Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 16 (Di, 12.3.2024) Cañaveral - Galisteo / 29,6 km
Nach einer sehr geruhsamen Nacht bin ich um halb sieben aufgewacht, eigentlich ein bisschen spät, wenn man eine halbwegs lange Tour vor sich hat. Aber da es so kuschelig warm im Schlafsaal war, nachdem wir gestern den Wirt ums Anschalten der Klimaanlage gebeten haben, bin ich nach dem Zähneputzen noch mal ins Bett gekrochen. Kaum lag ich, da springen doch die beiden anderen im Raum, Hape und Markus, auf und fangen an, ihre Sachen zu packen. Ich weiß nicht, was sie dazu bewogen hat, denn die wollen heute nur die gut acht Kilometer nach Grimaldo laufen, weil ihnen die 28 km bis Galisteo zu viel sind. Da hätte ich mich noch eine ganze Weile im Bett gedreht.
Ich hatte mir vorgenommen, heute so weit als möglich auf der glatten Straße zu laufen, denn das Gestolper gestern auf dem nicht umsonst auch als Mountainbikestrecke ausgewiesenen Trampelpfad kurz vor dem Stausee hat meinem Fuß nicht gerade gut getan. Erfreulicher­weise hat die Wetter-App heute gehalten, was sie versprochen hat: ungetrübter Sonnen­schein. Hinter Cañaveral ging es hoch bis auf einen knapp 500 Meter hoch gelegenen Pass, von dem sich ein toller Blick zurück auf den Ort und den dahinter gelegenen Stausee bot. Das Tal mit dem Stausee und seinen Zuflüssen war voller Wolken, die nur ganz wenig über den Rand hinausschauten. So konnte man die dahinter liegende Hochebene ausmachen, von der aus ich am Vortag schon vormittags mein Tagesziel, Cañaveral sehen konnte. Einer der Flüsse, die durch den Stausee fließen, der Tajo, ist übrigens jener, der in Lissabon als Tejo in den Atlantik mündet.
Kurz hinter dem Pass ist ein Kreisverkehr, über dessen Mittelinsel eine originalgetreue Römer­straße nebst Meilenstein führt. Sie zeigt direkt auf einen Nachtklub, der aber vermutlich jüngeren Datums ist. Für Entgegenkommende ist die Ausschilderung an der Straße etwas verwirrend, denn da verweist ein Schild nach rechts auf ein Kloster (El Convento …). Wenn man da gleich abbiegt und nicht erst am Kreisverkehr, dann steht man auf dem Hof dieses Etablissements. Das erinnert mich an eine Begebenheit aus den 70er Jahren. Da lagen in unserer Kirche Abo-Formulare für das „St. Hedwigsblatt“ aus. Die Leute, die sich auf diesem Wege das katholische Kirchenblatt des Bistums Berlin bestellt haben, fanden dann aber das „Magazin“ im Briefkasten, das immer schwer zu haben war, weil es nicht nur weitestgehend propagandafrei und mit lustigen Zeichnungen von Werner Klemke (Weißensee) versehen war, sondern weil da stets im Innenteil hübsche Mädchen ihre entblößten Körper zeigten. Wie viele der neuen Abonnenten darauf bestanden haben, stattdessen das Kirchenblatt zu erhalten, ist nicht bekannt geworden.
Den nächsten potentiellen Etappenort, Grimaldo, hatte ich um 10 Uhr erreicht. Dort war ja verlockend, dass die auf Spendenbasis betriebene Herberge zu einer Kneipe gehört, in der man ein Bier mit einer kleinen, herzhaften Käseplatte als Zugabe für 1,20 € erhält. Aber will man deshalb den ganzen Tag in dieser 3-Tische-Gaststätte verbringen? Die Kirche war zu, der burgenähnliche Wohnturm ist privat und mehr gibt es in dem hübschen, aber wirklich kleinen Kaff, wo man sich von einem zum anderen Ende was zurufen kann, nicht.
