Donnerstag, 21.9.2023, von Helmbrechts nach Marienweiher / 13,4 km

17.45 Uhr. Ich bin gut in Marienweiher hinter Klostermauern angekommen und werde gleich in die Bioszene einsteigen und mir einen Vortrag über die Haltbarmachung von Lebens­mitteln anhören. Der findet eine Etage unter mir in einem Versammlungsraum statt. Bis der Vortrag vorbei ist und die Leute verschwunden sind, kann ich eh nicht schlafen gehen.

Ich habe hier einen ziemlich schlichten Raum mit zwei Campingliegen für mich. Nebenan ist die Toilette und eine Etage tiefer eine kleine Küche. Da habe ich gerade die erste Hälfte meines aus dem Netto in Marktleugast herangeschleppten Abendbrotes eingenommen.

Die Klostermauern sind nur symbolisch zu betrachten. Das Ensemble, das den Wallfahrtsort Marienweiher bildet, liegt in der Mitte des gleichnamigen Ortes auf einem kleinen Hügel. Im Zentrum steht die „päpstliche Basilika“, eine recht opulent ausgestattete Barockkirche, daneben ein Gebäude, das durch eine Brücke mit der Basilika verbunden ist, und in dem zwei Franziskanermönche leben. Außerdem dann das ehemalige Kantorenhaus, in dem sich u.a. die Pilgerherberge befindet. Davon ist nichts eingemauert …

22.30 Uhr. Der Vortrag und ein erster Schlaf liegen hinter mir. Bei dem Vortrag, der von über dreißig Teilnehmern, darunter vier Männern, besucht war, ging es um das Fermentieren, das heißt im weitesten Sinne darum, wie man aus allem möglichen Obst und Gemüse Sauerkraut machen kann. Die Referentin, eine Heilpraktikerin (was meinen Zynismus anstachelt) wusste bei jedem der in Briefmarkengröße an die Wand geworfenen Bilder von Einweckgläsern zu berichten, dass der Inhalt „super lecker“ schmeckt und dass sie und ihr Mann sich den eingelegten Grünkram morgens aufs Brot legen. „Ich und mein Mann“ zogen sich durch den Abend, aber man erfuhr auch von Uneinigkeit in der Ehe: ihm hat Rote Beete schon immer geschmeckt, ihr erst, seit sie diese selbst fermentiert. Nach fast anderthalb Stunden war sie längst noch nicht bei der angekündigten Verkostung angelangt, sondern hat nochmal einen Exkurs in die Bedeutung der Darmflora gemacht und man erfuhr zum Beispiel, dass nach angestellten Studien eine schlechte Darmflora Autismus hervorrufen kann. Zu den gezeigten Grafiken sagte sie selbst, dass es nicht so schlimm ist, wenn man die nicht erkennen kann.

Ich habe ja bis dahin tapfer durchgehalten, aber da ich laufend eingenickt bin und Angst hatte, vor vollem Publikum vom Stuhl zu fallen, habe ich mich davon gemacht und zu einem (drei Stunden währenden) Nickerchen hingelegt. Eigentlich wollte ich die Dame noch nach der Klimabilanz ihrer Sauerkrautgläser fragen, denn sie hat uns erklärt, wie wichtig die Kohlendioxidblase ist, die beim Fermentieren, also beim gezielten Vergammeln, unter dem Deckel im Glas entsteht. Kurz gesagt, bei jedem Öffnen eines solchen Glases passiert das Gleiche wie beim Rülpsen einer Kuh auf der Weide - klimaschädlichen Gase werden freigesetzt. Aber mit einer solchen Frage wäre ich hier mitten im Wahlkampf als grüner Spinner angeeckt. Herr Aiwanger verkündet hier von Plakaten mit Windrädern zwischen Fachwerkhäusern, dass Grüne keine Heimat kennen.

Apropos Wahlkampf: kennt jemand Oswald Greim? Der kandidiert als Bundestags­abgeordneter der Linken. Den habe ich schon im Wald hängen sehen, natürlich nur auf einem Plakat, auf dem er einen Waldarbeiter gibt. Eine halbe Stunde später steht er leib­haftig vor mir. In Marktleugast treffe ich auf einen Schaukasten der Linken mit deren Kandidaten, außerdem aber mit Jakobsmuschel und einer kurzen Geschichte der Marien­weiher Wallfahrt. Prima, im Schaukasten der CSU waren nur Biertischbilder. Das Grundstück nebenan war dann aber für meinen Geschmack etwas zu dicht mit Wahlplakaten der Linken behangen. Aber als sich der Herr erhob, der da gerade versuchte, eine Kettensäge oder sowas in Gang zu setzen, stellte ich eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Oswald Greim auf den Plakaten fest. Wir haben kurz geplauscht und bereitwillig hat er für ein Foto posiert. Leider habe ich in meiner Aufregung vergessen zu fragen, warum er Jakobsweg-Reklame macht. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass der auch schon mal ein Stück gelaufen ist.

