Es ist Ende September 2021 und ich will mich auf den Jakobsweg entlang der Via Imperii von Stettin nach Berlin begeben.
Dabei ist vieles für mich neu: es ist die erste Mehrtagestour, ich laufe erstmals mit einem größeren Rucksack auf dem Rücken und mit einem neuen Smartphone statt Fotoapparat in der Tasche. Ich bin seit langem das erste Mal wieder in Polen und habe natürlich keine Złoty dabei. Aber das sind alles Herausforderungen, die zu meistern sein sollten. |
Die Fahrt war insofern aufregend, als kurz hinter der Grenze zwei solcher Wagen, in denen ich gerade sitze, übereinander am Bahndamm liegend im Blickfeld erscheinen. Enden die Reisen ins Nachbarland immer so? Ich bin so perplex, dass ich das Smartphone nicht schnell genug aus der Tasche bekomme, um ein Bild davon zu machen. Wie ich später im Internet erfahre, war zwei Monate zuvor am nahen Bahnübergang eine Regionalbahn mit einem LKW kollidiert. Warum man aber die entgleisten Wagen den Bahndamm hinuntergekippt hat, statt sie abzutransportieren, war nicht zu lesen, nur dass in nächster Zeit mit Einschränkungen zu rechnen ist, weil nunmehr Wagen fehlen. |
Die 110 Meter aufragende Spitze hat der Kirchturm erst seit 2009. Seit 1945 hatte der Turm nur eine kleine Haube, da die frühere Turmspitze einem Bombentreffer zum Opfer fiel. |
Nach dem Kirchenbesuch führt mich mein Weg in das frühere „Pommernschloss“, das mit seiner schneeweißen Fassade und den auffälligen Giebeln sofort ins Auge sticht. |
Überhaupt gibt es in der Stadt so viel zu sehen, dass ein halber Tag längst nicht ausreicht, alle Sehenswürdigkeiten zu besuchen, geschweige denn die darin befindlichen Museen, Ausstellungen usw. Und hier ist auch nicht der richtige Ort, all das zu beschreiben. |
Eine Sehenswürdigkeit sei noch erwähnt: die Petrikirche, vom Schloss durch eine Parkanlage und eine Straße getrennt. |
Gar nicht weit weg von der historischen Altstadt ist man plötzlich mitten im Einkaufsviertel mit hohen Bürogebäuden, großen Kaufhäusern und Geschäften. |
Durch eine hübsche Parkanlage, die zum Picknick einlädt, gelange ich zum Hafen und laufe am Wasser entlang zurück in Richtung Altstadt.
Dabei komme ich an der wohl bekanntesten Stettiner Sehenswürdigkeit vorbei: der Haken-Terrasse, benannt nach Hermann Haken, Stettiner Bürgermeister von 1878 bis 1907. Unten eine Grotte mit Springbrunnen, darüber eine große Freitreppe und das Nationalmuseum und rechts davon das rote Gebäude des Woiwodschaftsamts Westpommern. Von oben hat man einen guten Blick auf den Teil des Hafens, in dem die Fahrgastschiffe anlegen. |
Der Weg führt unter dem großen Straßenkreuz hindurch, das von der Uferstraße und der Fernstraße 115 gebildet wird. |
Der Friedhofsplan lässt schon erahnen, dass man es hier mit einer Vielfalt an Grab- und Gedenkstätten zu tun hat. |
Der Stettiner Zentralfriedhof wurde zum Anfang des vorigen Jahrhunderts errichtet, etwa zur gleichen Zeit wie der Ostkirchhof in Ahrensfelde. Deshalb weisen sie einige Ähnlichkeiten auf. Zum Beispiel die große Hauptachse, die parkähnliche Gestaltung zwischen den Gräberfeldern und die Brunnen an Kreuzungspunkten von Wegen. Dass beide Friedhöfe von einem Planer namens Meyer entworfen wurden, ist allerdings ein Zufall. |
Auf der anderen Seite der Gleisanlagen angekommen, stehe ich in der Straße Ustowka, die zweifellos zu meinem heutigen Ziel, dem Stettiner Vorort Ustowo führt. |
Außer dem Fitness-Parcours, der rings um ein Straßenkreuz eingerichtet ist, hat der ziemlich herunter gekommene Vorort nicht viel zu bieten, nicht einmal einen brauchbaren Fußweg. |
