Samstag, 2.9.2023, von Altenburg nach Lauenhain / 32,8 km

9.45 Uhr. Ich trotte auf einem gut asphaltierten und mit Obstbäumen bestandenen Weg vor mich hin. Das Wetter ist nicht sonderlich verlockend - sehr trübe und klamm. Darum bin ich heute früh auch nicht so richtig in die Strümpfe gekommen, sondern habe mir einen Kaffee nach dem anderen aufgebrüht und ausgiebig gefrühstückt. Zwischendurch immer mal aufs Klo - vermutlich sind es die Pflaumen, die ich gestern unterwegs von den Bäumen genascht habe.

Um viertel neun bin ich dann nach Studium und Vervollständigung des Gästebuchs los. Auf dem Weg aus der Stadt hinaus gab es noch ein paar hübsche Ecken zu sehen, denn der Weg führt am Kleinen und am Großen Teich vorbei. Letzteres habe ich mir allerdings nur eingebildet, denn der Weg biegt schon am Nordende des Großen Teiches nach links ab, aber ich bin den schönen Weg am Wasser entlang bis zum Südende gelaufen. Ich wollte dann aber weder zurück laufen, noch die gehweglose Straße benutzen, obwohl man auf der gleich hätte ordentlich abkürzen können. Ich bin stattdessen ganz brav in einem weiten Bogen durch den Altenburger Stadtwald gelaufen, bis ich wieder auf den Jakobs-/Lutherweg gestoßen bin.

So richtig kann ich mich noch nicht damit anfreunden, dass die Leute jetzt Luther hinterher pilgern sollen, wo der sich doch so verächtlich über das Pilgern ausgelassen und das Pilgern in Europa fast zum Erliegen gebracht hat. Hier ist Reliquienkult durch Personenkult ersetzt worden. Aber es gibt hier sogar Pilgerwege, die Gesteinsarten gewidmet sind. Gestern ging es ein Stück entlang der „Via Porphyria“, die dem roten Porphyr gewidmet ist. Das ist ein schöner Rundwanderweg, den man aber wohl kaum als Pilgerweg bezeichnen kann, obwohl ich gestern ein sehr gutes Pilgerheftchen zu diesem Weg in meinem Zimmer gefunden habe.

10.45 Uhr. Inzwischen bin ich in der kleinen Dorfkirche von Stünzhain, deren Schlüssel ich mir besorgt habe. Hier sitze ich in der Winterkirche, die man in der verglasten Patronatsloge eingerichtet hat. Vermutlich gibt es auch hier trotz der wenigen Stühle keine Platzprobleme. Mich hat vor allem die Steckdose neben dem Harmonium gelockt, weil mein Smartphone schon wieder eine schwache Batterie gemeldet hat.

20.30 Uhr. Es ist erst eine gute Stunde her, dass ich hier in Lauenhain angekommen bin. Wenn ich bei der Komoot-Aufzeichnung in etwa das abziehe, was sich das Programm während der Pausen ausgedacht hat, waren das mit allen Irr- und Umwegen weit über 30 km. Meine Füße bestätigen das - die tun mir ganzschön weh. Aber zum Glück scheint der Rucksack rückenschonend zu sein, denn da schmerzt nichts, obwohl ich die letzten vier Kilometer Proviant für zwei Tage den Berg hochgeschleppt habe. Die knappe Hälfte davon ist schon verputzt: gemischter Salat mit Nudeln, Käse, Fleischstückchen und Dressing, aufge­wertet durch ein Glas gegrillte Paprika.

Ich habe leider nicht gewusst, wie komfortabel ich hier wohne, sonst hätte ich wieder eine Koch- oder Bratorgie veranstalten können. Ich bin hier in Lauenhain ganz allein im evangelischen Rüstzeitheim, das aus zwei Fachwerkhäusern und einer ehemaligen Scheune besteht. In meinem Haus sind alles Zweibettzimmer, maximal zwei Zimmer teilen sich ein Bad und alle zusammen eine Küche mit gemütlicher Sitzecke. Alles recht neu und sauber. Im Haus gibt es auch WLAN, aber ich habe vergessen, mir den Code geben zu lassen. Den hätte der Herr, der mich eingelassen hat, aber vermutlich gar nicht gekannt, denn er macht das nur vertretungsweise, weil der eigentliche Herbergsverwalter, sein Sohn, im Urlaub ist - am Gardasee, wo er Anfang der Woche nach einem Regenguss im 40 cm tiefen Wasser mit dem Auto fast weggeschwemmt worden wäre.

