Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 23 (Di, 19.3.2024) Salamanca - El Cubo del Vino / 36,5 km
Heute habe ich mich zeitig auf den Weg gemacht, weil wieder eine Monsteretappe von 37 km anstand. Die Hospitalera hatte gestern verkündet, dass sie um 6.30 Uhr die Tür aufschließen wird. Ich bin entsprechend zeitig um 5.30 Uhr aufgestanden, um noch in Ruhe einen Kaffee zu trinken und was zu essen. Schlafen konnte ich eh nicht mehr, da ordentlich geschnarcht wurde und es im Zimmer definitiv zu warm war. Das war nicht der Heizung geschuldet, denn die ist nachts runtergefahren worden, sondern den fünf Personen in einem Raum, in den ganz knapp vier Doppelstockbetten gepasst haben. Nebenan, in einem vermutlich gleich großen Raum war dafür die Australierin allein untergebracht. So ungerecht ist die Welt. Die fünf Männer haben nicht nur ordentlich geheizt, sondern auch ganz schnell die Luft im Raum aufgebraucht. Ich habe zwar nachts die Tür zur Treppe hinunter in die Eingangshalle aufgemacht, aber viel Frischluft hat das nicht gebracht. Den Schlafsack hatte ich umsonst ausgepackt und auch die auf dem Bett liegende Decke habe ich nicht gebraucht. Das dünne Einmal-Laken hat völlig ausgereicht - welch ein Unterschied zu den Nächten vor zwei Wochen, wo ich mit langem Unterhemd und Pullover in den Schlafsack gekrochen bin und immer noch gefroren habe.
Als ich um halb sieben aufgebrochen bin, waren die Straßen in der Innenstadt von Salamanca noch menschenleer. Es war nur ab und zu mal ein Straßenfeger zu sehen. Weiter draußen, in den Vororten war schon etwas mehr los. Bis hinter die Autobahn ging es auf einem teilweise völlig überdimensionierten Fußweg mit zwei separaten Radspuren. Hier sind zwar an den Wochenenden unzählige Hobby-Radfahrer, meist ältere Herren auf Mountainbikes, unterwegs, aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkaufen fährt.
Der Weg führte dann weg von der Straße über weite Felder und durch drei Orte im Abstand von je 5 km. In den ersten beiden Orten war noch alles verrammelt bzw. keine Bar zu finden. Im dritten Ort, Calzada de Valdunciel, fand sich dann eine Kneipe, die vermutlich gerade geöffnet wurde, denn die Wirtin war noch dabei, die Stühle rauszustellen. Da habe ich nicht nur was zu trinken bekommen, sondern auch eine Tortilla, von der ich mir gleich noch Nachschlag geholt habe. In dem Ort hätte ich auch in einer Herberge übernachten und damit die Etappe verkürzen können, aber um elf komme ich noch nicht auf die Idee, den Tages­marsch zu beenden.
Von Calzada de Valdunciel bis zu meinem Zielort, El Cubo de Tierra del Vino („Der Eimer aus dem Weinland“), ging der Weg erst 3 km über die Felder und dann 18 km entlang der Autobahn, was sich aber schlimmer anhört, als es war. Wenn man hier in Spanien meint, statt eines Fahrweges würde eine Straße gebraucht, dann baut man diese nicht auf den Fahrweg, sondern daneben. Und wenn man meint, dass statt der Straße eine Autobahn nötig sei, dann kommt diese auch daneben. So hat man hier bei fast allen Autobahnen eine parallel dazu verlaufende, meist kaum benutzte Fernstraße und manchmal sogar noch einen Fahrweg. Das hat den großen Vorteil, dass bei Bauarbeiten oder Staus auf der Autobahn die Umleitung gleich nebenan verläuft. Nun muss ich allerdings sagen, dass ich bei allen meinen Wanderungen durch Spanien bisher noch nie einen Stau oder eine Baustelle auf der Autobahn oder auf einer Fernstraße gesehen habe. Und ich habe auch noch nie eine Autobahn oder Fernstraße gesehen, die eine Baustelle nötig gehabt hätte.
