Freitag, 22.9.2023, von Marienweiher nach Bayreuth / 30,6 km

20.30 Uhr. Vor einer halben Stunde bin ich endlich in Bayreuth angekommen - mit einem ganz winzigen Schummeln, denn ich bin von Bindlach an der nördlichen Bayreuther Stadtgrenze eine Station zum Hauptbahnhof mit der Bahn gefahren. Das war etwa die Hälfte des Fußweges von dort zu meiner Unterkunft ganz am anderen Ende der Stadt (6,8 km). Und das war auch gut so, sonst hätte ich es nicht mehr geschafft, mir was zum Abendessen einzukaufen, denn für halb bis um acht hatte ich mich hier angekündigt.

Vom Hauptbahnhof, um den herum der Jakobsweg verläuft, war noch ein ganzes Stück bis zu meiner Unterkunft zu laufen. Die liegt in einer Reihenhaus-Siedlung am südwestlichen Rand von Bayreuth, bezeichnenderweise im Stadtteil Jakobshof. Hier wohnt Pfarrer i.R. Michael Thein mit seiner Frau. Da die Kinder ausgezogen sind, bieten sie jetzt die noch original eingerichteten „Kinderzimmer“ als Pilgerherberge an. Da sie selbst Pilger sind, wissen sie um die Not, ein Quartier zu finden. Ich habe hier im obersten der drei Geschosse das Zimmer von Tochter Lea bekommen, die lt. Taufzeugnis an der Wand inzwischen 32 sein dürfte. Mehr habe ich noch nicht in Erfahrung bringen können, denn Michael ist heute nicht da und seine Frau hatte vorhin noch ein Enkelkind „an der Backe“. Da hat sie mir nur schnell das Zimmer gezeigt und ist gleich wieder verschwunden.

Heute gibt es erfreulicherweise nicht viel vom schmerzenden Fuß zu berichten und die Sauerkraut-Schulung von gestern habe ich schon verdrängt. Da ist Zeit und Gelegenheit, vom Weg zu berichten, der heute sehr abwechslungsreich war. Aber das will ich machen, nachdem ich was gegessen und unter der Dusche gestanden habe. Da es hier wie wohl in jedem deutschen Kinderzimmer WLAN gibt, kann ich auch mal ein paar Bilder der letzten Tage schicken. Stellt am besten das Telefon auf stumm, wenn Ihr schlafen geht, damit Ihr nicht von jedem Plong beim Eingang eines Bildes aufwacht.

Daran, dass auch in Marienweiher die Glocke die ganze Nacht über jede Viertelstunde läutet, hatte ich mich schnell gewöhnt. Aber als morgens um sechs ein Geläut wie zu einem Festgottesdienst losging, hat mich das förmlich aus dem Bett geworfen. Draußen war es finster, die Wege waren nass und überall stieg Nebel auf. Da hätte man eigentlich noch eine Weile liegenbleiben können, aber ich hatte eine lange Tour vor und wollte deshalb zeitig los. Vorher habe ich mir aber noch einen Kaffee aufgebrüht und ein Brötchen vom Vortag mit Kräuterbutter und Leberwurst beschmiert - beides habe ich im Netto in kleinen Einzel­packungen bekommen. Dann bin ich raus, hab abgeschlossen und den Schlüssel zusammen mit einer Spende in den Briefkasten geworfen.

Der Weg führt vom ehemaligen Kantorenhaus, wo ich geschlafen habe, um die Kirche herum und vorbei am Friedhof. Da stehen am Wegesrand die letzten der insgesamt vermutlich 14 in mannshohe Steinplatten geschlagenen Kreuzwegstationen. Weiter ging es vorbei am Sport­platz, durch Wiesen und Gehöfte. In der Nähe eines Gehöftes steht eine winzige Kapelle, die jemand 1922 „Zur Danksagung 1914-18“ erbaut hat.

