Mittwoch, 20.9.2023, Anreise nach Hof und von Hof nach Helmbrechts / 20,7 km

Liebe Freunde und Verwandte, es hat sich schon rumgesprochen, dass ich nochmal für ein paar Tage auf Wanderschaft gehe. Ich will da fortsetzen, wo ich vor zwei Wochen aufgehört habe: in Hof. Von dort will ich weiter auf der Via Imperii gen Süden laufen, das Ziel ist Nürnberg. Da ist dann wirklich erstmal Schluss, bis sich vielleicht irgendwann Zeit und Gelegenheit ergeben, weiter in Richtung Italien zu laufen. Wie gehabt will ich Euch wieder tagsüber und/oder am Abend mit WhatsApp-Nachrichten auf dem Laufenden halten, was zugleich mein Reisetagebuch ist, denn sicher wird es auch auf diesem Weg wieder so viel zu sehen und zu erleben geben, dass ich mir das nicht alles bis nach der Tour merken kann.

7.45 Uhr. Ich sitze in der S-Bahn, die mich zum Ostbahnhof bringt, wo ich in den RE 7 umsteige. Das ginge auch in Ostkreuz, aber es ist noch Zeit und am Ostbahnhof ist die Chance größer, noch einen Platz zu bekommen. Ich habe keine Vorstellung, wie voll der Zug ist. Laut DB-Auskunft ist er zumindest pünktlich.

8.00 Uhr. Der RE 7 nach Senftenberg, der mich nach Calau bringt, war pünktlich 7.56 Uhr am Ostbahnhof und ich habe problemlos einen Platz gefunden. In Calau (an 9.14) habe ich dann fünf Minuten Zeit, um in den RE 10 nach Leipzig umzusteigen. In Leipzig (an 10.50) sind dann nur vier Minuten Zeit, um die RB 13 nach Hof zu bekommen. Die Umsteige­zeiten sind an sich schon sportlich, nun zeigt die DB-Seite aber für die ersten beiden Züge bereits ein bzw. drei Minuten Verspätung am Ziel an, jeweils trotz pünktlicher Abfahrt. Die Hinfahrt, bei der ich mit dem Deutschland-Ticket wieder auf Regionalbahnen angewiesen bin, erweist sich also mal wieder als spannend. Das war aber eigentlich nicht anders zu erwarten. Es wäre allerdings sehr ärgerlich, wenn ich wesentlich später als geplant um 13.26 Uhr in Hof wäre, denn ich will dann noch die erste Etappe (ca. 21 km) nach Helmbrechts laufen, wo ich mein Kommen für 19 Uhr angekündigt habe. Bald danach wird dann ja auch schon dunkel.

Lt. Pilgerführer beträgt die Strecke Hof-Nürnberg 184 km, wofür neun Tage veranschlagt sind. Ich habe die Etappen so gelegt, dass ich mit einem Tag weniger auskomme und (theoretisch) die erste und letzte Etappe zusammen mit der An- bzw. Abreise schaffe.

8.20 Uhr. Das für heute Geplante wird sich vermutlich schwer umsetzen lassen, da der Zug wegen Stau auf der Strecke bereits eine Weile rumsteht. Es ist bei jeder Fahrt das Gleiche: die Züge fahren zwar in kurzem Abstand, haben dann aber im Berliner Umland Verspätung, weil zu viel Verkehr ist. Ich weiß nicht, wieviel Puffer man bei jedem Umsteigen einplanen muss, um seine Verbindungen zu schaffen. Trauerspiel Bahn!

Wie hier in Deutschland leider notwendig, habe ich mir vorab Quartiere für alle Etappen reserviert. Hier kann man nicht so spontan eine Herberge ansteuern wie in Spanien oder Portugal. Solche Herbergen findet man hier eh kaum, stattdessen ist man auf Unterkünfte in Kirchengemeinden, Jugendheimen usw. angewiesen, wenn man Pensionen und Hotels umgehen will. Da muss man schon ein paar Tage vorher anrufen oder Emails schicken, da die Ansprechpartner, meist sind es die Pfarrsekretärinnen, oft nur schwer erreichbar sind. Aber ich habe es diesmal ziemlich schnell geschafft, für alle Etappen Unterkünfte zu finden: heute Abend in der Pilgerwohnung der evangelischen Kirchengemeinde Helmbrechts, morgen im Pilgerquartier des Klosters Marienweiher, am Freitag bei der evangelischen Kirchengemeinde in Bayreuth (wo mir sogar Frühstück versprochen wurde), am Sonnabend im Pfarrhaus von Lindenhart, wo mir die junge Pfarrersfamilie Abendbrot und Frühstück in Aussicht gestellt hat, dann in Stierberg bei Betzenstein im Landgasthof Fischer, wo es ein richtiges 12-Betten-Pilgerquartier gibt, am Montag im katholischen Pfarrhaus von Weißenohe und am Dienstag in einem zur Ferienunterkunft ausgebauten Bauwagen in Kalchreuth. Von dort geht es dann am Mittwoch nach Nürnberg (ca. 17 km) und mit dem Zug nach Hause.

