Ich habe in Kropstädt in der Pension Göritz übernachtet und dort ein fürstliches Frühstück bekommen, was den Gedanken an einen morgendlichen Tankstellenbesuch erübrigt.
Bevor ich mich auf den Weg nach Wittenberg mache, schaue ich mich noch am Schloss Kropstädt und im Schlosspark um. Der Weddiner Weg, der von der Straße „Am Schlosspark“ abzweigt, führt zum ehemaligen Gutshof mit Wohnhäusern, Scheunen und einem markanten Zugang zur Schlossinsel.
Das Kropstädter Schloss steht auf einer kreisrunden Insel, auf die eine breite und zwei kleine Brücken führen.
Dass die Zufahrt wegen Baufälligkeit nicht benutzt werden darf, ist sicher ein Vorwand, um den Dornröschenschlaf des Schlosses nicht zu gefährden. Seit fünf Jahren gehört das Schloss einem Investor, der es dem Verfall preisgegeben hat.
In den Jahren davor waren im Schloss ein gut gehendes Hotel und eine Schulungseinrichtung untergebracht, deren Betreiber aber aus Altersgründen aufgegeben haben.
Zu DDR-Zeiten war in dem 1855/56 im englisch-gotischen Stil erbauten Schloss ein Mütter- und Säuglingsheim.
Ganz früher (1150) stand auf der Insel die Wasserburg Ließnitz, woher eine von Ost nach West durchs Dorf führende Straße ihren Namen hat.
Der Park rings um die Schlossinsel ist hervorragend gepflegt und hat einige sehr stattliche Bäume zu bieten.
Nach Umrundung der Schlossinsel komme ich zum Kropstädter Ortsteil Schäferei, wo der rechts abbiegende Weg in den Wald führt. Von hier sind es angeblich nur 12 km bis Wittenberg, ich stelle mich da auf etwas mehr ein.
Es geht wieder durch den üblichen Kiefernwald, der von Erdgastrassen und verschiedenen Wanderwegen wie den Rundweg „Friedenthaler Grund“ durchzogen wird.
Der 11 km lange Rundweg ist einer der Wanderwege durch den Naturpark Fläming und führt von Wüstemark über Jahmo und Köpnik zurück nach Wüstemark.
Wie im Wald vor Kropstädt sind hier Prozessions­spinner unterwegs, die übelsten Ausschlag und Atembeschwerden verursachen können. Die Raupen heißen so, weil sie sich zu einer langen „Prozession“ aneinander gereiht bewegen.
Hier habe ich etwa 100 aneinander hängende Raupen gezählt. Wenn man die „Prozession“ mit einem Stock unterbricht, dann dauert es nur Sekunden, bis die Raupen wieder aneinander hängen und ungestört weiterziehen.
Da, wo der Jakobsweg auf die Straße von Jahmo nach Köpnick stößt, bin ich auf eine ganz andere „Prozession“ gestoßen: eine lange Reihe Mülltonnen, vermutlich aus einer nahen Wochenendsiedlung, die von der Müllabfuhr nicht angefahren wird. Jenseits der Straße dehnen sich weite Wiesen aus und an der Straße lädt ein Rastplatz zum Verweilen ein. Obwohl die Zivilisation nicht weit weg ist (und an der Haltestelle neben den Mülltonnen weit mehr Busse fahren, als bei uns), glaubt man, an einem ganz verlassenen Fleck zu sein.
Nach ein paar Metern auf der Straße steht man am Ortseingang von Köpnick, einem Ortsteil von Wittenberg.
Rechts hinter den Gärten fällt der Blick gleich auf die Kirche, der ich automatisch das Attribut „niedlich“ verpasse. Die kleine Backsteinkirche sieht auf den ersten Blick aus, wie eine Kirche in einem Miniaturenpark. Sicher ist sie innen größer als man denkt, aber das kann ich nicht nachprüfen.
An der Kirche entlang führt ein Weg zu einem kleinen Festplatz direkt vor der (leider verschlossenen) Kirchentür.
Hier gibt es eine kleine Vereinsgaststätte mit Terrasse, überdachte Sitzgruppen, einen Grillplatz, im Teich einen Steg mit Bänken, eine Pumpe usw. Und den Aushängen zufolge, wird in diesem gemütlichen Ambiente auch häufig gefeiert.
Das Dorf ist nicht groß und ehe man sich versieht, ist der Weg schon wieder von Wiesen und Feldern gesäumt.
Dann kommen nochmal ein paar Häuser und gegenüber eine schöne junge Dame, die man für eine Prinzessin halten kann, mit zwei Blumenkörben. Und neben diesem fast himmlischen Wesen ein ganz ordinärer Gartenzwerg mit Schubkarre!
Weiter geht es überwiegend entlang des Feldrains, zwischen Kiefernwald und Maisfeldern. Das nächste Dorf ist Mochau.