Ein Stück weiter versammelte sich eine große Schar Alpakas am Zaun, um mich zu bestaunen. In Gundlitz, wo ein kleines quadratisches Kirchlein im Dorfzentrum steht, habe ich dafür am Ortsausgang staunend in eine Fabrikhalle mit lauter Webstühlen geschaut, auf denen breite Bahnen Velours hergestellt wurden. Gleich hinter der Fabrik wurde es dann richtig interessant. Da führt der Jakobsweg durch die „Kellergasse“. Das ist ein tiefer Hohlweg, der dadurch entstanden ist, dass im Laufe der Jahrhunderte die schweren Räder der Fuhrwerke immer etwas Boden abgetragen haben, der beim nächsten Regen weg­gespült wurde. Später haben dann die Gundlitzer ihre Eiskeller in die fast senkrechten Wände dieser Gasse gegraben - insgesamt etwa 20 Stück.

Am Ende der Gasse angekommen, trifft man auf eine Straße, hinter der sich eine große Wiese einen Hang hinunterzieht. Am anderen Ende der Wiese, unten im Tal, kann man kaum die Verkehrszeichen erkennen, so weit weg ist das Ende der Wiese. Natürlich führte der Weg genau dort hinunter und anschließend in den Wald hinein. Hier war gerade jemand dabei, einen Holztransporter zu beladen. Da war links und rechts vom LKW kaum noch Platz, um vorbei zu kommen. Dann bot sich mal wieder ein grandioser Blick auf eine große Lichtung im Wald. Bänke, Rastplätze und kleine Hütten, von denen aus man solche Blicke genießen kann, gibt es hier reichlich.

Um halb elf war ich dann in Marktschorgast, worunter ich mir immer eine pulsierende, echt bayerische Stadt vorgestellt habe. Aber eigentlich handelt es sich nur um eine breite, zum Marktplatz erweiterte Straße mit vorwiegend hübschen, aber nicht spektakulären Häusern auf beiden Seiten. Eins davon ist das Rathaus, wo ich mir einen zweiten Pilgerstempel geholt habe. Einen ersten hatte ich mir schon in der sehenswerten katholischen Kirche am unteren Ende des Marktes in meinen Pilgerpass gedrückt. In Ermangelung einer anderen Einkauf­smöglichkeit (abgesehen vom Lotto-Laden mit ein paar Lebensmitteln), habe ich mir in der Metzgerei, die zugleich Gaststätte ist, ein Bier zapfen lassen.

Danach bin ich auf die schiefe Bahn geraten, die hier „schiefe Ebene“ heißt und von der Eisenbahn befahren wird. Hier hat man Mitte des 19. Jahrhunderts Unmengen an Steinen und Erdreich bewegt, um für die Bahn eine Rampe vom Tal bis hoch nach Marktschorgast zu legen, die ohne Tunnel und große Brücken auskommt. Direkt neben der Bahn verläuft ein vom Dampflokmuseum Nürnberg eingerichteter Lehrpfad, der jede noch so kleine Über­brückung oder Untertunnelung erklärt.

Der Jakobsweg verläuft zunächst auf gleicher Höhe wie die Bahn, steigt dann aber schneller ab als diese und bietet interessante Blicke auf die aus Felsbrocken erbauten riesigen Stützmauern der Bahn. In der Ferne ist schon lange Straßenlärm zu hören, der nun immer lauter wird. Es ist die Autobahn, die sich von links an den Weg heran schiebt, der jetzt immer stärker abfällt. Nun ist er regelrecht eingekeilt zwischen Auto- und Eisenbahn. Aber er steigt wieder hoch und bietet, auf Autobahnniveau angekommen, die Wahl, weiter entlang der Autobahn zu laufen, oder den Jakobsmuscheln folgend den Weg nach Himmelkron zu nehmen. Da thront weit sichtbar eine mit Schiefer gedeckte Kirche auf einem Hügel. Diese ist offen und mit ihren Deckenmalereien und den zwei U-förmigen Emporen sehr sehenswert. An einer Längsseite des Kirchenschiffes und am Altarumgang stehen Dutzende Epitaphe und Grabsteine. Da hat man bei der Predigt was zu Schauen!