Das Zimmer ist dem Preis entsprechend recht einfach, aber sauber. Die versprochene Gaststätte im Haus gibt es leider nicht, aber einen Kühlschrank im Frühstücksraum, wo man seinen Proviant unterbringen kann, und eine Kaffeemaschine mit Zubehör. Die Wirtin lässt mir noch was zum Essen machen und zaubert sogar Bier aus dem Kühlschrank. Auch gut. |
Innerlich vor mich hin meckernd habe ich Kurów verlassen. Links ist die Oder zu sehen, rechts ein Neubaugebiet, das sich auch allmählich dem Fluss nähert. |
Aber da treffe ich auf einen Wanderer aus Berlin, der auch auf dem Jakobsweg unterwegs ist und wie ich heute bis nach Gartz will. Schnell kommt man ins Gespräch und allmählich verfliegt die schlechte Laune. Später wird mir mein Begleiter noch zum Lebensretter, denn er hat Mückenspray dabei, das ich Ende September für entbehrlich gehalten habe. |
Die Autobahn, die hier die Oder überquert, kommt auch wirklich bald in Sicht und hinter der Unterführung ein kegelförmiger Berg, der in Wanderführern wegen seiner guten Aussicht gelobt wird. Mein Weggefährte muss das unbedingt überprüfen. Ich nutze derweil den Rastplatz zu Füßen des Berges und hole das versäumte Frühstück nach. Abgestandenes Mineralwasser ist aber leider kein vollwertiger Ersatz für frisch gebrühten Kaffee. |
Noch sicherer als die Karte ist aber der Mückenindex. Je näher man an das Wasser kommt, desto größer ist die Zahl der Mücken, die man mit einem Schlag auf den Armen oder im Gesicht erwischen kann. Tropischer Regenwald kann nicht schlimmer sein. |
Der von einer kleinen Mauer umgebene Kirchhof ist völlig zerwühlt, vermutlich von Mensch und Tier. Ein Reisighaufen deutet darauf hin, dass hier jemand Ordnung schaffen wollte. |
Am Ortsrand, dicht an der Grenze zu Deutschland ist mit EU-Mitteln ein Freizeitareal mit Fußballplatz, Fitness-Parcours, Schutzhütte etc. entstanden, das für sämtliche Dörfer zwischen hier und Stettin ausreichen dürfte. Gegenüber ist der ehemalige Friedhof zu einer Parkanlage ausgebaut worden, deren Bänke mit Sicherheit noch nie alle gleichzeitig besetzt waren. Das hier ausgegebene Geld hätte vermutlich für ein neues Kirchendach gereicht. |
Der kleine Rastplatz auf polnischer Seite ist deshalb gerade nicht benutzbar. Auf deutscher Seite gibt es zwar nichts zum Sitzen, aber was zum Lesen. Und die erste Jakobsmuschel. |
Kurz hinter Staffelde trifft der Jakobsweg auf die B113. |
Der Weg führt ja wie gesagt in einem weiten Bogen nach Gartz. Und dieser Bogen geht zunächst nach Westen. Leider hat es zu Regnen begonnen, da reut einen dieser Umweg. |
Gegen 16 Uhr habe ich endlich Gartz erreicht. Ich gelange vom Norden her über den Tantower Weg in die Stadt und komme zunächst durch das wenig attraktive Scheunenviertel. |
Über die erste Sehenswürdigkeit stolpere ich schon nach wenigen Metern, noch vor der Stadtmauer: Eine große Fachwerkhalle, die sorgfältig mit hellem Backstein ausgefacht ist und sich offensichtlich in bestem Zustand befindet. Auf einer Tafel neben der Tür erfahre ich, dass es sich um einen Kanonenschuppen handelt, der 1850 zur Aufnahme von 12 Kanonen gebaut wurde und später als Fabrik, Obdachlosenunterkunft unf LPG-Gebäude genutzt wurde. Seit einer umfassenden Sanierung 1995 dient der Fachwerkbau als Stadthalle. |
Durch das im 13. Jahrhundert erbaute Stettiner Tor, das letzte der ehemals vier Stadttore, gelange ich die von einer Stadtmauer umgebene Stadt, die schon 1124 erstmals urkundlich erwähnt wurde und 1249 Stadtrecht erhielt. |
An der nächsten Straße habe ich schon mein Tagesziel erreicht, die Pommernstube, wo ich dieser Nacht schlafen und vermutlich meinen Weggefährten wiedertreffen werde. |
Da sich keine Stelle findet, von der aus am die ganze Kirche fotografieren kann, greife ich mal zur Verdeutlichung des derzeitigen Zustandes auf eine Zeichnung zurück, die an einer nahe der Kirche befindlichen Pension angebracht ist.