Mangels WLAN und wegen des schlechten Netzes wird es heute keine Bilder geben. Wer weiß, ob dieser Bericht überhaupt rausgeht.

Zum heutigen Tag wäre zu sagen, dass ich meine Sonnenbrille schonen konnte. Es war den ganzen Tag über bedeckt, aber zum Glück trocken.

Bis Stünzhain hatte ich schon berichtet, weiter ging es über Ehrenberg (Schloss in Privatbesitz), Mockern, Saara, Maltis, Bornshain und Gößnitz nach Crimmitschau. Alle genannten Orte haben große Kirchen. Die in Mockern und Saara fallen dadurch auf, dass sie zusätzlich zu ihren hohen, sehr spitzen Türmen noch einen Dachreiter haben, der selbst gut als Kirchturm durchgehen würde. Diese „zweitürmigen“ Kirchen sind schon von weitem zu erkennen. Die in Saara stand sogar offen, so dass ich mich darin umsehen konnte. Beeindruckend waren hier die große, reich vergoldete Orgel und die bemalte Holzdecke.

Hinter der Kirche standen ein Partyzelt und eine Hüpfburg. Ein paar Leute standen dort mit Gläsern in der Hand, weshalb ich dachte, das ist ein Dorf- oder Kirchenfest. Ich bin deshalb einfach hingegangen und hab‘ gefragt, ob ich vielleicht ein Bier haben könnte. Der Mann am Zapfhahn nickte, nachdem er eine daneben stehende Frau konsultiert hatte. Wie sich herausstellte, war das nämlich ein Kindergeburtstag und die besagte Frau war die Mutter des gerade Mittagsschlaf machenden Geburtstagskindes. Da kein sauberes Bierglas herum­stand, habe ich zwei Kaffeebecher voll Bier bekommen. Ich hätte auch vier Eierbecher genommen!

In Bornshain fand sich am Wegesrand eine einladende Pilgerbank (2838 km bis Santiago) und dahinter in einem umgebauten Fass eine „Wanderbar“ mit Getränken, Blasenpflaster, Pilgerstempel usw. Das ist eine ganz tolle Idee! Und genau da platziert, wo die Zunge schon fast bis zum Boden aus dem Mund hängt.

In Gößnitz, gut 20 km hinter Altenburg gab es dann die erste Gelegenheit, sich im Supermarkt was für ein Picknick zu besorgen. Da war es schon fast um vier. Von Gößnitz waren es dann noch etwa 10 km bis Crimmitschau, wo ich mich in einem Lidl mit Essen und Getränken für heute Abend und für den morgigen Tag (Sonntag) eindecken konnte. Bis Crimmitschau war der Weg weitestgehend ohne Steigungen, zuletzt sogar total eben, da er parallel zur Bahnlinie und einem Bächlein verlief. Aber kaum war der Rucksack vollgepackt, ging es bergauf und kurz vor Lauenhain wieder bergab. Das Dorf liegt im Tal und ist samt Kirchturmspitze von weitem gar nicht zu sehen.

Es war vorhin zu spät und schon zu dunkel, um sich nach dem Einchecken noch im Dorf etwas umzusehen. Aber was ich auf dem Weg gesehen habe, war sehr anheimelnd, zum Beispiel die kleine Kirche mit ihrem relativ hohen Turm, die quasi auf einer Wiese steht, die von einem kleinen Bach zerschnitten wird. Auf einem Trampelpfad entlang dieses Baches verläuft der Jakobsweg …

Via Imperii - Altenburg-Lauenhain