Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 36 (Mo, 1.4.2024) Vilar de Barrio - Ourense / 36,1 km
Da heute fast nur Straße auf dem Programm stand, wollte ich eigentlich meine alten, inzwischen reparierten Wanderschuhe anziehen, mit denen ich viel graziöser daher schreiten kann, als mit den neuen Traktorsohlen-Schuhen. Aber der Blick morgens aus dem Fenster bot wieder nur Regen. Und den ganzen Tag über gab es stündlich abwechselnd Regen und etwas Sonne.
Schon nach wenigen Kilometern erwies es sich als sehr vorteilhaft, dass ich die neuen Pumps angezogen habe, da die Straße oder besser der gewalzte Weg an vielen Stellen unter Wasser stand. Nicht, weil es dort Löcher oder Dellen gab, sondern weil die eigentlich sehr tiefen, breiten Gräben auf beiden Seiten so voll waren, dass das Wasser über die Straße lief. Das war dann zwar immer nur 2…3 Zentimeter tief, aber doch höher als die Sohle.
Die Straße ging zwar im Zickzack, aber mit langen, geraden Stücken. Ich konnte dadurch sehen, dass Ivor und Kees, die nach mir aufgebrochen sind, schon auf etwa 300 Meter heran waren. In Bobadela standen dann der über Feldwege verlaufende Camino und mit etwas Umweg die Straße zur Auswahl. Da es gerade mal aufgehört hatte zu regnen, habe ich den Camino gewählt, der sich allerdings als etwas schwierig erwies, da es recht stramm bergauf und dann auf einem felsigen Weg wieder steil bergab ging. An einigen Stellen musste man wieder um Pfützen auf dem Weg herumtänzeln. Aber mittendrin bot sich auf der von einem Felsen gekrönten Höhe ein toller Blick in das Tal und einige am Berghang liegende Dörfer. Unten angekommen, war ich mir nicht sicher, ob meine beiden Kameraden auch diesen Weg genommen haben, oder die um den Hügel herum führende Straße, da auch sie sich gern matschige Wege ersparen. Ob sie bei Straßenbenutzung schon vorbei sind oder noch kommen werden, war schlecht abzuschätzen.
In Xunqueira de Ambía, was eigentlich gestern mein Tagesziel gewesen wäre, führt der Weg an der noch vor dem Ort liegenden kommunalen Herberge vorbei, die auch ein Neubau ist, wie die zuletzt genutzten. Da ich morgens kurz nach sieben noch im Dunkeln mit Stirnlampe aufgebrochen bin und es hier kurz vor elf war, habe ich trotz eines flotten Schrittes 3,5 Stunden von Vilar bis zur hiesigen Herberge gebraucht. Dieses Stück gestern noch dranzuhängen wäre ziemlich hart gewesen. Bis in den Ort hinein war es noch ein Stück, aber dann kamen die ersten Bars. Da die Verabredung mit Ivor und Kees war, dass wir uns in der nächsten Bar treffen, bin ich gleich in die erste rein. Obwohl ich da fast bis um zwölf gesessen und unter anderem Weißbrotscheiben mit Olivenöl und Tomate drauf konsumiert habe, kamen die beiden nicht.
Nun war es also Mittag und bis Ourense, dem nächsten Etappenziel waren es noch knapp 22 km, also ca. 6 Stunden. Das müsste doch zu schaffen sein. Ich bin dann also ohne weiteres Warten los. Zunächst bis zur Brücke über den Rio Arnoia auf dem „vorge­schriebenen“, ziemlich matschigen Weg und dann auf der Landstraße, weil es wieder zu regnen begann. In A Pousa waren seit der letzten Rast fast zwei Stunden rum, also Zeit, wieder Pause zu machen. In der dortigen Bar sah es recht urig aus. Da fand sich alle mögliche Biker-Reklame und „im Regal“ stand ein echtes Motorrad. Aber wichtiger: es gab leckere Tortilla.
Kaum war ich draußen, fing es wieder an zu regnen. Da es die nächsten Kilometer eh entlang der Landstraße ging, war das aber nicht tragisch. Es kamen nur noch ein paar kleine Orte und dann hinter Santa Cruz ein großes Industrie-gebiet, in dem mal nicht nur gelagert und verwaltet, sondern auch produziert wird. Mitte drin eine Tankstelle mit 1,389 für Diesel und 1,517 für Super - etwa so viel, wie früher im Osten das Gemisch gekostet hat. Traum­hafte Preise. Da liegen wir 30 Cent oder 20% drüber.