Die ev. Stephanskirche wurde im 13. Jahrhundert erbaut und hundert Jahre später zu einer dreischiffigen Kirche erweitert. Der Chor stammt aus dem 15. Jahrhundert.
Der 37 Meter hohe Turm hatte früher eine barocke Haube.
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Nahe der Kirche stehen noch ein paar alte Häuser, die zwar ordentlich hergerichtet sind, aber leider alle ihre schönen Fassaden verloren haben.
Ein Stück weiter dominieren nicht sonderlich sehenswerte Neubauten der 50er Jahre.
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Mein Interesse ist jetzt auf die bis zu 7 Meter hohe und 2 Meter breite Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert gerichtet, die noch einen Teil der Altstadt umspannt.
Leider ist sie nur an wenigen Stellen zugänglich. |
An den Storchenturm in der Stadtmauer ist zum Beispiel nicht heranzukommen, da auf beiden Seiten die Privatgrundstücke bis an die Stadtmauer heran reichen. |
Nach dem gescheiterten Versuch, von außen an den Storchenturm zu gelangen, gehe ich durch die in die Stadtmauer geschlagene Kantorgasse zurück in die Stadt, umrunde die Kirche und gehe hinunter zum Hafen. |
Am Wasser angekommen ist als erstes sichtbar, was 40 Jahre „Völkerfreundschaft“ und 20 Jahre gemeinsame EU-Mitgliedschaft bislang nicht bewirken konnten: den Wiederaufbau der 1945 zerstörten Oderbrücke. |
Schön hergerichtet sind ein paar alte Gebäude am Hafen, der sehr ansehnlich hergerichtet wurde. Bei dem Haus links handelt es sich vermutlich um einen ehemaligen Speicher. |
Nur in der kleinen Gaststube der Villa Oderblick am Hafen tummeln sich ein paar Leute. Vermutlich Radfahrer, die hier untergekommen sind oder noch eine Bleibe suchen. |
Zurück in der Pommernstube wartet in der Gaststube schon mein Weggefährte vom Vormittag und die Wirtin mit dem Bestellzettel.
Während ersterer von seinem Weg über Mescherin erzählt, bereitet letztere ein ordentliches Bauernfrühstück zu.
Das ist ein sehr versöhnlicher Abschluss eines von miesem Wetter, aber vielen neuen Eindrücken und anregenden Gesprächen geprägten Tages.
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P.S.: Auf der Webseite brandenburger-jakobswege.de ist die oben beschriebene Route in zwei Etappen geteilt: Stettin-Ustowo und Ustowo-Gartz. Da aber die 6 km vom Stettin in den Stettiner Vorort Ustowo keine richtige Etappe sind, habe ich hier diese Aufteilung unterlassen, obwohl ich in Ustowo übernachtet habe. Die Tour hätte man auch gut in einem Tag schaffen können, dann aber ohne Stadtbesichtigung in Stettin. |
Via Imperii - Stettin-Gartz |