statt zu meckern haben sich die Beiden bei mir ganz herzlich für das Türöffnen bedankt und sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt. Verkehrte Welt.

Nachts habe ich hervorragend geschlafen und morgens habe ich mir Zeit gelassen, geduscht, Kaffee getrunken und mich kurz mit den beiden Radlern unterhalten, die kaum aufgestanden, schon auf bepackten Rädern saßen. Die beiden Männer, geschätzt 30 Jahre, sind Amerikaner, der eine Orgelbauer und der andere Orgelspieler. Der Orgelbauer lebt und arbeitet in Deutschland, weshalb er sehr gut Deutsch spricht. Er hat für seinen Freund eine Radtour zu einigen den besten Orgeln Deutschlands zusammengestellt und organisiert, dass er darauf spielen darf. Tolle Idee! Gestern sind sie in Borkheide bei Potsdam mit dem Fahrrad gestartet und in Wittenberg zum Orgelspiel in die Schlosskirche eingekehrt, weshalb sie abends so spät dran waren. Heute wollten sie nach Halle und weiter nach Merseburg, wenn ich mir das richtig gemerkt habe.

Dann habe ich noch eine Weile mit einem Herrn geschwatzt, der plötzlich im Flur stand und den ich für den Hausmeister gehalten habe. Er (jetzt 70 und ein paar Häuser weiter wohnend) erzählte, dass der Betreiber der Herberge diese vor 5 Jahren ziemlich verwahrlost gekauft hat und jemand suchte, der ihn beim Ausbau unterstützen könnte. Zusammen haben sie dann entrümpelt, verkleidete Balken und Decken freigelegt. Er, der gar kein Handwerker ist, sondern mal leitender Angestellter der LPG war und nach der Wende 20 Jahre eine Kneipe betrieben hat, hat im Haus alle Bäder und Küchen so akkurat gefliest, dass man das einem Fachmann zuschreiben würde. Sicher war hier kein Boden so eben und keine Wand so glatt, dass man da mit den heute üblichen großen Fliesen gleich hätte loslegen können. Große Hochachtung!

Er hat mir dann noch das ganze Haus gezeigt und erzählt, dass das Quergebäude mit viel Fachwerk und einem Laubengang auch Wander-/Pilgerherberge werden soll. Angeblich wird die Herberge ziemlich gut genutzt, schließlich liegt sie nicht nur direkt am Luther- und Jakobsweg, sondern auch am Radweg Berlin-Leipzig, der gut befahren ist.

Es war heute früh schon nach acht, als ich aus der Herberge raus war. Nun noch schnell zu Penny oder REWE (beide Wand an Wand, 200 Meter weiter ein Netto, sonst nichts in der Stadt), um Verpflegung für den Tag zu fassen. Dann noch ein paar Schritte durch die Altstadt. Vor dem Rathaus kam mir die Idee, dort mal nach einem Pilgerstempel zu fragen. Obwohl das Rathaus mittwochs geschlossen ist, hat sich die Dame am Empfang mein Ansinnen angehört und im Haus herum telefoniert, wer mit meinem sehnsuchtsvollen Verlangen etwas anfangen kann. Kurz darauf kam eine Angestellte die Treppe runter und erklärte mir, dass sie mir leider nur einen Rathausstempel geben könne, dass es aber in der Touristeninfo einen Pilgerstempel gibt. Da diese aber auch mittwochs geschlossen ist, hat sich die Dame am Empfang hingesetzt und dort angerufen, dass man mich doch einlassen möge. Dann kam noch eine Kollegin dazu, die sich anbot, mich hinzuführen, weil sie selbst ins benachbarte Museum müsse. Mit solchem Geleit bin ich da sofort eingelassen worden und durfte dann sogar zwischen zwei Stempeln wählen - ich habe sie mir beide in den Pilgerpass drücken lassen, schließlich fehlt mir ja einer von Kemberg.

Nun war es zwar schon ziemlich spät, aber ich war begeistert, dass man vom Aufstehen bis 9 Uhr schon so viele nette Leute treffen kann.