Wer nach Himmelkron zur Kirchenbesichtigung kommt, hat es aber meistens nicht auf diese Kirche abgesehen, sondern auf die hypermoderne Autobahnkirche am Ortsrand. Es lohnt sich sehr, hier mal von der A 9 abzufahren und sich diese Kirche anzuschauen, die sicher auch jeden Nichtgläubigen tief beeindruckt.

Im nächsten Ort, Lanzendorf, habe ich wieder vergebens nach einem Supermarkt Ausschau gehalten. Da treffe ich auf einen kräftigen, bärtigen Mann, etwas jünger als ich, der gerade etwas aus einem mit „Harley Davidson“ dekorierten Auto in seinen Garten trägt, wo solch eine Maschine steht. Wir kommen ins Gespräch und dabei fällt meine scheinheilige Frage, ob man denn irgendwo in diesem Ort zu einer Flasche Bier kommen kann. Er überlegt und sagt dann, dass dies kein Problem sei, da er was im Haus hat. Und schon ruft er seine Frau, dass sie uns doch bitte mal was rausreichen soll. Sekunden später hielt ich ein leckeres einheimisches Zwickl in der Hand und Stefan, wie er sich vorstellte, sein favorisiertes Weiß­bier. Damit haben wir es uns auf der Bank im Vorgarten bequem gemacht. Stefan erzählte, dass er mal Elektriker gelernt hat, dann aber in den verschiedensten Berufen und Branchen gearbeitet hat, oft in leitender Position, z.B. als Betriebsleiter in einer Schnapsfabrik. Doch dann ist er mal beim Drachenfliegen unsanft auf Geröll gelandet und hat sich beide Sprunggelenke so kaputt gemacht, dass er mehrfach operiert werden musste und lange ausfiel. Nun ist es nichts mehr mit langen Wanderungen. Da fährt er wieder viel mit dem Motorrad - zusammen mit seiner Frau, die auch eine schicke Maschine vor dem Haus zu stehen hat. Früher ist er viel durch Südfrankreich gefahren, da zieht es ihn immer noch hin.

Seine Frau brachte mir dann zwischendurch ein Fläschlein mit selbst gemachtem Ringelblumen-Öl, das gegen Blasen etc. helfen soll. Damit habe ich bisher zum Glück keine Probleme, aber ich habe es trotzdem dankend angenommen. Als ich erzählte, dass ich in Bayreuth noch in der Apotheke Voltaren kaufen will, bekam ich auch davon noch eine halbvolle große Tube. Das sind sehr nette Leute und ich hätte da gern noch eine Weile gesessen. Aber ich musste weiter, wollte ja noch bis Bayreuth kommen. Ich hab‘ noch schnell ein Bild von Stefan und seiner Maschine gemacht, dann ging es wieder los.

Auf der weiteren Strecke habe ich abwechselnd den ausgeschilderten Jakobsweg und den vom Routenplaner empfohlenen Weg genutzt. Letzterer zwar oft nicht viel kürzer, aber besser zu laufen. Als ich mal wieder der Jakobsmuschel gefolgt bin, statt eine leere Service-Straße an der Autobahn zu benutzen, bin ich im tiefsten Wald gelandet, in dem es „über Stock und über Stein“ ging, was sehr behutsames und damit langsames Laufen erforderte. Das hat mich zeitlich sehr zurück geworfen.

In Bindlach, wo mein Weg die Bahnlinie kreuzt, war es viertel sieben und es standen noch knapp 7 km an. Ankunft wäre dann um acht gewesen. Da habe ich mich entschlossen, den gleich (mit Verspätung) kommenden Zug bis zum Hauptbahnhof zu nehmen. Weil schon 28 km auf dem Zähler standen und in Bayreuth nochmal drei zu laufen waren, musste ich dabei kein schlechtes Gewissen haben. Es ist halt blöd, wenn man sich vorher mit den Quartieren festlegen muss und nicht wie in Spanien spontan das Etappenende wählen kann.

Via Imperii - Marienweiher-Bayreuth