Sonnabend, 23.9.2023, von Bayreuth nach Lindenhardt / 15,4 km

9.30 Uhr. Ich sitze auf einem dicken, gefällten Baum am Wegesrand und blicke auf einen Berg, den ich hoffentlich nicht erklimmen muss. Die erste Bergwertung habe ich schon hinter mir: hinter Saas ging es steil einen Pfad hoch, der Teil einer Mountainbike-Strecke ist und einen entsprechenden Zustand hat. Da ist bis runter zu den Wurzeln und Steinen alles abgefahren. Aber irgendwie bin ich da doch hochgekommen, in Spanien trifft man laufend auf solche Wege.

Ich habe heute eine Abkürzung gegenüber dem ausgeschilderten und in der Karte verzeichneten Weg genommen. Letzterer umrundet in Bayreuth alle Sehenswürdigkeiten und führt dann entlang des Roten Mains nach Nordosten aus der Stadt heraus, also in entgegengesetzter Richtung zu den üblichen Pilgerzielen. Nach 3…4 Kilometern geht er dann, weitestgehend dem Roten Main folgend, nach Süden bis Creußen und anschließend 6…7 km nach Westen. Auf der Karte sieht man verwundert diese Ausbuchtung des Weges. Ich habe mir heute beim Frühstück erklären lassen, dass es dafür keinerlei historischen Hintergrund gibt, sondern dass man sich bei der Ausweisung des Jakobsweges der Ausschilderung wegen an vorhandene Wanderwege gehalten hat und dass diese nun mal alle am Roten Main entlang führen, der hier eine große Kurve beschreibt.

Auf diesem Weg wären es bis zu meinem heutigen Ziel, Lindenhardt, 30 km. Das ist etwas viel, wenn man sich schonen will. Ich gehe stattdessen ohne Umweg direkt nach Süden. Da sind es bis Lindenhardt nur 15 km. Das sollte reichen. Und ein schlechtes Gewissen muss ich auch nicht haben, denn sicher haben früher die Pilger mehrheitlich den direkten Weg als einen riesigen Umweg entlang eines noch so schönen Flüssleins gewählt.

11.30 Uhr. Zeit für eine Pause. Dafür bietet sich die unter anderem aus Mitteln des „Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes“ errichtete Bushaltestelle in Gosen an. Von hier fährt, auch am Wochenende, mehrmals täglich ein Bus nach Bayreuth und dreimal die Woche ein kleiner „Bürgerbus“ nach Creußen.

Mein Weg hat vorhin die Kuppe des erwähnten Berges leicht verfehlt. Auf halber Höhe ging es um den Berg herum. Bis dorthin zu kommen war aber etwas mühevoll, denn die Feldwege, die der Routenplaner herausgesucht hatte, waren nicht wirkliche Wege, sondern Trampelpfade zwischen den Feldern, über die der Bauer nicht einmal eine Kuh treiben würde. Zum Glück hat der ziemlich heftige Wind schon so früh am Tage das Gras auf den Wegen abgetrocknet, sodass man keine nassen Schuhe und Hosen bekam. Gestern in dem „Stock-und-Stein-Wald“ waren manche Wege dicht mit Gras bewachsen, welches im Schatten auch am späten Nachmittag noch nicht abgetrocknet war. Da war im Nu die Hose bis zum Knie nass und blieb das mangels Sonnenschein auch eine ganze Weile.

Die Wolken, die hier über mir aufziehen, werden immer dicker und schwärzer. Ich bin geneigt, hier noch zu verharren, bis der zu erwartende Regenguss vorbei ist.

15.30 Uhr. Ich sitze in der Gaststube des Brauerei-Gasthofes „Kürzdörfer“ in Lindenhardt am Stammtisch und habe gerade mein „Schäuferla mit Kloß und Salat“ unter Begleitung eines „Lindenhardter Bier“ aus der „Brauerei Kürzdörfer Lindenhardt“ verspeist. Extrem lecker! Ganz was anderes, als die Silage-Gläser, die vorgestern Thema waren.