Später habe ich dann noch in einer Kirche eine nette Begegnung gehabt. In Krippehna war ich gerade von einem kurzen Schlummerchen auf einer Friedhofsbank erwacht, als ein Herr in meinem Alter die Kirche aufschloss, um im Turm die Uhr zu stellen, was nach seiner Auskunft jede Woche einmal nötig ist, weil Temperatur und Wind den Gang der Uhr beeinflussen. Obwohl mich das Justieren brennend interessiert hätte, bin ich den Herrn nicht auf den Turm gefolgt, da ich von den inzwischen zurückgelegten Kilometern schon ziemlich geschlaucht war. Ich habe mir aber die Kirche angeschaut, die mit einer gerade sehr kostspielig restaurierten Orgel aufwarten kann. Es gab da auch einen schönen Altar zu bestaunen und viele tönerne Figuren, die aus den Händen einer früheren Pfarrersfrau stammen. Die umlaufende Empore war nach der Schilderung des Herrn früher sogar mal zweistöckig. Jetzt gibt es sonntags 10…20 Besucher, da kommt man mit weniger Plätzen aus. Als wir aufs Wandern/Pilgern kamen, erzählte er, dass er oft mit seiner Frau nach Österreich in die Berge fährt, aber dass seine Frau immer davon träumt, auf den Jakobsweg zu gehen, wenn sie Rentnerin ist. Da konnte ich doch gleich eine Literaturempfehlung loswerden.

An Sehenswürdigkeiten gab es noch in Wölkau die große Kirche ohne Dach und Fenster. Im deckellosen Kirchenschiff ist eine Ausstellung zur Kirche aufgebaut, wie man durch Schlitze in der Tür erkennen kann. Leider kommt man nicht rein.

Einen noch viel trostloseren Eindruck macht gegenüber das ehemalige Gut Wölkau und insbesondere das große, mehrflügelige Schloss auf dem Gutsgelände, das von einem Bauzaun umgeben ist. Das Dach ist glücklicherweise neu gedeckt, aber das zwischenzeitlich schon mal ganz ordentlich hergerichtete Hauptportal im Südflügel sieht schon wieder ziemlich schlimm aus und alles andere gleicht eher einer Ruine, als einem in Sanierung befindlichen Schloss.

Zum Weg wäre zu sagen, dass der nur ein paar Kilometer durch Wald führte, ansonsten auf Feldwegen oder am Straßenrand. Hinter Krippehna war es besonders schlimm, da stand kein Baum oder Strauch an der Straße und nur die Freileitungsdrähte warfen Schatten, der aber zur Abkühlung nicht ausreichte. Trotz Wolken waren inzwischen 32 Grad.

In Krostitz führt der Jakobsweg direkt an der Brauerei vorbei, aber man darf nicht glauben, dass man vor Ort an einen Tropfen Ur-Krostitzer gelangt. Der „Fanshop“ ist vom Brauereigelände in einen der beiden Supermärkte verlegt worden. Und sonst gibt es für Fremde nur Stapel von Bierkisten zu sehen. Kurz vor der Brauerei ist eine Kneipe am Rand eines Sportplatzes, aber die hat wohl nur zu Spielen geöffnet. Die Kneipe gleich nach der Brauerei wirbt mit jahrzehntelangem Familienbetrieb, hat aber mittwochs nur von 12 bis 13.30 Uhr offen. Da muss man schon sehr punktgenau trinken. Fakt ist, dass ich in den 26 km bis zur Herberge auf keine geöffnete Verkaufs- oder Verpflegungsstelle getroffen bin. Und auch im Zentrum von Krostitz scheint es nichts zu geben, denn man wird stets auf die zwei Kaufhallen und den Griechen verwiesen, sämtlich an der B2 gelegen, also ziemlich weit weg von hier.

Ich gehe deshalb nicht nochmal aus dem Haus und werde es mir jetzt auf einem der vielen Sofas bequem machen.

P.S. Meinen gestrigen Zeilen war möglicherweise anzumerken, dass ich abends im Supermarkt die Ingredienz gefunden habe, die erforderlich war, um aus dem scharfen Tomatensaft ein bekömmliches, wohlschmeckendes Getränk zu machen. Entschuldigung!

Der nachfolgende Bildteil ist noch in Bearbeitung.

Via Imperii - Düben-Krostitz