Freitag, 1.9.2023, von Borna nach Altenburg / 24,8 km

9.30 Uhr. Heute ist ein wunderschöner Tag mit blauem Himmel und ein paar zarten Schleier­wolken, die verhindern, dass die Sonne zu stark brennt. Es sind 16 Grad und es weht ein frisches Lüftchen.

Ich habe wider Erwarten bis um sieben geschlafen. Der von der netten Dame vom Pfarramt herangeschleppte Bettenstapel war zwar wirklich weich, aber trotzdem eben, so dass manche Knochen sich nicht richtig in die Tiefe graben konnten. Mitten in der Nacht bin ich dann auf eine Reihe zusammengestellter Stühle umgezogen, die ich so aufgereiht habe, dass Schulter und Hüfte zwischen den Sitzflächen schweben und dadurch nichts drücken kann. Das ging dann ganz gut, nur dass man sich im Schlafsack auf solch einer Konstruktion nicht drehen kann. Aber trotz dieses Provisoriums und der dicht vor den Fenstern stehenden Laternen bin ich nochmal richtig tief eingeschlafen. Der Dame aus dem Pfarramt hatte ich am Abend gesagt, dass ich wohl schon weg sein werde, wenn sie um 7 Uhr kommt. Stattdessen war es schon nach acht, als ich mit Einpacken, Aufräumen und Frühstücken fertig war. So konnte ich mich aber wenigstens beim Gehen nochmal herzlich für die Gastfreundschaft bedanken.

Vom Fenster aus hatte ich übrigens einen schönen Blick auf den Martin-Luther-Platz mit den beiden Kirchen. Da ist einerseits die riesig erscheinende St. Marienkirche mit dem weithin sichtbaren weißen Turm, der bis zum traufseitigen Satteldach die gleiche Breite aufweist und wie ein riesiger Grabstein aussieht. Dass sich dahinter ein fast gleich hohes Kirchendach erhebt, sieht man erst von der Seite. Dann sieht man auch, dass das Dach des Chores deutlich niedriger ist. Innen ist die Kirche auch ohne viel Schmuck sehr ansprechend, vor allem durch die kunstvollen Kreuzrippen und den ganz hinten im lang gestreckten Chor stehenden Bilderaltar. Eine verkleinerte Kopie des mehrflügeligen Altars steht hinten in der Kirche. Da kann man „umblättern“ und sich alle Bilder in Ruhe anschauen.

Gleich neben der Kirche steht die deutlich kleinere Emmauskapelle, die erst 2008 diesen Standort eingenommen hat. Damals ist sie in 20stündiger Fahrt auf einem riesigen Sattelschlepper aus dem 12 km entfernten Heuersdorf hierher umgesetzt worden, weil das Dorf dem Kohlenabbau weichen musste. Eine Bilderausstellung in der St. Marienkirche zeigt alle Etappen der Umsetzung und es gibt auch ein Buch und eine DVD dazu. Innen ist die Kapelle sehr eng: ein kleiner Kanzelaltar zwängt sich neben einer winzigen Empore in den Chor. Im Kirchenschiff stehen zwei Reihen enger Bänke, die von einer L-förmigen Empore überdeckt werden. Auf der Empore steht ganz in einer Ecke eine kleine Orgel. Alles zusammen ist sehr gemütlich und nichts deutet darauf hin, dass die Kirche Jahrhunderte lang an einem anderen Standort stand. Bedrückend ist die in der Kapelle angebrachte, lange Liste der Dörfer, die südlich von Leipzig dem Bergbau weichen mussten. Als Wanderer kann man sich aber dadurch heute an einer wunderschönen Seenlandschaft erfreuen.

13.00 Uhr. Ich sitze auf der Terrasse der Gaststätte des Zeltplatzes Pahna, der am Rande eines Tagebaurestloches liegt. Auf dem Zeltplatz ist nicht viel los, der Strand ist trotz 22 Grad Wassertemperatur leer. Zum Glück hat die Selbstbedienungsgaststätte auf, wo es u. a. leckere Soljanka gibt. Hier könnte man eine Weile sitzen oder sich noch besser langlegen, zumal gerade dicke, dunkle Wolken aufziehen. Den möglichen Regenguss werde ich mal noch abwarten. Heute habe ich keine Eile. Es sind nur noch 13 km (3,5 Std.) bis Altenburg und ich muss nicht zu einer bestimmten Zeit da sein, da ich ja den Zimmercode habe. Ich muss nur so ankommen, dass ich noch was einkaufen kann.

Auf dem Weg hierher bin ich durch Zedtlitz gekommen, wo der Weg ein Stück entlang eines steil abfallenden Hanges verläuft. Links sind Kleingärten, rechts geht es runter zu einem Bach. Da stehen am Weg lauter Betonpfosten als Reste eines Zauns. Einige dieser Pfosten sind sehr kunstvoll mit Mosaiksteinen und allerlei Kleinkram dekoriert. Richtig hübsch. Urheber ist vermutlich jener Kleingärtner, der vor seiner Tür einen Pfahl mit Wegweisern zu den wichtigsten Pilgerzielen (Rom, Santiago) und für die hier verlaufenden Pilger- bzw. Wanderwege (Lutherweg, Jakobsweg etc.) aufgestellt hat. Dazu ein Stempelkasten mit einem richtig zünftigen Pilgerstempel.