Auf dem ersten Stück der genannten Strecke verliefen Fahrweg (Camino) und Fernstraße (N-630) westlich der Autobahn (A-66). Dann wechselt die Straße auf die andere Seite der Autobahn. Ich bin da gleich mit gewechselt, denn im Wanderführer stand, dass man bei hohem Wasserstand eines zu überquerenden Baches unter der Autobahn durch auf die Fernstraße und nach Passieren der Brücke wieder zurück auf den Fahrweg wechseln soll. Nach meinen Erfahrungen der letzten Tage war mir klar, dass der Weg über den Bach unpassierbar sein wird und folglich der genannte Umweg anstehen würde. Und tatsächlich stand unter der langen Autobahnbrücke, die den Bach überquert, ein ganzer See. Da wäre kein Durchkommen gewesen.
Weil ich unter hiesigen Verhältnissen lieber auf dem breiten, glatten Randstreifen der kaum benutzten Landstraße laufe, als auf einem holprigen und matschigen Weg, bin ich bis zum Schluss auf der Straße geblieben. Zu sehen gab es da gleich viel oder wenig wie auf dem Weg. Das einzig Auffällige war mitten in der Landschaft ein hoher Turm, der wie der Tower eines Flughafens aussah. Und wie bei einem Flughafen war die Fläche ringsum eingezäunt - nur mindestens doppelt so hoch. Da dämmerte mir, dass dies kein Flughafen, sondern ein Knast ist. Mitten in der Wildnis. Der machte aber einen sehr ordentlichen, modernen Eindruck und sah von außen komfortabler aus, als manche Herberge, in der ich abgestiegen bin. Sowas wäre bei uns aber trotzdem nicht denkbar. Man kann doch einem Schwerverbrecher beim Freigang nicht einen so langen Anfahrtsweg zumuten!
Auf den 21 Kilometern von Calzada de Valdunciel nach El Cobo de Vino (frei übersetzt „Ein Eimer Wein“ - so die auf den Wegweisern benutze Kurzform) gab es keinen Ort oder irgendeine Einkaufs- bzw. Einkehrmöglichkeit. Auch keinen Rastplatz oder eine Sitz­gelegenheit und kaum einen Baum, unter den man sich hätte setzen können. Da müssen die Pausen an der Leitplanke oder auf einem Trümmerhaufen am Straßenrand erfolgen. Das zehrt schon ganz schön an den Kräften und am Gemüt. Um halb sechs war ich dann endlich an meinem Zielort. Die zur Herberge zeigenden Pfeile führten durch ein ziemlich nöliges Viertel mit lauter Landwirtschaftsbetrieben. Ich habe da nur noch etwas ganz Gruseliges als Unterkunft erwartet und war dann sehr erstaunt, dass es in dem unscheinbaren Häuschen recht ordentlich aussieht. Nichtsdestotrotz sind die hier aufgerufenen 18 € für ein Bett im Dormitorio (Schlafsaal) ziemlich überzogen - aber wenn die letzte Herberge davor 21 km weg ist und die nächste erst in 13 km folgt, kann man den Preis ziemlich beliebig festsetzen.
Allerdings relativiert sich der Preis, wenn der „Schlafsaal“ aus einem Raum mit zwei oder vier Betten besteht. Ich bin in einem Zweibettzimmer bei Winfried aus Mönchengladbach gelandet. Der ist 84 Jahre alt und hat schon zehn Caminos hinter sich. Dreimal ist er von Mönchengladbach nach Santiago gelaufen, die anderen Male von Faro, Barcelona, Valencia usw., also keine Kurzstrecken. Alle Achtung! Allerdings kann er mit seinem Kreuz keinen Rucksack mehr schleppen, weshalb er eine Art Rollkoffer hinter sich herzieht. Und damit ist er schnell. Ich habe das schon mal von weitem beobachtet und heute ist er in Salamanca sicher nach mir gestartet und war vor mir hier.
Zusammen sind wir noch in den Ort gelaufen, wo angeblich von sechs bis sieben der Kaufmannsladen offen ist - wie sich rausstellte, aber nur, wenn der Kaufmann Lust hat. Aber was gegen den akuten Durst und Wasser für morgen zum Mitnehmen gab es auch in der Dorfkneipe. Da drinnen starrten etwa 20 Augenpaare auf den Fernseher, wo Stierkämpfe zu sehen waren. Ich habe eine Weile zugeschaut - leider musste immer der Stier dran glauben.

Via de la Plata - Tag 23