Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Gontán nach Vilalba

Tag 26 (Freitag, 31.3.2023) von Gontán nach Vilalba

8.45 Uhr. Heute habe ich mir mal die Zeit genommen, gleich nach dem Start auf einen „Café con leche“ einzukehren, wer weiß, wann es die nächste Möglichkeit dazu gibt. Heute ist eh ein Wetter, bei dem man eher lustlos losläuft. Die ganze Nacht über hat der Wind an den Fenstern gerüttelt und jetzt bläst er immer noch heftig, obwohl die Wetter-App erst ab 13 Uhr Wind ansagt. Der wird also noch schlimmer werden. Zum Frühstück habe ich die zweite Meeresfrüchte-Mikrowellenspeise („Fideuá“) verzehrt. Die war noch besser als die Paella: kleine Nudeln statt Reis und ordentlich Muscheln, ein oder zwei Scampi und ein winziger Tintenfisch, der früh sein Leben lassen musste. Der frühen Stunde wegen habe ich auf die Extra-Portion Muscheln aus der Büchse verzichtet. So, der Kaffee ist alle und ich muss wieder raus in die Kälte, 9 Grad, gestern war es wesentlich wärmer.

13.30 Uhr. Heute treibt mich nichts, da kann ich hier in Goiriz eine längere Pause machen - in einer Bar, die zugleich Kaufmanns-, Lotto- und Tobacco-Laden ist. Richtig niedlich. Die beiden Franzosen aus der Dordogne, die mir heute Morgen davon geeilt sind, sitzen auch hier und zeigen plötzlich keine Eile mehr. Heute wird man hier fast von Kneipen erschlagen, das ist auf 15 km schon die zweite. In der vorigen, in Martiñán, habe ich zusammen mit den beiden Amerikanern Rast gemacht und u. a. die Tortilla probiert, die angeblich die beste am ganzen Weg sein soll. Der Wirt hat mir ganz stolz auf dem Smartphone einen ent­sprechenden Ausschnitt aus einem deutschen Reiseführer gezeigt. Da steht allerdings sinngemäß, dass der Wirt behauptet, es wären die besten Tortillas und dass man das glauben kann, wenn man sehr hungrig ist. Ich war nicht sehr hungrig und glaube das trotzdem. Die war wirklich gut. Noch vor jener Kneipe bin ich an einer privaten Herberge vorbei gekommen, die mir sehr lobenswert erscheint: „Albergue O Xistral“ in As Paredes. Ein altes, innen und außen sehr schön hergerichtetes Natursteinhaus mit einem schönen Garten, in dem neben einigen Bänken sogar ein Schwimmbecken steht. An der Tür steht eine Telefonnummer, die man anrufen soll, wenn man dort schlafen will.

15.00 Uhr. Ich bin gerade in Vilalba angekommen. Ungewohnt früh. Kraft und Zeit hätten es erlaubt, nach 23,4 km noch ein Stück weiter zu laufen, aber auf der gesamten nächsten Etappe gibt es keine Herbergen, erst nach 18,5 km am Etappenende in Baamonde. Wer es eilig hat, wird sich ärgern, dass er hier nicht was zusammenfassen kann, aber ich habe alle Zeit der Welt. Wenn alles weiter gut läuft und ich übermorgen die Bergetappe nicht abkürzen muss, bin ich vielleicht schon am Mittwoch in Santiago - viel früher als geplant. Ich werde aber in diesem Fall nicht den Aufenthalt in der Herberge Sixtos verlängern, sondern mich für eine Nacht woanders einquartieren, damit es nicht langweilig wird.

Die kommunale Herberge hier in Vilalba, in einem Gewerbegebiet an der alten N-634 gelegen, ist ein völlig überdimensionierter Neubau - ein dreigeschossiger, schwarz ver­kleideter Würfel. In Erdgeschoss neben der Rezeption und einer minimalistischen Küche (Mikrowelle, sonst nichts) befinden sich ein großer Speise- und ein Aufenthaltsraum. Darüber eine Etage mit den sehr großzügigen Sanitäranlagen (für Männlein und Weiblein je 2 Klo’s, 3 Waschbecken, 4 Duschen) und einer kleinen Lobby, die zur Hälfte wie ein Balkon über das Erdgeschoss ragt und zur anderen Hälfte raumhoch verglast ist. Im zweiten Stock dann zwei Schlafräume mit je 24 Betten. Ich habe hier das dritte Bett belegt, vor mir waren nur die Amerikaner (Tori & John) hier. Wo die anderen geblieben sind, weiß ich nicht. Eigentlich wollten Alex, der Engländer (Kieran) und die Franzosen (Hubert und Caroline) auch hier einchecken und die waren alle vor mir. Da es wie gesagt auf den nächsten Kilometern keine Alternative gibt, werden die wohl noch kommen. Sicher sind sie Einkaufen oder was Essen. Ich werde auch gleich einkaufen gehen und schauen, ob ich wieder so ein leckeres Mikrowellengericht mit Meeresfrüchten bekomme.