Der auf dem Teller zurückgebliebene Knochen sieht wirklich wie eine Schaufel aus. Beim Schäuferla, das vor dem Verzehr einem Tortenstück ähnelt, handelt es sich nämlich um die Schulter eines Schweines, oben drauf noch mit dicker Speckschwarte. Es ist eine fränkische Spezialität, die ich nach Auskunft der Wirtin unbedingt gegessen haben muss. Die Empfehlung war gut, aber das Andere auf der Karte (Roulade, Hirschbraten, Gansbrust, Sauerbraten, Rippchen usw.) hätte bestimmt auch geschmeckt. Alles mit Klößen, manches auch mit Blaukraut. Nichts „an Salbei“ oder „auf Creme sowieso“.

Die Gaststätte auf dem Brauereigelände passt zu diesen Gerichten. Es ist ein Blockbohlen­haus und die dicksten Stämme haben bestimmt einen Durchmesser von 50 Zentimetern. Sehr gemütlich, aber auf jedem Tisch steht ein „Reserviert“-Schild. Wie ich gerade erfahren habe, wird hier gegen sechs Schluss gemacht und dann unten im Dorf im Bierzelt weiter ausgeschenkt. Dieses Wochenende ist nämlich Kirchweihfest und die Brauerei ist offenbar der Ausrichter.

Hier in Lindenhardt werde ich im Pfarrhaus übernachten. Der Pfarrer, der erst vor ein paar Tagen hier eingeführt wurde, hat vorhin angefragt, wann ich komme, weil er noch etwas zu tun hätte. Wir haben uns auf 17 Uhr geeinigt. Bis dahin ist noch Zeit für ein Glas der dunklen Lindenhardter Bier-Variante. Der Pfarrer weiß zur Not, wo ich zu finden bin.

Der Weg hierher war wirklich schön und trotz einiger Anstiege gut zu laufen. Ich konnte mir Zeit lassen und bin so gut und weitestgehend schmerzfrei über die Runden gekommen.

Bei einer Rast ist es mir gelungen, eine junge Frau in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Joggerin, die freundlich gegrüßt hat, war vielleicht 80 Meter weg, als ich im Rucksack versteckt eine noch unversehrte Bügelflasche aus dem Hause Kulmbach gefunden habe - ein leckeres „Mönchhof Lager“ das im Norma zwischen No-Name-Bier in Plasteflaschen verborgen war. Beim Öffnen gab es das typische, weithin vernehmbare „Plopp“, das die Joggerin trotz Kopfhörern wahrgenommen hat. Sie drehte sich erschrocken um und hat sicher gedacht, dass jemand auf sie geschossen hat oder dass ich hinter ihrem Rücken einen Suizid unternommen habe. Ein freundliches Winken meinerseits gab Entwarnung und sie konnte weiter ihre Runde drehen.

Das letzte Stück des Weges, der nun wieder der „richtige“ mit Jakobsmuschel ist, führte unter riesigen Windrädern hindurch und machte einen kleinen Schlenker durch den am Boden mit Moos und Farn bedeckten Wald zur Quelle des Roten Main. Da habe ich an einem Tisch sitzend vier echte Wanderer getroffen - die ersten nicht nur seit Hof, sondern auch seit Leipzig. Das heißt, ich habe erstmal gefragt, ob die Rucksäcke echt oder nur Deko sind. Die waren angeblich echt und die vier Herren mittleren Alters schon seit ein paar Tagen auf dem Fränkischen Gebirgsweg unterwegs. Die hohen Berge des Frankenwaldes hatten sie schon hinter sich, nun geht es für sie in Richtung Bamberg. Ihnen entgeht dadurch das Lindenhardter Kirchweihfest. Ob ich davon noch was mitbekomme, weiß ich nicht, denn eigentlich bin ich schon ziemlich müde.

Via Imperii - Bayreuth-Lindenhardt