Donnerstag, 31.8.2023, von Leipzig nach Borna / 36 km

20.00 Uhr. Ich sitze in Gemeindesaal der ev. Kirchengemeinde St. Marien in Borna und löffle meine Tütensuppe - direkt aus dem Topf. Ich habe zwar vor dem Einkaufen geschaut, ob es einen Herd und Töpfe gibt, aber nicht, ob auch Suppenteller vorhanden sind. Die Schränke der sehr ordentlichen Küche sind zwar voller Geschirr, aber das sind alles nur Kaffee­gedecke. Wann trifft sich schon mal die Kirchengemeinde zum Suppe-Essen? Macht nichts, „schmegge muss es“. Da ich ziemlich hungrig war, habe ich die Buchstabensuppe verputzt, ohne vorher die Bestandteile alphabetisch zu ordnen. Hat trotzdem geschmeckt. Mein Schwager Mathias hat ja mal die Frage in den Raum geworfen, ob ein Analphabet genau so viel Spaß an einer Buchstabensuppe hat, wie unsereins. Ich glaube jetzt: Ja.

Wenn die Suppe etwas gesackt ist, werde ich zum zweiten Gang schreiten: Rühreier mit Schinken. Auf die Idee bin ich gekommen, als ich im Schrank die Bratpfannen gesehen habe. Die nette Dame aus dem Pfarrbüro, die mich hier eingewiesen hat, wollte mir gleich alle möglichen Zutaten besorgen wie z.B. Bratfett. Aber ich habe abgewunken. Wenn ich im Supermarkt nicht fündig werde, gibt es was anderes zu essen. Aber ich bin im EDEKA fündig geworden: hier gibt es 100g-Stücken Kräuterbutter, die man sicher zum Braten nehmen kann und es bleibt bestimmt noch ein Rest für die Frühstücksstullen, Pardon: „Bemmen“, wir sind ja in Sachsen. Vom Kochschinken bleibt sicher auch noch was für morgen übrig.

Während die Eier auf der Pfanne sind, kann ich ja schon mal überlegen, wo ich hier im 60-Quadratmeter-Saal meine Schlafstätte herrichte. Die Dame aus dem Pfarrbüro hatte mich gewarnt, dass es hier weder Betten noch Matratzen gibt. Nun hat sie mir aber drei große, mächtig dicke Decken hingelegt, mit denen ich mir meine Schlafstätte herrichten kann. Da werde ich schlafen wie die Prinzessin auf der Erbse.

Die Leute sind hier alle furchtbar nett. Ich bin gleich allen vorgestellt worden, die hier was im Haus zu tun hatten: der Friedhofsverwalterin, dem Kantor, einer Dame aus dem Pfarr­gemeinderat, der Dame vom Kirchdienst usw. Letztere hat angeboten, die beiden Kirchen länger offen zu lassen, wenn ich es nicht bis 18 Uhr schaffe, mir diese anzuschauen. Und wenn es irgendein Problem gibt, kann ich auch nachts bei ihr klingeln, sie wohnt gleich nebenan. Einen ordentlichen Pilgerstempel habe ich auch bekommen, sogar noch einen zweiten für den Lutherweg, der von Leipzig bis hier und noch ein Stück weiter fast deckungsgleich mit dem Jakobsweg ist.

22.00 Uhr. Die Rühreier haben hervorragend geschmeckt. Die im EDEKA erworbene Zwiebel hat der Sache den nötigen Pep verliehen.

Nun noch kurz zum heutigen Tag:

Geweckt wurde ich um Dreiviertel fünf von der Stimme eines Muezzins. Etwa nach der zwanzigsten Sure, als bereits in fast allen Betten die Leselampe an war, bin ich raus und habe das Fenster geschlossen - was nichts bewirkt hat. Leider konnte ich mit meinem miserablen Gehör nicht die Quelle orten. Aber ich vermute, dass mein Obermieter den Muezzin als Weckruf auf seinem Smartphone hat, denn kaum war die Stimme verstummt, sprang er aus dem Bett, zog sich an und verschwand in Windeseile.

Wider Erwarten bin ich nach dieser Aktion noch mal eingeschlafen, was für die Betten spricht. Um halb sieben bin ich raus, hab mir einen Kaffee gemacht, das abends zuvor erworbene Sandwich in mich hinein gewürgt und bin dann los.