In einer Kneipe habe ich vorhin eine Reportage über die Waldbrände in Oviedo gesehen. Das sah ja ziemlich schlimm aus. Vor ein paar Tagen war ich noch in der Gegend. Heute kamen zwar mal ein paar verirrte Regentropfen runter, ansonsten habe ich hier seit über drei Wochen tagsüber keinen Regen gehabt. Da ist der Wald vermutlich trockner, als man denkt. Und ich kann mir gut vorstellen, dass der Eukalyptus mit seiner herunter hängenden Rinde hervorragend brennt. Ich habe übrigens hier und auf den anderen Wegen in Spanien in keinem Dorf eine Feuerwehr gesehen. Und auch in den Kleinstädten ist mir keine aufgefallen, nur hier in Vilalba, genau neben der Herberge. Von der Lobby aus, in der ich sitze, schaue ich auf den Neubau einer Feuerwache mit zwei Löschfahrzeugen und zwei kleinen Transportern. Was Brände betrifft bin ich zumindest die nächste Nacht sicher. Gerade sehe ich, dass auf der anderen Seite der Herberge ein Rot-Kreuz-Stützpunkt oder eine Rettungswache ist (zwei Tore mit einem roten Kreuz drauf) - ich bin also auch bei irgend­welchen Wehwehchen bestens versorgt. Den vermeintlichen Schnupfen, der mich heute früh geplagt hat und der vermutlich vom kalten Wind herrührte, konnte ich übrigens mit einer Eukalyptus-Hopfen-Kur (ein Büchsenbier bei einer Pause im Eukalyptuswald) bekämpfen.

Was mir heute auch erstmals aufgefallen ist, sind Grundstücksbegrenzungen durch senkrecht in der Erde steckende, grob behauene Steinplatten. Manchmal sind diese „Mauern“ krumm und schief, vor allem wenn Bäume und Sträucher sich daneben breit gemacht haben, manchmal sind sie aber ganz akkurat ausgeführt und ein echter Hingucker. Dann haben die etwa 80 cm aus dem Boden ragenden Platten eine schnurgerade Oberkante und sind so verzahnt, dass sie sich gegenseitig halten. Wer so was aufstellen kann, verdient Bewunderung. Gut ausgeführt sieht solch eine Einfriedung -zigmal besser aus, als ein Zaun aus der Kunstschmiede.

19.45 Uhr. Ich bin vom Einkaufen zurück und habe bereits gegessen. Die Herberge liegt doch ganz schön auswärts. Bis zum nächsten Supermarkt waren es 30 Minuten Fußweg, also etwa 2 km. Tori & John sind mir gefolgt, aber weiter in die Stadt hinein. Vermutlich wollten sie Essen gehen. Wir Drei sind die Einzigen in der einfachen, aber sehr ordentlichen 8-Euro-Herberge mit 48 Betten geblieben. Auch diese hat übrigens von 13 bis 22 Uhr jemand an der Rezeption zu sitzen. Da die Ami‘s noch nicht zurück sind, sitze ich hier allein im Speiseraum. Das ist irgendwie komisch und gefällt mir gar nicht. Ich laufe gern und fast immer allein und das macht mir nichts aus. Aber abends allein in der Herberge zu sitzen ist nicht mein Ding. So muss es jeden Abend denen gehen, die allein von Hotel zu Hotel ziehen. Manchen gefällt das (Thomas), andere sind froh, wenn sie jemand auf die Idee bringt, in Herbergen abzusteigen und laufend neue Leute zu treffen (Björn). Aber mit den „laufend neuen Leuten“ ist das so eine Sache, da ja nur ein paar unterwegs sind.

Im Supermarkt „Gadis“ gab es leider nicht solche Fertiggerichte, wie ich gestern hatte. Da habe ich mir aus der Tiefkühltruhe Mikrowellen-taugliche Nudeln mit Gemüse und Gambas geholt. Das war sehr lecker, aber richtig satt bin ich noch nicht. Vermutlich werde ich mich etwas später noch an den „Canelones de Carne“ vergehen, die ich mir eigentlich für morgen früh gekauft habe. Die kommen auch aus der Tiefkühltruhe und halten möglicherweise ohne Kühlschrank (den ich hier vermutet hatte) nicht bis morgen durch. Einen Grund zum Futtern gibt es immer.

21.00 Uhr. Tori & John sind doch bald gekommen. Sie waren in der Stadt einen Wein trinken und haben sich dann auch im „Gadis“ Verpflegung geholt. Während sie aßen haben wir uns noch über alles Mögliche unterhalten. Das war nicht ganz einfach, denn „my English is not the yellow from the egg“. Aber es ging. Ich konnte ihnen zum Beispiel erzählen, was ich gerade bei Wikipedia gelesen habe, nämlich dass Galicien weniger als 6 Prozent der Fläche Spaniens einnimmt, aber die Hälfte der Dörfer stellt: über 20.000! Hier zählt jede Ansamm­lung von Häusern und manchmal auch ein einzelnes Haus als Dorf, was die vielen Orts­namen in der Karte erklärt. Manchmal findet man einen Ort am Jakobsweg nur mit der Suchfunktion, da der Name etwas größerer Orte, wie der Etappenziele, im Gewirr von Namen kleinster Siedlungen untergeht.

Die morgige Etappe nach Baamonde ist wie gesagt mit 18,5 km ziemlich kurz und ohne große Berge. Ab Baamonde gibt es zwei Wegvarianten: eine mit 32 km, die sich nicht abkürzen lässt, und eine mit knapp 40 km, die aber zwischendurch Herbergen bietet. Nun kann man entweder morgen in Baamonde übernachten und dann die 32 km nach Sobrado dos Monxes durchziehen, oder über Baamonde hinaus auf der anderen Wegstrecke z. B. bis nach Miraz laufen (+15 km). Dann bleiben da nur noch 25 km. Aber: hinter Miraz geht es dreimal auf 700 Meter, während die 32-km-Variante nur einen Berg mit 650 Meter zu bieten hat. Tori & John, denen das hier alles viel zu flach ist, wollen die Variante über Miraz wählen, während ich wahrscheinlich in Baamonde übernachten und dann die 32-km-Variante nehmen werde. Wir treffen uns also vermutlich erst übermorgen in Sobrado dos Monxes wieder, wo Übernachtung im Zisterzienserkloster angesagt ist (98 Betten in 8 Sälen).

Camino del Norte - Tag 26