Morgen und übermorgen ist ein bisschen Regen angesagt, ansonsten soll das Wetter schön sein. Temperaturen um 20 Grad - das ist zum Wandern perfekt. Ich hoffe nur, dass es nachts nicht so kalt ist, da nicht abzusehen ist, ob alle oben genannten Quartiere beheizt sind. Ich habe schon mal im März auf einer Couch im Pfarrbüro mächtig gefroren, weil da zum Büroschluss nachmittags um vier oder fünf die Heizung abgeschaltet hat.

9.00 Uhr. Aus dem „verspäteten vorausfahrenden Zug“ ist jetzt ein „defektes Stellwerk“ geworden. Die Verspätung beträgt nunmehr zehn Minuten und die DB-Webseite gibt ihr Bedauern kund, dass ich den Anschluss vermutlich nicht schaffen werde.

9.30 Uhr. Auf die Bahn ist doch Verlass! Mein Zug kam zwar zehn Minuten zu spät in Calau an, aber der Zug nach Leipzig hatte auch acht Minuten Verspätung, so dass ich sogar noch drei Minuten auf dem plötzlich vollen Bahnsteig warten musste. Ich bin nämlich längst nicht der Einzige, der diese Streckenführung von Berlin nach Leipzig gewählt hat. Vermutlich waren alle hier Umsteigenden mit einem 49-Euro-Ticket (Deutschland-Card) unterwegs. Nun kann ich nur hoffen, dass es auch in Leipzig mit der Verspätung des Anschlusszuges klappt.

Zu meinen Quartieren wäre noch eine Kuriosität nachzutragen: Vor ein paar Tagen habe ich im Internet auf einer Karte mit den Standorten aller deutschen Pilgervereine veraltete Angaben zum Berliner Pilgerverein entdeckt und der vermeintlichen Webmasterin die aktuellen Angaben geschickt. Diese Email ist beim Fränkischen Pilgerverein auf dem „Schreibtisch“ des Pfarrers im Ruhestand Michael Thein gelandet, der einst die Karte erstellt und nun anhand meiner Angaben aktualisiert hat. Er fragte nochmal zurück, ob die gemachten Änderungen korrekt sind, und ich konnte ihm anbieten, das am Sonnabend beim Frühstück zu besprechen. Er ist nämlich in Bayreuth der Pilgerbeauftragte, der für mich das Pilgerzimmer reserviert und mich zum Frühstück eingeladen hat. Mein Name ist also doch nicht so ausgefallen, dass man gleich stutzig werden muss.

11.00 Uhr. Bei Ausflügen wie diesen muss man immer mit der Sturheit der Sachsen rechnen. Unser Zug hatte seine Verspätung auf vier Minuten reduziert - Ankunft 10.54 Uhr in Leipzig. Das ist genau die Abfahrtzeit des RB 13. Ich hatte schon herausgefunden, dass dieser von der anderen Seite des Bahnsteiges fährt, so dass ich mich nicht an die Zugspitze vorarbeiten muss, um zu diesem Zug zu gelangen. Ich brauchte nur einen guten Platz an der Tür. Den hatte ich auch, aber genau in dem Moment, in dem unser Zug einfuhr, fuhr der Zug auf dem Nachbargleis raus. Toll. Wenn die Bahn schon mal pünktlich sein will, dann ohne Rücksicht auf Verluste. Derer gab es einige, denn viele schauten wie ich ungläubig dem ausfahrenden Zug hinterher und sitzen jetzt mit mir im Zug nach Chemnitz (ab 11.22 Uhr), um von dort nach Hof zu kommen. So ist man nur eine Stunde später als geplant in Hof (14.32 Uhr), mit dem nächsten direkten Zug wären es zwei Stunden.

