Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Avilés nach Muros de Nalón

Tag 19 (Freitag, 24.3.2023) von Avilés nach Muros de Nalón

Heute war ein Tag, wie man ihn sich für die ganze Reise wünscht. Angenehme Temperaturen und blauer Himmel, manchmal mit ein paar Wölkchen. Allerdings weht ein frischer Wind, der alle um mich herum ausgebreiteten, gerade im Supermercado erstandenen Leckereien nacheinander vom Tisch weht. Ich sitze aber auch in einem Park auf einer Bergkuppe mitten in Muros, meinem heutigen Ziel.

Ich habe gut geschlafen und war zeitig wach. Um dreiviertel sieben ging irgendwo im Raum ein Wecker und um sieben hat jemand das Licht angemacht. Das war mir sehr recht. Beim Durchzählen ergab sich, dass wir nur zu sechst in der Herberge waren: zwei Schweizer Damen, drei Herren (Schweizer, Franke, Mexikaner) und ich. Allerdings gab es im Raum auch nur 48 und nicht wie verkündet, 56 Betten.

Der Schweizer war mir noch dabei behilflich, am Herd die Kindersicherung auszuschalten. Wenn man ohne die Kinder oder Enkel unterwegs ist, steht man hilflos vor einem solchen Gerät. Ich wollte mir nämlich Wasser machen, um mir aus den im Supermarkt erstandenen Kaffeetütchen ein Getränk zu bereiten. Ich hatte auch eine Packung Milch gekauft, um den Kaffee-Becher aufzufüllen. Da ich jetzt erst mitbekommen habe, dass ich entkoffeinierten Kaffee gekauft habe, konnte ich die Prozedur bedenkenlos mehrfach wiederholen. Ich habe es nur diesmal unterlassen, den Rest der Milch auszutrinken, denn bei der letzten Tour bin ich nach einer solchen Aktion vermutlich wegen eines Zuckerschocks wie besoffen durch die Gegend getaumelt. Diesen Zustand kann man auch auf bessere Weise herstellen … Jetzt gab es aber noch das Problem mit den zu viel gekauften Sardinenbüchsen. Das habe ich ganz einfach dadurch gelöst, dass ich sie mit dem Rest meines Weißbrotes aufgegessen habe.

Heute war ich mal der Letzte, der die Herberge verlassen hat. Es war schon nach acht, als ich die Tür hinter mir zugezogen habe. Auf dem Weg durch Avilés bin ich auch an der Kirche vorbeigekommen, bei der sogar mal die Türen offen standen. Drinnen fand gerade die Morgenmesse statt, die ich gern bis zum Schluss verfolgt habe. Leider findet das hier in Spanien offenbar immer ohne Gesang und Orgelspiel statt.

Schon in der Stadt ging es stetig bergauf. Am Stadtrand angekommen, konnte man von oben auf den Hafen von Avilés schauen, wo offenbar Teile von Offshore-Windanlagen gefertigt und verladen werden. Zwischendurch habe ich Alejandro getroffen, der erzählte, dass Paul heute früh wegen Schmerzen in den Schienbeinen einen Arzt konsultieren musste, der konstatiert hat, dass eine Überlastung vorliegt und Ruhe geboten ist. Mal sehen, wann der mir wieder über den Weg läuft. Am Stadtrand war noch lange nicht Schluss mit dem Aufstieg, aber irgendwann ging es nicht mehr höher. Auf einer Bank am Wegesrand habe ich die Schweizer Mädels wiedergetroffen, die gerade Pause gemacht haben. Ich habe mich einen Moment daneben gesetzt und nach ein paar gegenseitig geschossenen Bildern bin ich los. Die Beiden sind aber so gut drauf, dass sie mir stets im Nacken waren. Der ausgeschilderte Weg nahm jetzt einen anderen Verlauf als der heruntergeladene Track anzeigt. Es ging auf engen Waldwegen bergauf bis zu einer Autobahnüberquerung auf einer zweispurigen Brücke, die vom Nichts ins Nichts führt. Dahinter wird gerade eine Deponie angelegt und der Weg verläuft ein ganzes Stück auf breiten, gut gewalzten Zufahrtswegen dieser Deponie. Dann zweigt er aber ab und führt ziemlich steil bergab auf völlig zerfahrenen Waldwegen, die voller Pfützen stehen. Schilder weisen darauf hin, dass beidseits Bergbau betrieben wird. Eine schöne Hinterlassenschaft der Buddelei habe ich dann in Form eines dunkelblauen Teiches, umringt von weißen Felsen, gesehen. Ein traumhafter Anblick, aber reinsteigen würde ich trotzdem nicht in den Teich.

