Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 29 (Mo, 25.3.2024) Santa Marta de Tera - Rionegro del Puente / 28,3 km
Heute morgen haben mir Christel und Sybille verkündet, dass sie nur die etwa 11 km bis Calzadilla de Tera laufen wollen, weil es Sybille nicht so gut geht. Seit Tagen hat sie schon eine Erkältung und bellt ziemlich viel rum. Wenn die beiden nicht mit Bus oder Taxi aufholen, werde ich sie auf diesem Weg nicht wiedersehen - dachte ich. Die sind wie immer vor mir und viel schneller los. Als ich in Calzadilla ankam, hatten sie dort schon Quartier bezogen und sich zum Kaufmannsladen begeben, wo wir uns in die Arme gelaufen sind. Wir konnten also noch ein zweites Mal Abschied nehmen. Sybille aus KW werde ich vielleicht mal Ostkreuz beim Umsteigen treffen, aber Christel bestenfalls auf einem Camino.
Der Weg verlief heute zunächst immer entlang des Rio Tera, mal dicht dran, dann wieder ein Stück weg. Die Felder und Eukalyptus-Plantagen beidseits des Weges machten dann einer Bergbaulandschaft Platz. Rechts waren jede Menge vollgelaufene Kiesgruben und Erdhaufen, die davon zeugen, dass hier irgendwas aus der Erde geholt wurde. Links ist man dabei, für den Fluss ein neues oder zusätzliches Bett zu schaffen. Da war schon eine Rinne ausgebaggert und der Aushub zu einem Erdwall aufgeschüttet. Das war nichts fürs Auge, zeugt aber davon, dass hier investiert wird. An der Brücke über den Rio Tera war zu beiden Seiten ein schöner Rastplatz mit vielen Sitzgruppen, wie man das jetzt häufiger sieht. In Calzadilla de Tera war ich wie gesagt im Supermarkt, hab mir da aber leider nur was für ein Picknick geholt, das ich gleich vor der Tür abgehalten habe. Da noch ein paar Orte am Weg lagen, war ich törichterweise der Ansicht, dass ich später für Abendbrot und Frühstück einkaufen kann. Denkste!
Zum nächsten Ort, Olleros de Tera, ging es entlang eines betonierten Kanals. Links stand erst noch eine ganze Reihe Häuser, rechts Gärten und kleine Felder. Geradezu eine Bergkette mit ganz vereinzelten Schneefeldern. Morgen sind minus zwei Grad angesagt und Regen. Ich hoffe, da kommen keine Schneefelder dazu, denn bald muss ich auch durch die Berge. Hinter Olleros ging es auf einem betonierten Weg weiter, zunächst bis zu einer in freier Wildbahn stehenden, recht großen Wallfahrtskirche „Santuario de Agavanzal“, in die man leider nur durch ein vergittertes Loch in der Tür schauen konnte. Gegenüber war eine verrammelte Hütte mit großem Vordach, unter dem Bänke standen. Der ideale Platz für eine Siesta. Hier konnte man sicht-, sonnen- und windgeschützt ein Schläfchen machen. Das „sichtgeschützt“ wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn außer in den Orten habe ich den ganzen Tag niemand getroffen.
Hinter der Kirche ging es in einem großen Bogen, erst bergauf und dann bergab zur Staumauer des Stausees „Embalse de Nuestra Señora de Agavanzal“. Dabei führte der Weg wieder durch Korkeichenwälder, in denen es vor gar nicht langer Zeit gebrannt hat. Das sieht gespenstig und zugleich beeindruckend aus. Mitunter hängen am Weg die (isolierten) Strom­kabel fast bis zum Boden durch, weil einzelne Masten abgebrannt oder zerbrochen sind.
Für einen Flachländler ist jede Staumauer imposant. Ein objektives Urteil, ob die Mauer was Bedeutendes ist, muss deshalb ausbleiben. Das Kraftwerk am Fuß der Mauer war nicht sonderlich groß und da nur eine Hochspannungsleitung wegführte, kann die Leistung nicht gewaltig sein. Eindrucksvoll fand ich aber die drei durch wegklappbare Wehre geschlossenen Überläufe. Wenn die mal geöffnet werden müssen, weil das Becken zu voll ist, schießt da sicher ein ordentlicher Wasserschwall in die Tiefe. Momentan besteht aber keine Notwendig­keit, Wasser abzulassen, denn es fehlten noch einige Meter bis zum maximalen Füllstand des Beckens. Das sah man an der Mauer und am Uferstreifen des Stausees, wo ein paar sehr schöne, wilde Badestellen lockten. Ich habe aber keinen (Eis-)Bader gesehen. Der Weg führte über die Staumauer und dann ein ganzes Stück entlang des Nordufers des Stausees, auf einer schmalen, aber gut asphaltierten Straße, die vermutlich Revisionszwecken dient. Autos kamen da weder von vorn noch von hinten. Nur eine Gruppe von etwa acht völlig verdreckten Quads hat mich überholt. Die Herren hatten wohl gerade auf ihrem Ausflug eine Schlammpiste hinter sich.
