Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Vilalba nach Miraz

Tag 27 (Samstag, 1.4.2023) von Vilalba nach Miraz

Gestern Abend war ich kaum mit meinem Bericht fertig, da ging zehn Minuten vor zehn ohne Vorankündigung im Speiseraum das Licht aus. Der Rausschmeißer. Ich habe im Dunklen meinen Kram zusammen geräumt und bin in den Schlafraum, der noch unter voller Beleuchtung stand. Da Tori & John schon in den Betten waren, wollte ich das Licht ausschalten, aber nirgendwo war ein Lichtschalter. In der Hoffnung, dass auch hier das Licht automatisch ausgeht, vielleicht um zehn, habe ich mich hingelegt. Nachdem der erste Einschlafversuch gescheitert war, bin ich wieder raus und habe das ganze Haus nach Lichtschaltern abgesucht, aber nur in den Bädern welche gefunden. Um 22.33 Uhr machte es dann aber Kick und das Licht war aus. Dummerweise lag das Treppenhaus, das man bei jedem Toilettengang benutzen musste, nun unveränderlich im Dunkeln. Das hat der Programmierer der Beleuchtungsanlage schlicht vergessen. Die Technik hat auch nicht wahr­genommen, wenn ein alter Mann infolge Harndrangs eine Etage tiefer die Toiletten angesteuert hat. Und das im Land der Bewegungsmelder! Anderswo steht man in Spanien beim Toilettengang auf dem Flur im Flutlicht, das auch in alle Ecken des Schlafraumes dringt. In Dumbria, zwischen Santiago und Murxia gelegen, ist das immer ein Erlebnis für alle Vorbeigehenden, da der Flur zur Straße hin verglast ist.

So plötzlich wie das Licht abends ausging, ging es morgens um 6.43 Uhr wieder an - im Schlaf- und im Essenraum. In letzterem habe ich mich nach Anziehen und Packen niedergelassen, um die binnen 14 Minuten in Verzehrfähigkeit versetzten „Canelones de Carne“ zu vertilgen. Da mir nur eine Gabel zur Verfügung stand, konnte ich die Deckschicht aus versteinertem Käse leider weder durchstoßen noch zerlegen, sondern nur komplett von der Speise entfernen. Die vier darunter befindlichen Teigrollen hätte man bei gegebenem Appetit sicher verzehren können, aber so entblößt wie sie jetzt da lagen, war der Appetit plötzlich weg, zumal auch deren Inhalt nicht sonderlich lecker aussah. Die Fleischfüllung hätte man auch gut in einer Tube liefern können. Da wir nur zu dritt waren, war viel Platz in der Mülltonne.

Um acht bin ich los. Bis ins alte Zentrum von Vilalba, das mit einem großen Wohnturm und einem netten kleinen Platz vor der Kirche aufwarten kann, waren es bestimmt 2,5 km. Weiter ging es dann den ganzen Vormittag bei trübem Wetter und gelegentlich ein bisschen Regen durch eine nicht sonderlich spektakuläre Landschaft. Eindrucksvoll waren allerdings die Steineinfassungen der Grundstücke und Wege. Die reichte von uralten, vielleicht schon in der Römerzeit aufgeschichteten Steinmauern bis hin zu den schon beschriebenen noblen Mauern aus sorgfältig behauenen Steinplatten. Zwischendurch war immer mal ein Hund, ein Pferd oder eine Kuh zu streicheln. Die Kühe erschienen mir übrigens immer viel interes­sierter und anhänglicher als die anderen Tiere.

Irgendwann habe ich Thomas getroffen, der auch in Vilalba geschlafen hat, allerdings im Hotel. Mit einem interessanten Gespräch ging es gut voran. Zwischendurch sind wir mal eingekehrt und dabei wieder auf Tori & John getroffen. Thomas hat da gerade eine Nachricht von seinem Vater erhalten, dass laut einer deutschen Presseagentur in den Wäldern östlich von Santiago Wölfe entdeckt wurden. Kaum hatte er damit die Anwesenden in Interessiert­heit oder Schrecken versetzt, kam eine zweite SMS mit „April, April!“

Später sind wir noch auf Alex getroffen, der inzwischen auch über Knieschmerzen geklagt hat und nicht mehr so gerannt ist. Zusammen haben wir Baamonde, das eigentliche Tages­ziel, erreicht und uns in der „Café Bar A Rotunde“ (auf Deutsch „Kneipe am Kreisverkehr“) zu einem Abschiedsbier auf der Terrasse niedergelassen, denn die Zwei hatten hier ihr einstweiliges Ziel erreicht. So wie die N-634, die uns seit Irun begleitet hat und die nun nach 640 km vorerst in Baamonde endet. Aber eigentlich hat der Jakobsweg im Zick-Zack die Straße begleitet, warum er bis hier etwa 100 km länger als die Straße ist. Thomas hat in Baamonde ein Hotel gebucht und Alex wollte in der Herberge absteigen, was ich eigentlich auch vorhatte. Aber es war erst 13 Uhr und der Kilometerzähler stand auf 21. Da muss man noch nicht aufhören, zumal einem in einem Ort wie Baamonde für den Rest des Tages nur die Wahl zwischen den beiden Kneipen am Kreisverkehr geblieben wäre. Ich habe mir deshalb einen Ruck gegeben und mich auf den Weg ins 16 km entfernte Miraz begeben. Das liegt auf dem längeren der beiden Wegvarianten, von der dann aber nur 24 km für den nächsten Tag übrig bleiben. Die ursprünglich ins Auge gefasste andere Variante wäre wie gesagt 32 km lang, ohne dass man da etwas verkürzen könnte.

Da der Weg kaum Steigungen aufwies und überwiegend auf Asphaltstraßen verlief, kam ich gut voran und keineswegs erschöpft nach 37 km in Miraz an. Dort habe ich die auch von Marianne empfohlene Herberge des englischen Pilgervereins gewählt, wo ich sehr freundlich empfangen wurde. Die auf Spendenbasis betriebene Herberge ist sehr ordentlich und mit allem Erforderlichen ausgestattet. Offiziell hat sie erst heute (1. April) aufgemacht, aber auch in den letzten zwei Tagen hat man schon Pilger beherbergt. Heute sind es außer mir nur vier. Ein Herr, den ich noch nicht kennengelernt habe, und drei etwa 40jährige Spanierinnen, die jeweils mit einem kleinen Ränzlein und einem Rollkoffer unterwegs sind. Letztere werden sicher morgen per Taxi ins nächste Quartier befördert. Hier haben wir sie also wieder, die Lightpilger. Schließlich bin ich jetzt auf den letzten 100 km, die man gelaufen sein muss, um in Santiago die „Compostela“ (manche sagen „Ablassbrief“) zu bekommen. Die Drei sind gestern in Vilalba gestartet, wo ich heute früh aufgebrochen bin. Gerade war ich nochmal im Schlafraum, um mein Netzteil zu holen, da habe ich gesehen, dass die ihre Betten zusammengeschoben und mit Decken verhangen haben, so wie wir das im Ferienlager auch gemacht haben.

Ich war vorhin noch in der hiesigen Gaststätte was essen und dann zur Besichtigung in der Dorfkirche, die abends immer für eine halbe Stunde von den Hospitaleros (ein älterer Herr und eine ältere Dame, beide aus England) zur Besichtigung aufgeschlossen wird. Ein sehr schöner Service. Das morgige Ziel ist die Herberge im Kloster von Sobrados. Da Palm­sonntag, also Beginn der Osterwoche ist, hoffe ich, dort schon etwas „Semana Santa“ schnuppern zu können.

Camino del Norte - Tag 27