Im nächsten Ort, Wyhra, war man bei den letzten Vorbereitungen für das heute Nachmittag beginnende dreitägige Feuerwehrfest („90 Jahre Freiwillige Feuerwehr“). Das Festzelt war schon eingerichtet, aber der Bierwagen leider noch nicht in Betrieb. Die mit vielen Hinweistafeln beworbene Gaststätte „Bauernstube“ gibt es leider nur noch als Gebäude. Ein altes Bauerngehöft hat man zum Museum („Geschichtenhof Wyhra“) hergerichtet. Die Zeit für einen Museumsbesuch habe ich mir nicht genommen, nur einen Stempel der „NEUSEEN Challenge“, die hier mit gelben Turnschuhen an Laternen ausgeschildert ist.

Weiter ging es dann vorbei an gefluteten Lehmgruben, entlang verschieden bepflanzter Felder und durch dichten Buchen-Birken-Lindenwald. Jeder Schritt macht Spaß.

22.00 Uhr. Ich bin gut in Altenburg angekommen und habe alles so vorgefunden wie angekündigt. Die am Anfang des vorigen Jahrhunderts errichtete Brüderkirche steht auf einer Anhöhe in der Verlängerung des Marktes und ist nicht zu übersehen. Es ist ein wuchtiger roter Klinkerbau mit einem großen Mosaik auf der Vorderfront. Nach den schönen Dorf­kirchen, die ich schon zu sehen bekommen habe und hier zwischen der Altstadt­bebauung wirkt sie mit ihrem Mix aus Neugotik und Jugendstil etwas deplatziert. In einem Berliner Arbeiterviertel würde man sich über einen solchen Farbtupfer freuen und keinesfalls wundern.

Ich habe im Hof die Schlüsselbox und im Pfarrhaus im zweiten Stock die Pilgerwohnung gefunden. Das ist ein nahezu ideales Quartier. Man tritt in eine gut ausgestattete Küche mit Herd, Mikrowelle, Wasserkocher und reichlich Geschirr, in der auch ein Esstisch Platz hat. Eine Tür führt in ein modernes Bad mit Badewanne (!). Weiter geht es von dort in ein kleines Zimmerchen mit einem Doppelstockbett, einem kleinen Tischchen und zwei Stühlen - wie in einer Mönchszelle, wenn man sich das Oberteil des Doppelstockbettes weg denkt.

Auf dem Bett liegt eine herrlich weiche Steppdecke und ein Stapel frischer Bettwäsche; auf dem Tisch finden sich ein Gästebuch und jede Menge Literatur über regionale Wander- und Pilgerwege. Abgesehen von den Landkarten ideal als Badewannenlektüre.

Da der Regen, der sich lange angedeutet hatte und kurz vorm Ziel anfing, recht heftig wurde, musste die Stadtbesichtigung leider ausfallen. Auf dem Weg zum Quartier habe ich mir im „Leipziger Konsum“ an der Ecke nur was auf die Schnelle geholt, weil ich hungrig war und der Bratwurstverkäufer auf dem Markt nichts mehr auf dem Grill hatte. Nachdem ich die Herberge bezogen, den ersten Hunger gestillt und etwas die Beine hochgelegt hatte, bin ich rechtzeitig vor Geschäftsschluss noch mal in den Konsum, um mir dort in aller Ruhe was fürs „richtige“ Abendbrot auszusuchen. Letztlich hatte dieses dann große Ähnlichkeit mit dem vom Vortag, nur dass die Portion größer war und mir jetzt ein bisschen schwer im Magen liegt. Man sollte mal über Fastenpilgern nachdenken, sowas mit einem Obst- und einem Gemüsesaft über den Tag verteilt …

Ein paar Kilometer vor Altenburg bin ich am Schloss Windischleuba vorbeigekommen, einer Wasserburg, die in ihren Grundfesten aus dem Jahre 925 stammt und mal eine Grenzfestung war. Jetzt ist dort eine Jugendherberge untergebracht. Da hatte ich auch wegen einer Pilgerunterkunft angefragt, aber 36 € als budgetsprengend angesehen. Vielleicht beim nächsten Mal, denn das böte die Gelegenheit, sich in diesem Renaissance-Schloss umzu­sehen, in das man sonst nicht kommt.

Zu Altenburg wäre noch nachzutragen, dass ich einen furchtbaren Schreck bekommen habe, als ich kurz vor Beginn meiner Reise in meiner Buchungsliste „Altenburg (Thüringen)“ las. Oh je, habe ich da im falschen Ort gebucht? Thüringen liegt ja gar nicht auf meiner Reiseroute. Gibt es da noch ein anderes Altenburg oder war es Altenberg - das liegt jedoch im Osterzgebirge. Aber da Google bei Eingabe der Postleitzahl nichts anderes zu bieten hatte, als ein Altenburg genau auf meiner Strecke, war ich beruhigt. Tatsächlich liegt Altenburg mit einem Stück des Weges davor und danach in Thüringen. Ein schmaler Zipfel des Landes reicht hier weit nach Sachsen hinein.

Via Imperii - Borna-Altenburg