Der Weg um den halben Stausee war wunderschön. Da waren einerseits der Blick auf das Wasser, das bei dem kräftigen Wind ordentlich Wellen schlug, und andererseits der Blick auf die von Felsen durchsetzten und mit verbrannten Korkeichen bewachsenen Hänge. Zwischendurch immer mal ein in voller Blüte stehender Ginsterbusch.
Der nächste Ort, Villar de Farfón, war ein regelrechtes Geisterdorf. Viele alte Lehmbauten waren eingestürzt und von den Steinhäusern waren nur noch ganz wenige bewohnt. Zwei Autos habe ich vor einem Haus gesehen. Das ist eigentlich ein Indiz für eine Kneipe, denn die Spanier gehen nicht in die Kneipe, sondern fahren (und natürlich auch zurück). Aber hier war das Fehlanzeige. Als Lichtblick zeigten aber blaue Schilder mit der Aufschrift „Camino de Santiago“ und einer Kaffeetasse zu einem Gehöft ganz am Rand des Ortes. Das ist eine Herberge, in der man offenbar auch Kaffee bekommt. Ich habe durch die offene Tür geschaut und fand die Herberge urig. Von der Glocke, mit der man jemanden rufen kann, habe ich aber keinen Gebrauch gemacht. Fleißige Leute wegen einer Tasse Kaffee, das heißt für 1,20…1,50 € Umsatz, von der Arbeit wegzurufen, war mir peinlich. Ich wollte außerdem schnell weiter, weil verstärkt regenverdächtige Wolken aufzogen. Sechs Kilometer weiter habe ich dann meinen heutigen Zielort, Rionegro del Puente, erreicht, ohne nass zu werden.
Rionegro del Puente ist ein Straßendorf an der N-525, welche die Autobahn
A-52 begleitet. Es gibt hier zwar einige Gebäude, an denen „Bar“ oder „Restaurante“ steht, aber als ich kam, waren alle verrammelt. Ich bin deshalb erstmal in die sehr ordentliche, von einem Verein betriebene Herberge direkt an der Straße, habe mir dort ein Bett ausgesucht und auf die Schnelle ein Süppchen gekocht - eine Buchstabensuppe, die nur lange, dünne große „I“ enthielt, aber trotzen gut geschmeckt hat.
Außer mir sind nur der Engländer (Ivor), der Niederländer (Kees) und die Norwegerin hier, die ich alle schon aus den vorherigen Herbergen kenne und die mich wohl noch eine Weile begleiten werden. Um halb sieben kam die Hospitalera, hat die Daten notiert und für 10 € den Stempel in den Pilgerausweis gedrückt. Obwohl wir das schon beim ersten Mal begriffen haben, hat sie uns wiederholt verbal, gestisch, auf dem Papier und mit dem Übersetzungs­programm erklärt, dass „Semana Santa“ ist und am Donnerstag und Freitag Siesta, also Ruhetag ist. Da werde ich also rechtzeitig einkaufen und alles rumschleppen müssen - oder Essen gehen. Das wäre auch heute eine Option gewesen, denn die von anderen Pilgern gelobte Gaststätte gegenüber der Herberge, die abends um 19.30 Uhr aufmacht, soll ein sehr gutes, bezahlbares Menü anbieten - Ivor, der mit Kees dort mittags gegessen hat, hat von dem 15 €-Menü inkl. Wein und Likör geschwärmt. Aber nach meiner Suppe war ich gar nicht mehr so hungrig und allein hatte ich auch keine Lust, Essen zu gehen. Inzwischen hatte auch die Bar neben der Herberge aufgemacht, in der es gute Tortillas gab, die mir völlig ausreichten, um den Resthunger zu stillen. Außerdem gab es in der Bar WLAN, das in der heutigen wie in den vorangegangenen Herbergen fehlte. Da konnte ich mir endlich mal den Routenführer für den Camino Sanabrés runterladen und alle Bilder, die in den letzten Tagen eingetroffen sind. Außerdem ist in solch einer Bar viel mehr los als im Restaurant. Bis um halb zehn saß hier zwischen Eltern und Großeltern eine Kinderschar. Papa hat zwischen­durch mal Kunststücke gemacht, Mama mal schnell was mit gebastelt und Oma die Kleinen geknutscht. In einer anderen Ecke saß die Dorfjugend und zwischendrin gefühlt der Rest des Dorfes. Tolle Stimmung. Die Wirtin hat immer wieder Anlauf genommen, vor der Tür ein Zigarettchen zu rauchen, aber laufend kam jemand …

Via de la Plata - Tag 29