Der gepflegte Ort macht gleich am Ortseingang auf sich aufmerksam: rechts durch eine einladende Bank neben dem Ortsschild und links durch eine ziemlich neue Sitzgruppe unter einer Tafel mit der Sage vom Michelsberg.
Schilder am Straßenrand verraten, dass es hier mal eine Gaststätte „Wiesenblick“ gab. Aber vermutlich hat die Kneipe den Betrieb eingestellt, nachdem ein berauschter Gast mit seinem Wartburg in eine Hauswand gerast ist.
Mochau ist ein Ortsteil von Wittenberg, auch wenn das Schild „Wittenberger Kreis“ Selbständigkeit suggeriert.
Auf dem Anger erinnert ein großer, schlichter Stein an die Opfer der beiden Weltkriege. Darüber, ob „Ehre und Dank“ die geeignete Beschriftung eines Denkmals für die Opfer von Angriffskriegen ist, lässt sich streiten.
Die Kirche auf dem Anger von Mochau ist der von Köpnick sehr ähnlich, aber durch die Streben zwischen den Fenstern und an der Apsis sieht sie bei weitem nicht so filigran aus. Die ist bestimmt nicht wesentlich größer, wenn überhaupt.
Auf dem Weg nach Thießen ist links die Holländermühle von Mochau zu sehen. Die hat aber genauso ausgedient, wie die Gaststätte „Zur guten Stunde“ in Thießen.
In Thießen hat man sich Mühe gegeben, den Ort etwas herauszuputzen und hat zum Beispiel am Dorfteich Sitzgelegenheiten geschaffen. Aber die werden so selten genutzt, dass sich da schon Robinien breit machen.
Die gut beschattete „Liebesbank“ kurz hinter Thießen am stillen Wegesrand wird wohl häufiger genutzt.
Der nächste Wegweiser hat leider im Laufe der Jahre an Aussagekraft verloren. Jetzt muss wieder die Onlinekarte auf dem Smartphone herhalten. Man kann aber nicht viel falsch machen, wenn man sich in Richtung Süden hält.
Der Weg führt durch weite Weizen- und Sonnenblumenfelder, aus denen schöne Bäume und hässliche Strommasten ragen.
Die Ausschilderung ist jetzt mitunter etwas versteckt angebracht und man erkennt zum Beispiel nicht gleich, wenn man auf einem Trampelpfad am Koppelzaun entlang laufen soll.
Nachdem rechts die ersten Anwesen auftauchen und Gänse (noch) vergnügt über die Wiese spazieren, stößt der Trampelpfad auf eine Straße, wo ein Schild suggeriert, dass es geradeaus weiter geht. Da ist aber kein Weg, auch wenn auf der Karte einer eingezeichnet ist. Der GPS-Track verläuft auch nicht ganz eindeutig. Vermutlich geht es ein Stück nach rechts und dann links durch die Kleingartenanlage. Aber die Kleingartenbesitzer sehen es hier wie anderswo sicher nicht gern, wenn Wanderwege durch ihre Anlage gelegt werden.
Da sich inzwischen bei mir Hunger und Durst eingestellt haben, ergründe ich nicht weiter, ob man durch die Kleingartenanlage oder dahinter nach Wittenberg kommt.
Stattdessen laufe ich nach links zur B2 und auf dem straßen­begleitenden Fuß-/Radweg in Richtung Wittenberg.
Aber das ist ein langer, öder, nicht zu empfehlender Umweg.
Die „Goldene Schwalbe“ am Straßenrand kann mich heute nicht locken, aber den erhofften Currywurst-Stand gibt es hier leider nicht. Dafür gut versteckt hinterm Aldi einen Getränkemarkt, der eine reiche Auswahl bietet. Der inzwischen aufgezogenen Hitze und der Gesundheit wegen wähle ich ein Getränk mit „0,0%“ auf dem Etikett. Aber schnell beschließe ich, beim nächsten Mal lieber den Gaumen als die Leber zu schonen.
Nach der Erkenntnis, dass mein Umweg nicht viel gebracht hat, biege ich bei der nächsten Möglichkeit rechts ab, um wieder auf den parallel zur B 2 verlaufenden Jakobsweg zu kommen. Das gelingt mir auch, aber kaum bin ich hundert Meter auf dem Weg gelaufen, biegt dieser laut Ausschilderung links ab zur B 2. Der Grund ist unmittelbar vor mir: das Tor einer Kleingartenanlage. Da mir nicht so sehr nach Zick-Zack-Laufen zumute ist, laufe ich geradeaus durch die Kleingärten, so wie es Karte und GPS-Track vorgeben.
