Montag, 25.9.2023, von Stierberg nach Weißenohe / 15,4 km

13.00 Uhr. Ich sitze in Kemmathen in einem Landgasthaus direkt an der B2. Das sah schon von weitem geschlossen aus. Als ich vor der Tür stand, war sie verschlossen; im Schau­kasten weder Speisekarte noch Öffnungszeiten, nur ein heruntergefallener Zettel mit „Sonn- und Feiertags geschlossen“. Hinter den Fenstern aber ordentliche Gardinen und als ich versuche, einen Blick hinein zu werfen, kann ich nichts erkennen, sehe aber, dass Licht brennt und sich drinnen jemand bewegt. Ich schaue nochmal durch ein anderes Fenster und klopfe. Nichts. Dann bewegt sich plötzlich eine Gardine und eine ältere Dame macht mit ihrer Hand eine halbkreisförmige Bewegung. Ich folge daraufhin der Richtung, die ich dem Winken entnommen habe, und lande an der Stirnseite des Hauses, wo sich ein unbeschrifteter Seiteneingang befindet, der ins Treppenhaus führt - und zum Hintereingang der Gaststätte.

Ich nehme allen Mut zusammen (Durst macht mutig!) und drücke die Klinke. Da tut sich mir ein sehr ordentlicher, heller, großer Gastraum auf. Mittendrin der Stammtisch mit acht Männern drum rum, die grölen, als ich reinkomme, da sie mich natürlich die ganze Zeit bei meinen Versuchen, durchs Fenster zu schauen, beobachtet haben. Außer ihnen sitzt da noch ein älteres Paar an einem anderen Tisch - die Dame hatte mir den Weg gezeigt. Der Wirt, ein dicklicher Mann mit rutschenden Jeans, aber permanentem Schmunzeln, hat mir die Wahl unter drei Flaschenbieren gelassen. Ich habe ein Pilsener gewählt und ein einheimisches „Friedmann“ aus der gleichnamigen Brauerei im benachbarten Gräfenberg bekommen. Während ich versuche, mit dem dargereichten Gerstensaft meinen Durst zu stillen, und darüber nachsinne, was man gegen den Hunger tun könne, kommt der Wirt mit einem dampfenden Teller aus der Küche und bringt diesen einem der Herren am Stammtisch. Da stürze ich mich auf den Wirt und verlange das Gleiche, oder was er gerade da hat. Er hat nur, was er soeben serviert hat, Bratwürste mit Sauerkraut. Da hatte ich schon schlechteres Essen!

Also, bald kam das Essen und auf mein Bitten hin auch noch ein Teller mit Senf sowie ein zweites Bier, weil das erste verdunstet war.

Wie ich so hier am Fenster sitze, sehe ich, wie draußen zwei Frauen das Gleiche zelebrieren wie ich kurz zuvor: mehrmals die Klinke drücken und dann durchs Fenster schauen. Da ging am Stammtisch das Gelächter los, das wenige Minuten zuvor mir galt. Angestachelt von einem der Herren am Stammtisch habe ich mich angeboten, die Damen hereinzubitten und bin raus auf die Straße und hab sie angesprochen. Aber das waren anständige Mädels, die keinem fremden Herrn durch den Hintereingang in eine fragwürdige Kneipe gefolgt sind. Schade, ich hätte gern mit den ersten Wanderern auf gleichen Weg geschwatzt. Aber die Aktion hat mir wenigstens einen Obstler eingebracht, den der Herr vom Stammtisch spendiert hat, welcher mich angestachelt hat.

Meine geheimen Absichten, heute noch weiter zu laufen als bis Weißenohe, wo ich ein Bett im Pfarrhaus haben kann, haben sich damit erledigt. Mein Verlangen ist jetzt nur noch, mich lang auszustrecken und zu schlafen.

17.30 Uhr. Ich bin vor einer guten halben Stunde in Weißenohe am katholischen Pfarrhaus angekommen. Ein paar Minuten später, wie vereinbart um 17 Uhr, kam die Pfarrsekretärin und hat mich in das gegenüber auf einer Anhöhe liegende Gemeindehaus „St. Benedikt“ geführt. Das ist ein schöner Neubau, innen farblich genau wie unser Feuerwehrgebäude gestaltet. Im Erdgeschoss sind ein großer Saal (in dem gerade die Tanzgruppe übt), eine große Küche und die Sanitäranlagen. Nicht zu vergessen das Getränkelager mit Kühlschrank, zu dem ich den Schlüssel habe!

Anderthalb Etagen höher sind mehrere Zimmer und eine separate, komplett und sehr modern ausgestattete Küche mit großem Tisch, an dem ich jetzt sitze. In dem mir zugewiesenen Zimmer sind zwei Betten, ein Nachttisch und ein Kleiderständer. Das sollte für eine Nacht reichen. Erfreulicherweise liegen auch Steppdecken bereit, falls es kalt wird. In der letzten Nacht musste ich auch zwei Decken über meinen Schlafsack ziehen, weil es morgens ziemlich kühl war. Eine Dusche gibt es leider nicht, aber alles andere ist sehr komfortabel - weit luxuriöser als das am Telefon angekündigte „Bett mit Waschbecken“.

