Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von San Sebastian nach Zarautz

Tag 2 (Dienstag, 7.3.2023) von San Sebastian nach Zarautz

Die beiden Damen aus dem China-Restaurant hätten ihre helle Freude gehabt, wenn sie mich und ihre „Spicy Soup“ heute früh auf dem Klo erlebt hätten. Aber lassen wir das. In Bett 13 habe ich sehr gut geschlafen. Da das in einer Nische stand, habe ich von den anderen nichts mitbekommen. Die vier unteren Betten sind nämlich noch voll geworden. Ich habe gestern Abend und heute Früh meinen Altersbonus ausgespielt und die Behinderten-Dusche benutzt, in der man sogar die Arme ausstrecken konnte und notfalls hätte sitzen können. Genossen habe ich auch, dass man mal seinen Schlafsack nicht aus- und wieder einrollen musste und dass die Putzfrau gestern bei der Ankunft singend mit dem Besen in der Hand durch die Räume gezogen ist. Und das alles für 19 €.

Kurz nach sieben, als es langsam hell wurde (Sonnenaufgang 7.34 Uhr), bin ich los - durch die Innenstadt und dann entlang des langen Strandes. Erst nach einer Stunde habe ich am Ende des Strandes ein offenes Restaurant gefunden, wo ich meinen „Café con leche“ be­kommen habe. Was die Schilder mit der Jakobsmuschel zusammen mit dem Wort „Mont …“ bereits vermuten ließen: es ging dann bergauf, zunächst ziemlich steil auf Treppen vorbei an noblen Wohntürmen mit Swimmingpool und dann auf engen Pfaden. Man hätte auch mit einer Seilbahn hochfahren können, aber das ist unsportlich. Auf etwa 200 Meter Höhe führte schließlich der Weg am nördlichen Hang einer Bergkette durch weit auseinander gezogene Siedlungen. Er verläuft da überwiegend auf der Straße, welche die vereinzelt liegenden Gehöfte verbindet, und bietet fast durchgehend Meeresblick.

Auf der Mitte des Weges ist eine Gaststätte eingezeichnet, aber die hat leider zu. Trotzdem hatte sie eine schöne Überraschung zu bieten, denn davor saß Marina, die mich gar nicht kommen gesehen hat. Sie war gestern erst essen und ist dann in einer Pension irgendwo in San Sebastian untergekommen. Sie hat sich dort aufs Bett gelegt und halb acht schon geschlafen. Der Tag war doch ziemlich anstrengend. Als ich meine Befürchtung äußerte, dass sie vielleicht aufgibt, war sie ganz entrüstet. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. Wenn es nicht anders geht, wird sie mal den Bus nehmen, aber aufgeben wird sie nicht! Ein Stück weiter haben wir eine junge Koreanerin getroffen, die gerade Pause gemacht hat. Sie ist auch in Irun gestartet und heute früh in San Sebastian losgelaufen. Wir sind zu dritt ein Stück des aus nur grob behauenen Steinen bestehenden Weges gelaufen, dann wurden daraus wieder drei Einzelkämpfer: vorneweg die sportliche Koreanerin, dahinter ich und ein Stück zurück Marina - bergauf, denn bergab hat sie mich immer überholt. Ich bin auf dem holprigen Weg schon so oft umgeknickt, dass ich nur noch sehr langsam bergab laufe. In Orio angekommen, haben sich unsere Wege getrennt. Die Koreanerin ist verschwunden, Marina ist auf dem Weg zur Bushaltestelle und ich warte in einer Kneipe darauf, dass der eingesetzte Regen etwas schwächer wird. Aber bald werde ich trotz Regen raus müssen, denn bis zum Tagesziel Zarautz sind es noch gut 8 km.

So ein Bier bewirkt doch Wunder. Kaum war das Glas leer, hatte der Regen soweit nachgelassen, dass man sich ohne Poncho raus trauen konnte. Vor mir habe ich den jungen Franzosen aus der Herberge in Irun über die Brücke laufen sehen. Der hat also doch nicht in San Sebastian „gechillt“, wie ich vermutet hatte. Die schöne Stadt wäre ein guter Grund gewesen. Er lief aber so schnell, dass ich ihn nur unter Verzicht aller Foto-Stopps eingeholt hätte. Na, wir treffen uns noch. Die Etappenziele sind ja durch die Herbergen oder Hostels vorgegeben. In Zarautz gibt es gar keine Herberge, hier muss man ein Hostel nehmen. Die nächste Herberge wäre vier Kilometer weiter in Getaria, aber die macht erst am 1. April auf.

Kurz vor Zarautz habe ich Sarah, eine etwa dreißigjährige Belgierin getroffen, bepackt mit einem prallen Rucksack und einer Umhängetasche, aus der zwei Baguettes ragten. Ich habe gleich gelästert, ob die das Catering für die Pilger macht. Aber das war ihr Eigenbedarf, von dem sie mir aber gleich was angeboten hat. Sie ist auch keine Pilgerin, sondern macht einfach eine Woche Urlaub im Baskenland, ohne feste Route, sondern so wie es kommt. Ihr Beruf ist Bibliothekarin, was sie mir gleich sympathisch macht, und sie spricht ganz gut Deutsch. Plaudernd sind wir den Berg runter nach Zarautz gelaufen und haben am Ortseingang in unseren Listen nach einer Unterkunft gesucht. Bei mir stand auf der Pilgerseite gronze.com das „Zarautz Hostel“ als preiswertestes ganz oben und bei ihr tauchte es auch auf. Und da ein Schild an der Straße darauf verwies, dass es gleich auf der anderen Straßenseite an einer Tankstelle liegt, sind wir dort hin. Aufs Klingeln hat keiner reagiert, aber dann fuhr ein Auto vorbei, aus dem jemand bedeutungsvoll winkte. Der Wirt. Der hat uns offenbart, dass die 25-Euro-Betten im 6-Bett-Zimmer alle belegt seien, er aber noch 27-Euro-Betten in einem 4-Bett-Zimmer hätte. Hier war es mir ein Leichtes, den Preis auf 25 € runterzuhandeln und wir haben jetzt in einem recht großen Raum, der sich idealerweise durch eine Schiebetür halbieren lässt, jeder das Unterteil eines Doppelbetts.