Hinter der netten Kleingartenanlage, die am „verbotenen Weg“ einen schönen Rastplatz hat, stoße ich auf ein Einkaufszentrum und es ist nicht klar, ob der Jakobsweg links oder rechts herum führt. Ich laufe links vorbei und entlang der Berliner Straße (B 2) in Richtung Stadtzentrum. Dass der Jakobsweg kurz darauf links in die Sternstraße abbiegt, entgeht mir und ist mir inzwischen auch egal. Auch mein Weg wird in die Innenstadt führen.
Die Berliner Straße führt mich direkt zum „Neuen Rathaus“, einem pompösen Backsteinbau von 1880, der ursprünglich eine Kaserne war. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der „Kavalierkaserne“ genannte Bau von den Sowjets genutzt.
Seit 2000 ist das aufwändig restaurierte Gebäude Rathaus der Lutherstadt Wittenberg.
Am Neuen Rathaus wende ich mich in die Lutherstraße, die links mit sehr ansehnlichen Villen aufwarten kann und rechts anfangs von der Mauer des Rathauses flankiert wird. Kurz vor der Rosa-Luxemburg-Schule biege ich rechts in die Bürgermeisterstraße und gelange zu einer Parkanlage rings um einen Teich mit Fontäne und Blick auf die Rückseite der Schule.
An der Mauerstraße, die den nördlichen Verlauf der ehemaligen Stadtmauer markiert, treffe ich auf die 1872 eingeweihte katholische Kirche der Stadt.
Den Plakaten und Veranstaltungshinweisen ist zu ent­nehmen, dass sich die hiesige katholische Kirche sehr gut in der protestantischen Lutherstadt zu behaupten versteht.
Der beliebteste Weg, ganz ins Zentrum der Stadt zu kommen, ist wohl der durch das Einkaufszentrum, das viele attraktive Geschäfte und gute Imbissstände zu bieten hat.
Das Einkaufszentrum ist gut besucht, weshalb man hier auch kaum Leerstand sieht. Wenn man es am Südende verlässt, steht man schon fast auf dem Marktplatz hinter dem Rathaus.
Der runde Turm der Schlosskirche (oben rechts) und die eckigen Doppeltürme der Stadtkirche Sankt Marien (unten links) sind in der Stadt allgegenwärtig.
Aber während vom Markt die zwei von Ost nach West durch die Stadt verlaufenden Straßen (Jüden-/Coswiger Straße und Schlossstraße) zur Schlosskirche führen, gelangt man nur durch eine kleine Gasse zur Marienkirche, die hinter einer Häuserreihe steht.
Am Schlossplatz findet man gegenüber der Schlosskirche die Touristeninformation, die sogar mit einem Pilgerstempel aufwarten kann, allerdings für den „Lutherweg“, der zu Luthers Wirkungsstätten führt. Dort erhält man auch Chips für den Aufstieg auf den Kirchturm.
Auf dieser Seite der Kirche ist auch die Bronzetür, auf der die 95 Thesen verewigt sind, die Luther einst hier angenagelt hat. Diese Tür ist aber verschlossen. Der Eingang zu Kirche und Schloss ist auf dem Schlosshof, wo sich auch die Jugendherberge der Stadt befindet.
Auf dem Weg zurück zum Markt stößt man in der Schloss­straße auf nette Deko, wie zum Beispiel knallbunte Keramik in offenen Nieschen einer Backsteinmauer. Hier ist auch des „Haus der Alltagsgeschichte im 20. Jahrhundert“, wo man von einem DDR-Sandmann in Schaufenster angelacht wird.
Ein Stück weiter folgt die Apotheke in Lukas Cranach's Haus.
Vor dem Renaissance-Rathaus auf dem Marktplatz steht links das Melanchton- und rechts das Lutherdenkmal. Das Ensemble ist wie die ganze Innenstadt anlässlich des Lutherjahres 2017 sehr aufwändig hergerichtet worden.
Die Gasse, die zur Marienkirche führt, weitet sich zur Mittelstraße mit einigen sehenswerten alten Häusern.
An der Südseite der Marienkirche, thront rechts neben dem Eingang jener Mann, dem ich meinen Ausflug hierher zu verdanken habe: Jakobus der Ältere, der unschwer an der Muschel zu erkennen ist. Auf dem Jakobsweg, der in vielen Verästelungen zu seinem Grab im spanischen Santiago de Compostela führt, bin ich unterwegs. Ganz konkret auf dem Jakobsweg entlang der Via Imperii, die von Stettin nach Leipzig führt und dort auf die Via Regia von Görlitz bis hinter Eisenach trifft. In der Marienkirche bekomme ich dann sogar noch einen Jakobsweg-Stempel in meinen Pilgerpass.
Es gäbe hier in der Stadt noch sehr viel anzusehen und zu berichten, aber das hier soll ja kein Stadtführer werden, sondern ein kurzer Bericht über meine Pilgertour bleiben.
Es ist zwar noch nicht spät am Tag, aber ich begebe mich trotzdem schon mal zum Bahnhof, von wo es zurück geht.

Via Imperii - Kropstädt-Wittenberg