Der Hinterausgang des Hostels führt direkt auf den Jakobsweg, besser gesagt auf die Via Regia, die ich im Juni gelaufen bin. Aber am Südende des Marktes kreuzt diese die Via Imperii, der ich von dort ab gen Süden gefolgt bin. Es ging noch ein Stück durch die Fußgängerzone und dann vorbei am neuen Rathaus und der gestern besichtigten St.-Trinitatis-Kirche zum Johannapark und durch diesen zur Pleiße. Im Park gab es schöne Flecken an den kleinen Teichen zu bestaunen, aber man musste immer aufpassen, dass man nicht von einem der vielen Radfahrer umgefahren wird.

Anschließend ging es lange durch dichten Wald entlang der Pleiße und später auf einem spärlich asphaltierten Waldweg, der in Markleeberg in den Equipagenweg mündet, welcher auf der einen Seite von Schrebergärten und auf der anderen Seite von mondänen Betonwürfel-Einfamilienhäusern begleitet wird.

Durch den Kees‘schen Park gelangt man dann an den Cospudener See, ein geflutetes Tagebauloch, das mit einigen anderen hier die Landschaft prägt. Parkähnliche Ufer, Bade­stellen, Bootsstege, ein paar Gaststätten usw. machen die Gegend zu einem beliebten Urlaubs- und Ausflugsziel. Nur war heute bei dem trüben Wetter nicht viel los.

In Zöbigker, einem Stadtteil von Markleeberg, war ein Schloss ausgeschildert, das unter den vielen noblen Villen gar nicht so leicht zu finden war. Etwas weiter gibt es aber eine wirkliche Sehenswürdigkeit: die Fahrradkirche Zöbigker. Da hat man eine Kirchenruine, bestehend aus ein paar Wänden und dem Stumpf eines mittschiffs stehenden Turmes wieder eine Kirche entstehen lassen. Eine Holzkonstruktion stützt die Außenwände und trägt das aus durch­scheinender, weißer Plane bestehende Kirchen„dach“. Innen steht nur der Altar, umgeben von einigen einfachen Stühlen. Das ist recht eindrucksvoll und lädt Radfahrer (und Wanderer) zum Verweilen ein.

Zum Laufen war das Wetter heute abgesehen von einem kurzen Regenguss optimal. Der Platzregen, begleitet von einem Gewitter hat mich kurz vor Böhlen im Wald erwischt. Ehe ich die als Unterstand taugende Bahnunterführung erreicht hatte, war ich bis zu den Knien klitschnass. Den Rest hat das eilig aus dem Rucksack gezerrte Regencape geschützt.

Nach einer Rast in Böhlen vorm Lidl ging es weiter nach Rötha. Dort führt der Weg vorbei an der sehenswerten Kirche und dem unscheinbaren Rathaus. Da bin ich rein und habe den Erstbesten nach einem Stempel für meinen Pilgerpass gefragt. Das war ausgerechnet einer vom Ordnungsamt. Als ich ihm sagte, dass ich schon genug Stempel auf Schreiben vom Ordnungsamt habe, hat er mich eine Etage höher geschickt. Da habe ich wieder den Erstbesten angequatscht und lag dieses Mal richtig: der Bürgermeister. Der hat ganz interessiert meinen Pilgerpass studiert und dann sein ganz persönliches Dienstsiegel gezückt und mir in den Pass gedrückt. Da steht jetzt „Stadt Rötha / Bürgermeister“. Das ist der ideale Ausgleich für den Posteingangsstempel, den mir gestern der Leipziger Pfarrer in den Pass gedrückt hat.

Entlang verschiedener gefluteter Tagebaue habe ich es dann bis nach Borna geschafft, wo ich um halb sechs aufgeschlagen bin. Bis um sechs sollte ich hier sein, weil dann die Dame im Pfarrbüro Feierabend hat; es hat also alles bestens geklappt. Ich werde aber morgen bestimmt ordentlich Muskelkater haben, denn das waren heute vermutlich über 35 km und ich habe kaum Pausen gemacht.

Via Imperii - Leipzig-Borna