Der RE 6 nach Chemnitz ist ein ziemlich in die Jahre gekommener Dieseltriebwagen, in dem man vergeblich nach einer Steckdose sucht. Hier wird der ganze Strom für das dusslige Gepiepe beim Schließen der Türen gebraucht. Da die Tür nach jedem Einsteigenden auto­matisch schließt, wird das Gebimmel wohl erst aufhören, wenn der Zug abfährt. Dann bleibt nur noch das Gedröhne des Dieselmotors.

11.25 Uhr. Der Zug ist pünktlich abgefahren und hat es immerhin schon bis aufs Bahnhofs-Vorfeld geschafft, wo er nun in der Sonne rumsteht. Theoretisch sind in Chemnitz 27 Minuten Umsteigezeit. Mal sehen, wieviel davon bleibt. Kaum hatte das Gebimmel der Türen aufgehört, ging eine krächzende Lautsprecherdurchsage los. Was die Dame gesagt hat, war nicht zu verstehen. Das klang wie eine Ansage im Flugzeug - kurz nach dem Absturz.

11.30 Uhr. Nun rollt der Zug. Wenn der Sprit reicht, stehen die Chancen gut, dass er es bis Chemnitz schafft.

12.00 Uhr. Zur Abschreckung für alle, die nur zum Pinkeln mit der Eisenbahn fahren, war hier im Zug nach Chemnitz die einzige Toilette zu. Ein nebenstehender Schrank mit Rollladen, hinter dem sich vermutlich ein Fahrkartenautomat befindet, ist mit Klebeband verschlossen. Als die Schaffnerin durchkam und ganz penibel bei Deutschland-Card-Inhabern nach dem Ausweis gefragt hat, habe ich sie gebeten, mir doch die Öffnungszeiten der Toilette mitzuteilen, während ich im Rucksack nach meinem Ausweis suche. Feste Öffnungszeiten gibt es zwar nicht, aber „Pinkeln on demand“ ist möglich. Das heißt, wenn man Bedarf anmeldet, wird einem aufgeschlossen. Da soll mal einer sagen, die Bahn (in diesem Fall die Mitteldeutsche Regiobahn MRB) hat keinen Service zu bieten. Erleichtert genieße ich jetzt die Fahrt durch Sachsen.

Apropos „Erleichtert“. Gar nicht erleichtert hat sich mein Rucksack. Im Gegenteil, der ist (ohne Proviant) mit 6,3 kg fast ein Pfund schwerer als bei der letzten Tour. Ich weiß nicht warum, und beim wiederholten Durchwühlen habe ich nichts gefunden, was jemand heimlich in meinen Rucksack getan haben könnte. Als einzige gewichtige Unterschiede fallen mir nur der größere Akku, zusätzlich je ein T-Shirt und ein Schlüppi sowie die letztens vergessene Jakobsmuschel ein. Aber das macht zusammen vielleicht 200 Gramm aus. Seltsam. Warum so schwer? Gewaschen ist alles.

13.30 Uhr. Der Zug war pünktlich in Chemnitz und der Anschlusszug fuhr zur rechten Zeit. So sollte es sein. Schade, dass man solche Ausnahmefälle extra erwähnen an muss. Die Landschaft, die hier an den Fenstern vorbeigeschoben wird, ist ganz nett. Die Berge, die ja eher was fürs Auge als für die Beine sind, werden zwar häufiger, sind aber erklimmbar, wie ich vor zwei Wochen festgestellt habe. Zwickau und Reichenbach, wo wir gerade durch­gekommen sind, lagen doch auf meinem Weg von Leipzig nach Hof.

Jetzt müsste gleich die Göltzschtalbrücke, die mit den 26 Millionen Ziegeln, kommen.

Ja, das war sie. Da es dort mit ungeminderter Geschwindigkeit rüber geht, nimmt man die gar nicht wahr, wenn man nicht aus dem Fenster schaut und sich über das weite, tiefe Tal auf beiden Seiten wundert. Ich habe sogar die Stelle im Tal erkannt, bis zu der ich laufen musste, um die Brücke halbwegs komplett vor die Linse zu bekommen.