Ich werde mich hier heute auch nicht mehr wegbewegen, nur nachher nochmal rüber ins Pfarrbüro, weil ich vergessen habe, mir einen Pilgerstempel geben zu lassen. Ich habe schon viele bunte Stempel in meinem Pilgerpass und will nun auch in den verbleibenden Tagen wenigstens je einen hinzufügen. Ich habe in Gräfenberg im Norma reichlich eingekauft: für heute Abend das Übliche (Salatmix und Paprikastreifen), für morgen früh Brötchen und Frischkäse und für unterwegs zwei der spektakulären Schinken-Käse-Croissants. Das für heute Abend herangeschleppte Bier hätte ich mir sparen können, denn unten im Getränkelager ist im Kühlschrank gut gekühltes „Altfränkisches Klosterbier“ aus der Weißenoher Klosterbrauerei, also aus heimischer Produktion. Jeder der zuletzt besuchten Orte hat seine eigene Brauerei. Eine herrliche Gegend! Auch landschaftlich hat die Gegend viel zu bieten, nämlich neben Wald und Feldern auch Felsen, von denen ich einige zu sehen bekommen habe. Es muss auch ganze Felswände geben, sonst wären die Berliner Kletterer nicht extra hier her gekommen.

Gleich hinter der Pension in Stierberg habe ich im Morgengrauen auf einem Felsen die Ruine einer alten Burg zu sehen bekommen. Da hätte man über Treppen hinlaufen können, aber dazu fehlte mir morgens halb acht die Lust. Ein paar Kilometer weiter gab es ja schon die nächste Burgruine zu sehen, die Burg Wildenfels nahe dem gleichnamigen Ort. Die wurde um 1300 gebaut und gehörte dem Geschlecht derer von Wildenstein. Nach dem Bauernkrieg stürzte 1550 eine Mauer um, kurz darauf wurde die Burg im 2. Markgräflichen Krieg in Brand gesetzt und 1827 stürzte dann noch nach einem Blitzschlag die Hälfte des verbliebenen Bergfrieds ein. Jetzt ist die Burgruine an einem hochaufragenden, schmalen Stück Mauer, dem Rest des Bergfrieds, gut zu erkennen. Es ist kaum was abgesperrt, womit sich ein toller Abenteuerspielplatz ergibt. Unter der Burg kann man sogar noch in eine Höhle hinabsteigen. Das habe ich mir aber verkniffen. Es ist übrigens alles frei zugänglich und ohne irgendwelchen Eintritt zu besichtigen.

Eine noch erhaltene und offenbar seit ein paar Jahren in Privatbesitz befindliche Burg steht mitten in Hiltpoltstein: ein U-förmiges, mehrgeschossiges Gebäude thront auf einem Felsen mitten in der Stadt (oder „Markt“, wie das hier heißt). Umgeben ist der Felsen von schönen alten Fachwerkbauten, von denen einige allerdings recht ärmlich ausgeführt sind. Des Weiteren lehnt sich die Kirche fast an den Felsen. Nur ein sehr schmaler Gang trennt beide voneinander. Ich war nach vergeblicher Suche des Kirchenzugangs schon auf dem Rückweg, da hat mir eine Dame erklärt, dass ich ganz hinten in einer Ecke des Burghofes das Treppchen runtersteigen muss.

Die Kirche ist wie viele in der Gegend eine sogenannte „Markgrafenkirche“, da sie nach der Reformation an den Markgrafen fiel, der dann als Kirchenpatron Einfluss auf die Gestaltung der Kirche genommen hat. Alle „Markgrafenkirchen“ weisen, wenn auch nicht immer vollständig, bestimmte Ausstattungsmerkmale auf. Davon habe ich mir nur das große, schön verzierte „A“ (für Markgraf Alexander) gemerkt, das in den Markgrafenkirchen üblicherweise am Jochbogen prangt.

In der Hiltpoltsteiner Kirche fand ich die herunterklappbaren, einem großen Fahrradsattel ähnlichen Sitze an der Emporenbrüstung interessant. Neben manchen waren noch ab­schließbare Kästen fürs private Gesangbuch und aufgenagelte Namensschilder mit Jahres­zahl, zum Beispiel „J.R. 1841“ - das kann also nicht der uns bekannte J.R. aus Dallas sein.

In Hiltpoltstein habe ich ganz erfreut auf der Karte einen Lebensmittelmarkt „Merkel“ ausfindig gemacht, der wohl tatsächlich von Briefpapier bis Blumenerde alles hat - aber montags geschlossen ist. Da ich nun schon fast aus dem Ort raus war, bin ich nicht zum Abzweig des Jakobsweges zurückgelaufen, sondern weiter entlang der B 2, da auf der Landkarte im Nachbarort eine Landmetzgerei eingezeichnet war, die vor Ort besehen sogar mit einer „Brotzeitstube“ aufwarten kann. Aber leider ist auch diese montags geschlossen. Zum Glück bin ich auch danach auf der B 2 geblieben (die nun ein ganzes Stück von einem separaten Fußweg begleitet wurde), denn sonst wäre mir das schon geschilderte Erlebnis der acht Herren am Stammtisch entgangen.

Via Imperii - Stierberg-Weissenohe