23.30 Uhr. Als alter Mensch darf man natürlich einen Tagesbericht nicht beenden, ohne auf die gesundheitlichen Probleme eingegangen zu sein. Nehmen wir doch mal meinen Fuß. Der ist nicht blau, dick oder verrenkt und er hat die ganze letzte Nacht nicht wehgetan. Aber es tut weh, wenn man mit dem Hacken auftritt, was sich bei einer Wanderung nicht ganz vermeiden lässt. Ich bin also heute früh losgezogen, als hätte ich rechts keinen Wander­schuh, sondern einen Stiletto an. Das sah nicht nur doof aus, sondern war auch ungemein anstrengend. Bei verschiedenen Pflegediensten und Physiotherapien am Wegesrand habe ich angefragt, ob nicht einer ihrer Klienten eine Krücke hat stehen lassen. Damit wäre es be­stimmt gut gegangen. Aber hier sind die Leute offenbar nur in politischen Fragen vergesslich.

Hinter Helmbrechts, wo ich trotz durchgängigen Viertelstunden-Geläuts der unmittelbar neben meiner Schlafstätte stehenden Kirche sehr gut geschlafen habe, fand ich einen als Pilgerstab tauglichen Knüppel und mit dem ging es ganz gut. Das Gehumpel mit dem Stock sah zwar sicher bekloppt aus, aber im Wald hat das niemand gestört. Es war übrigens mal eine ganz neue Erfahrung, wie es sich für einen gebrechlichen Menschen anfühlen muss, sich trotz oder gerade wegen einer Behinderung auf den Weg zu begeben. Bisher hatte ich nur an Pässen auf dem Camino Francés das Gefühl und die Angst, nicht weiterzukommen. Das war dann vorbei, wenn man oben angekommen war. Aber wie es sich anfühlt, schon morgens mit Schmerzen auf den Weg zu gehen, war neu. Im Gegensatz zu Menschen mit dauerhaften Beschwerden konnte ich im Laufe des Tages dankbar feststellen, dass es nicht nur mit dem Humpeln ganz gut geht, sondern dass es mit dem Fuß schon etwas besser oder zumindest nicht schlechter geworden ist, was ja auch hätte sein können.

Das war heute aber zum Glück auch nur eine Ruhetagetappe von vielleicht 15 Kilometern und ich konnte mir viel Zeit nehmen und lange Pausen einlegen.

Hinter Helmbrechts führte der Weg quasi durch ein Gehöft auf eine große Wiese und hinter dieser in einen dichten, lückenlos mit Moos bedeckten Nadelwald. Hinter diesem ging es kurz auf eine Landstraße und dann wäre es eigentlich rechts ab wieder in den Wald und um die Dörfer Wüstenselbitz, Burkersreuth und Dreschersreuth herum nach Hohenberg gegangen. Ich habe es aber vorgezogen, den Weg durch diese Dörfer zu wählen, schon weil der Stock auf dem Asphalt so schön klappert.

Ein paar der Kirchen in den Dörfern habe ich offen gefunden, zum Beispiel die Lutherkirche in Wüstenselbitz (mit Stempel!) und die halbwegs moderne in Hohenberg. Besonders sehenswert war die in Marktleugast, also kurz vorm Ziel, auf einem Hügel (direkt gegenüber dem Grundstück des Linken-Kandidaten) gelegene katholische St. Bartholomäus-Kirche, für die ich zwar einige Treppen hochsteigen musste, aber mit einem kleinen Barockwunder belohnt wurde. Ganz toll ist natürlich hier in Marienweiher die Basilika, die sehr reich ausgestattet, aber noch nicht überladen ist. Hier habe ich übrigens erstmals wieder eine Statue des Heiligen Rochus gefunden, den ich so verehre, da der sich seinerzeit um die gestrandeten Pilger gekümmert hat.

Ich bin aber heute auch auf Unterstützung gestoßen. In Burkersreuth war doch tatsächlich zur Mittagszeit die Gaststätte geöffnet. Drinnen saß die Wirtin mit zwei ebenfalls älteren Damen beim Frühstück, was sie aber nicht hinderte, mir ein halbwegs kühles (Flaschen-) Bier aus irgendwelcher Schlossbrauerei zu servieren. Eine Wohltat und für 2,40 € ein Wunder zugleich.

Die an der Kneipe von der Hauptstraße abzweigende Straße heißt „Zum Kriegswald“. Die dazu befragte Wirtin wusste nur zu berichten, dass die Straße zu einem Wäldchen führt, in dem mal in einem Krieg gekämpft wurde. Aber in welchem Krieg das war, wussten weder sie noch eine ihrer Mitesserinnen am Frühstückstisch. Macht nichts, Wikipedia weiß da auch nicht mehr. Da erfährt man auch nur, dass in besagtem Wald vermutlich vor der Besiedlung des Frankenwaldes Kämpfe stattgefunden haben.

Via Imperii - Helmbrechts-Marienweiher