Als Nächstes kommt jetzt hinter Jocketa die total eingerüstete Elstertalbrücke. Der Zug bremst schon ab, weil er hier nicht mit voller Geschwindigkeit rüber darf. Die Strecke ist momentan eingleisig und nebenan wird gearbeitet. Auch hier wieder ein fantastischer Blick in ein weites Tal, diesmal mit der Weißen Elster mittendrin.

14.00 Uhr. Jetzt ist Halt in Plauen. Noch eine halbe Stunde, dann bin ich in Hof. Ich muss nachher einen ordentlichen Schritt vorlegen, um noch im Hellen in Helmbrechts anzu­kommen. Ich melde mich deshalb erst wieder heute Abend.

21.00 Uhr. Ich bin vor einer guten Stunde in Helmbrechts in meinem Quartier angekommen. Ob „gut“ kann ich erst morgen sagen, da mir ein Fuß Probleme bereitet. Es ist das rechte Sprunggelenk, dass ich mir vor knapp dreißig Jahren bei einem Kellersturz lädiert habe und mit dem ich seitdem das Wetter vorhersagen kann. Da mir wegen dem in Leipzig verpassten Anschluss eine Stunde fehlte, bin ich ab Bahnhof Hof recht zügig gelaufen und war am Stadtrand ganz stolz, dass ich weit über 5 km/h geschafft habe. Da habe ich aber auch gemerkt, dass ich dabei den angeschlagenen Fuß etwas überanstrengt habe. Der tat plötzlich beim Auftreten weh. Vielleicht wollte das Sprunggelenk gerade die Wetterprognose für morgen durchgeben, als ich mal etwas kräftig aufgetreten bin. Ich weiß nicht. Vermutlich sollte man sich auch in Eile nicht dazu verleiten lassen, die Gangart zu ändern.

Auf jeden Fall war das Laufen ab da eine ziemliche Tortur. Aber Zeit für lange Pausen und langsamere Schrittfolge war nicht drin. Letztlich habe ich lt. Komoot die 21,7 km in knapp viereinhalb Stunden geschafft und war inklusive Einkaufen kurz vor halb acht hier. Den Hausmeister hatte ich informiert, dass es später als 19 Uhr wird. Der sagte, dass dies nichts macht, da ja um sieben eine Friedensandacht ist und der Pfarrer mir danach aufschließen kann. Das hat er dann auch gemacht und mir die Pilgerwohnung im Dachgeschoss des Pfarrhauses gezeigt. Da gibt es zwei recht ordentliche 2-Bett-Zimmer, eins davon mit einer gemütlichen Sitzecke und einem bemalten Holzschrank von 1742. Das habe ich gewählt - ich bin ja allein und habe freie Wahl. Ich habe aber in der Meldeliste gesehen, dass in den letzten Tagen immer mal jemand hier war, gestern sogar zwei Pilgerinnen.

Ich habe mir gerade den im Netto erworbenen Salatmix wie in Spanien mit Paprikastreifen aufgewertet und halbwegs hungrig verschlungen. Ich hatte zwar in Chemnitz auf dem Bahn­hof einen ganz brauchbaren 5-Euro-Döner gegessen, aber der wäre bei uns als Kinderdöner durchgegangen.

Wenn ich mit dieser Nachricht fertig bin, werde ich mir im Bad die Wanne voll machen und dort Fuß und Körper erquicken. Der Pfarrer hat sich entschuldigt, dass zur Wohnung nur eine Toilette mit Waschbecken gehört und in dem Bad der leeren Wohnung gegenüber nur eine Badewanne mit Handdusche ist. Der weiß ja gar nicht, welche Freude er mir damit macht. Eine Küche gehört hier leider nicht zur Wohnung, aber der Pfarrer hat mir die zum Pfarrsaal gehörige Küche gezeigt, wo ich mir morgen früh einen Kaffee kochen kann. Da hätte ich mir sicher auch eine Tütensuppe machen können, aber jetzt bin ich satt und ich will deswegen auch nicht extra zwei Treppen runter und wieder hoch steigen.

Ich hoffe, Bad und Schlaf beruhigen den Fuß wieder, sonst muss ich morgen als erstes in die Apotheke am Markt und mir da Voltaren holen - ausgerechnet dieses Mal habe ich das nicht dabei.

Via Imperii - Hof-Helmbrechts