Ich habe wie üblich nur mein Gepäck angestellt und bin los, während Sarah sich in die sehr ordentliche Küche mit Aufenthaltsraum begeben hat, um dort erst was zu essen. Bestimmt werden wir uns irgendwo in der Stadt, die mit einem langen Strand nebst Promenade und drei parallel verlaufenden Straßen aufwarten kann, über den Weg laufen. Nun habe ich bereits etwas Stadtbesichtigung hinter mir und schon ordentliche Wellen mit Surfern oben drauf gesehen. Ich werde mich jetzt wieder auf die Suche nach einem Restaurant mit Muscheln im Angebot machen. Zarautz stellte sich beim Stadtbummel größer dar, als angenommen. Es gibt eine breite, fast durchgängig bebaute Strandpromenade und drei parallel dazu verlaufende Straßen, die am westlichen Ende der Stadt in einem Wirrwarr kleiner Gassen enden. Das ist die Altstadt von Zarautz. Bis auf ein paar wenige mittelalterliche Bauten ist die aber nicht wirklich alt - aber schön und ziemlich geschäftig. Da gibt es viele kleine Geschäfte und jede Menge Gaststätten und Bars. Hinter der dritten genannten Hauptstraße verläuft eine Regionalbahnlinie und dahinter gibt es Neubauviertel, die sich bis zur Autobahn hinziehen.

Im Gegensatz zu gestern in San Sebastian war heute hier mächtig Wellengang und einige Surfer haben sich mit den Wellen angelegt. Nicht jede Welle hat auf sich reiten lassen und stattdessen den Surfer durch die Luft gewirbelt. Eigentlich hätte man da eine ganze Weile zuschauen können, aber es war ziemlich windig und eine Gischt wehte über die Promenade und hat die Zuschauer schnell durchnässt. Um 18 Uhr, wenn bei uns fast überall die Rollläden runtergelassen werden, hat hier ein mittelalterlicher Wohnturm mit einer sehens­werten Ausstellung aufgemacht. Es ging um die frühere Gartengestaltung in Zarautz. Auf Luftbildern von 1957 war zu sehen, dass nur einzelne Häuser am Strand standen und dass hinter diesen große Gärten waren, in denen einzelne, mitunter recht noble Häuser befanden. Da war nichts von einer durchgängigen Bebauung auf beiden Straßenseiten zu erkennen. Interessant zu sehen.

Aus einem Muschelessen ist heute wieder nichts geworden. Ich habe nirgendwo auf einer Speisekarte Muscheln entdeckt oder welche auf einem Teller gesehen. Mit den Speisekarten, zumindest mit den vor den Bars aufgestellten Tafeln, auf denen mit Kreide die Angebote geschrieben sind, hat unsereins ein Problem, denn kaum ein Wort versteht das Über­setzungsprogramm. Kein Wunder, das ist Baskisch … und das hat noch viel weniger mit Spanisch zu tun, als Bayrisch mit Deutsch. Die Bayern haben ja wenigstens ein paar deutsche Vokabeln übernommen. Wie glücklich war ich da, als ich vor einer vertrauens­erweckenden Bar eine mehrsprachige Speisekarte gefunden habe. Da war zwar kein Deutsch dabei, aber wenigstens Englisch. Schnell habe ich da was gefunden und bin kurz vor sieben freudestrahlend mit der Nummer des Gerichtes auf der Lippe in den Laden gestürmt. Ein böser Blick des Wirts und eine kurze Erklärung in Form von 8 hochgesteckten Fingern haben mich wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Um sieben hat ein tapferer Spanier noch keinen Hunger. Da müssen sich auch die Teutonen mit abfinden. Zwar habe ich mich schon mit vielen Besonderheiten dieses Landes abgefunden, aber nicht mein Magen. Wenn der knurrt, will er was zu essen und nicht die Uhr erklärt haben. Also bin ich reumütig in den Dönerladen, um den ich am Nachmittag wiederholt einen Bogen gemacht habe, weil ich mal was anderes essen wollte. Hier gab es aber ohne Zeitvorgabe etwas auf den Teller, das satt macht und sogar etwa wie das geschmeckt hat, was wir als Döner kennen. Bis auf das Brot, das dünn und trotzdem nicht richtig durchgebacken war. Gerade so vor dem Verhungern gerettet bin ich mit einem Stinkefinger (gut versteckt in der Hosentasche) an dem Wirt vorbei gezogen, der mich noch über eine Stunde hungern lassen wollte.

Nun sitze ich mit einer Büchse einheimischen „Keler“-Bier (nicht „Kellerbier“) im Hostel und staune, dass auf der Büchse mehrmals mein Name erwähnt wird. Laufend ist da von Benedikt die Rede und ich vermute nun, dass das Bier extra für mich gebraut wurde. Und ich Trottel weiß das nicht! Jetzt ärgert es mich wirklich, dass ich vorhin im Supermarkt, als ich noch etwas Nachtisch zum Döner besorgt habe, nur eine Büchse genommen habe.

Camino del Norte - Tag 2