Da die N-630 ab da bis zu dem Punkt, an dem ich abgebogen bin, parallel zur Autobahn verläuft, war dort fast nichts los - ein Bus, ein paar LKW und wenige PKW. Da konnte man gut und gefahrlos laufen und bei Bedarf auch an einer von der Rückseite zugänglichen Autobahn-Raststätte oder an einer Tankstelle mit Gaststätte und Hotel einkehren. Es hätte da auch noch einen weiteren Nachtklub gegeben, aber es war ja erst Vormittag. Lange Zeit lief die Straße direkt auf ein paar schneebedeckte Berge zu. Die gehören zu einem kleinen Gebirge östlich des Weges und sind über 1800 Meter hoch, etwas weiter weg, geht es sogar bis über 2400 Meter. Ich bin bis zu dem einzigen Abzweig der Straße nach Riolobos gelaufen und dort abgebogen. Die Straße führt vorbei an der überfluteten Furt zu einem Campingplatz mit Herberge in Riolobos, wo A, B und C absteigen wollten. Der „richtige“, von Cañaveral kommende Weg trifft kurz vor Erreichen dieser Straße auf die vorgestern noch fast unpassierbare Furt, verläuft dann ein paar hundert Meter auf der Straße und biegt schließlich nach Norden ab. Dieser Abzweig führt nach Galisteo und war damit mein Weg. Ich bin zwar aus Neugier bis zur nächsten Kurve weitergelaufen, konnte aber die Furt nicht sehen. Der neben der Straße verlaufende Bach, der vorgestern wegen eines übergelaufenen Staubeckens so viel Wasser geführt hat, sah heute nicht wie ein reißendes Gewässer aus. Der Umweg wäre also vielleicht nicht nötig gewesen, hat mir und meinen Füßen aber bis dahin gut getan.
Am Abzweig des Caminos nach Galisteo habe ich erstmal Rast gemacht - der größte Teil war geschafft. Von der Idee, eventuell noch die 11 km nach Carcaboso dran zu hängen, hatte ich bereits Abstand genommen, da das zeitlich nicht mehr zu schaffen gewesen wäre. Jetzt waren es noch 7…8 km. Wie ich da so sitze, kommt eine vierköpfige Pilgergruppe vorbei, was mir sofort die Furcht bescherte, dass die Gruppe in Galisteo die Herberge füllen könnte, denn die hat nur acht Betten. Es waren ein Deutscher mit spanischer Frau und ein in Frankreich lebender Deutscher mit französischer Frau, die durch ihr kleines Beutelchen auf dem Rücken auffiel - ihr Gepäck ist nicht angekommen. Die beiden Paare haben sich auf dem Camino Francés kennengelernt und laufen nun jedes Jahr 1…2 Wochen zusammen. Als ich hörte, dass sie noch etwas weiter als Galisteo wollen, ggf. mit dem Taxi, habe ich mich nicht vordrängeln müssen, sondern konnte die Leute getrost ziehen lassen. Kaum hatte ich den ersten Hügel erklommen, war schon mein Tagesziel zu erkennen - nicht zu verwechseln wegen der eigenwilligen Kirchturmspitze: eine sehr spitze achteckige Pyramide auf einem kleinen, aber wuchtigen Unterbau. Später war dann noch zu sehen, dass der größte Teil der Stadt von einer hohen Stadtmauer umgeben ist, an die sich außen eine ganze Reihe Häuser schmiegt. Ehe ich das aus der Nähe sehen konnte, waren aber noch fast zwei Stunden zu laufen, leider auf holprigen Wegen mit Pfützen, die es zu umrunden galt. Das hat meinem Fuß gar nicht gefallen. Da ist es gut, dass morgen mit 11 km quasi ein Ruhetag ansteht. Ich werde mir auch erst morgen die Stadt anschauen.
Ich habe hier direkt die private Herberge angesteuert und stand prompt vor verschlossener Tür. Ich habe dann Kraft meiner Sprachkenntnisse eine der angegebenen Nummern angerufen und hatte eine Dame dran, die nur ein einziges, aber das entscheidende englische Wort kannte: „Mailbox“. Und tatsächlich war neben der Tür ein offener Briefkasten mit einem Schlüssel drin. Ich bin damit rein und war völlig überrascht, dass da alles leer ist: vier Einzelbetten und zwei Doppelstockbetten. Dazu gibt es einen als „Salon“ ausgewiesenen Aufenthaltsraum mit Küchenecke. Esstisch und zwei Sofas. Da habe ich mich nieder­gelassen, nachdem ich mir im nahen Supermarkt alles Nötige besorgt habe. Leider ist es da ziemlich kühl, aber im Schlafraum gibt es eine Klimaanlage, die ich schon hochgefahren habe - umgekehrt wäre es besser.

Via de la Plata - Tag 16