Unten angekommen hieß in diesem Fall, am rechten Ufer des Rio Nalón, der sich hier zur Ria de San Esteban erweitert, bevor er sich im Meer ergießt. Auf der hiesigen Seite liegen die Dörfer El Castillu und La Florida, die von einer Burgruine überragt werden. Auf der anderen Seite liegt malerisch in einer Bucht gelegen San Esteban und auf dem links dahinter liegenden Berg Muros de Malón, mein heutiges Etappenziel. Im heruntergeladenen Track sieht es aus, als gäbe es eine Fähre über die Ria, aber keines der diesseits und jenseits im Wasser liegenden Boote rührte sich. Also weiter auf der Dorfstraße bis zu jener Straße, welche die Ria auf einer langen Brücke überquert. Die Brücke zu Fuß zu passieren, war gar nicht so einfach, denn zwischen Leitplanke und Geländer war kein halber Meter Platz und auf dem Boden war es so eng, dass man kaum die Füße nebeneinander setzen konnte. Hinter der Brücke ging es noch ein paar Meter auf der Straße weiter und dann links weg von der Straße auf einem schmalen Weg steil bergauf bis zur Dorfstraße von Muros. Dann waren es nur noch wenige Meter bis zu „Fali's Albergue - La Naranja Peregrina“, die ich mir ausgesucht hatte. „Fali“ steht hier offenbar für Raphael, einen Oberösterreicher, der 2020 diese Herberge gekauft hat. Er hat mich freundlich begrüßt und mir eine selbst gemachte Limonade hingestellt. Als er dabei erwähnte, dass er auch Bier im Kühlschrank hat, war für mich klar, dass ich hier bleibe. Und mit dem Bier gab es auch ein großes Stück von der Tortilla, die kurz zuvor noch im Ofen war.

Ich war heute der erste Gast, aber während ich mit Raphael vor der in einem alten Bauern­haus untergebrachten Herberge schwatzend saß, kamen die beiden Schweizer Mädels, eine etwa so alt wie ich, die andere dem Anschein nach ein paar Jahre älter, und waren von der Herberge so angetan, dass sie gleich eingecheckt haben. Wir teilen uns jetzt den Schlafraum im Erdgeschoss. Ein Paar aus Kalifornien, das dann noch kam, hat den Schlafraum im Obergeschoss. Ich habe hier (wie alle anderen) Abendbrot und Frühstück mitgebucht, weil es immer Spaß macht, wenn die ganze Belegschaft um den Tisch herum sitzt und plaudert. (Übernachtung 15 €, Abendessen mit Wein 8 €, Frühstück 4 €). Zum Abendbrot gibt es Nudeln, das Standardgericht bei Massenverpflegung, und zum Frühstück angeblich Wurst und Käse. Das wäre ja toll, sonst ist immer nur Marmelade im Angebot. Heute waren es nur 22 km. Das kann man mal als Ruhetag durchgehen lassen, aber es verleitet zum Faulenzen, wenn man vor drei im Quartier ist. Morgen ist laut Pilgerführer wieder eine kurze Etappe dran, da versuche ich noch was dran zu hängen, denn es kommen noch lange Etappen mit hohen Bergen, die ich gern verkürzen würde.

Camino del Norte - Tag 19