Hinter Reboredo bin ich auf der Straße geblieben, statt dem Wegweiser in eine hinter den Grundstücken verlaufende Gasse zu folgen. Das war nicht sehr schlau, denn die gut befahrene Straße war ohne Fußweg oder Randstreifen. Da musste man sich bei jedem Auto dünn machen und an die Leitplanke quetschen. Hinter der Bahnunterführung bin ich deshalb dem Wegweiser durch Saixalbo gefolgt. Der Weg lief sich gut und führte teilweise durch enge Gassen dieses Vorortes von Ourense. Wie schon in den letzten Dörfern waren zwar auch hier eingefallene Häuser zu sehen, aber wesentlich weniger als vor ein paar Tagen in der unwirtlichen Bergwelt. Hier, wo offenbar die Böden gut sind und zudem das halbwegs flache Gelände eine Felderwirtschaft zulässt, gibt es gleich ein bisschen mehr Wohlstand.
Ourense, die Hauptstadt der gleichnamigen galicischen Provinz hat gut 100.000 Einwohner und präsentiert sich gleich ab dem Ortseingang als Großstadt mit Einkaufsstraßen und hoher Wohnbebauung. Insgesamt ganz ordentlich. Mittendrin ein „Casco Vello“ genannter Platz mit dem Rathaus auf der einen Seite und mit der Kathedrale hinter einer Häuserzeile. Und dicht dran befindet sich meine heutige Herberge - die 10 €-Pilgerherberge in der Rúa da Barreira.
Kurz vor sechs war ich in der Herberge, habe eingecheckt, mein Gepäck abgestellt und bin gleich wieder los, weil ich mir noch die Kathedrale anschauen wollte, die um halb acht schließt. Zum Glück war die ja nicht weit. Pilger haben da Rabatt und bekommen trotzdem ein Audio-Guide. Diese teils romanische, teils gotische Bischofskirche aus dem 12. Jahrhundert ist durchaus sehenswert. Da Ourense immer im Schatten von Santiago stand, hat man versucht, beim Kirchbau gleichzuziehen, was aber nur bedingt gelungen ist, obwohl man hier Baumeister hat werkeln lassen, die auch in Santiago am Werk waren. Am eindrucksvollsten ist der vergoldete Altarhintergrund, der in vielen „Fenstern“ Szenen aus dem Neuen Testament zeigt. Mitten drin als Hauptperson der zuständige Bischof … Wirklich toll ist auch das innere, zweibogige Portal, das man wegen der Enge des Raumes davor nur stückchenweise fotografieren kann. Die Bögen sind mit einer Vielzahl biblischer Figuren verziert, aber auch vielen Instrumentenspielern. Das Besondere ist hier, dass die Figuren alle später mal koloriert wurden und sich dadurch ein farbenfrohes Bild bietet, das man so nur selten zu sehen bekommt. Diverse Seitenkapellen und ein Museum mit wertvollen Kult­gegenständen rundeten den Rundgang ab. Außerdem konnte man in den nicht allzu hohen Kirchturm klettern, in dem acht Glocken unterschiedlicher Größe hängen, die allerdings nicht mehr selbst schwingen, sondern von elektrischen Klöppeln seitlich angeschlagen werden. Von da oben bot sich ein schöner Blick über die Stadt, der umso schöner war, als gerade mal die Sonne schien. Da es kurz vor sieben war, bin ich mit der Smartphone-Kamera im Anschlag auf dem Turm geblieben, bis die volle Stunde angeschlagen wurde. Das war ganz nett, aber mit „richtig“ läutenden Glocken nicht zu vergleichen. Wieder in der Kirche angekommen, war da gerade Stimmung. Eine Angestellte lief laut schimpfend einem jungen Mann hinterher, der mit einem großen, geklauten Blumenstrauß verschwinden wollte. Den Strauß konnte sie ihm abnehmen, er selbst ist aber verschwunden. Die ein paar Minuten später eintreffende Polizei hat vergeblich die Kirche nach ihm abgesucht.
Nach dem Kathedralenbesuch habe ich noch eine kurze Runde durch die Altstadt gedreht, interessiert in eine andere Kirche geschaut und dann den nächstgelegenen Supermarkt (Froiz) aufgesucht, um mir Salat und Belag für das mitgeschleppte Brot zu kaufen. Dann wurde es aber Zeit, die Herberge aufzusuchen, denn die seit dem Morgen nassen Füße waren inzwischen zum Eisbein geworden. Dort angekommen habe ich mir auf übliche Weise meinen Salat bereitet: Tüte vorsichtig aufreißen, das Glas Paprika mit Öl reinschütten und dann mit dem Plastebesteck rausgabeln. Hier gab es wirklich mal nichts an Besteck und Geschirr in der komfortablen Küche. Danach war es schon nach neun und es lohnte sich nicht mehr, nochmal rauszugehen, denn um zehn wurde die Herberge abgeschlossen. Ich hab‘ mich also zum Tippen meines täglichen Berichts in eine der gemütlichen Sitzecken gesetzt. Später beim Schlafengehen hat sich auch die Frage geklärt, warum ich den ganzen Tag über Atemprobleme hatte: eines der am Leib getragenen T-Shirts hatte ich verkehrt­herum angezogen und dieses schnürte mir den Hals ab.

Via de la Plata - Tag 36