Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Zarautz nach Deba

Tag 3 (Mittwoch, 8.3.2023) von Zarautz nach Deba

Trotz der warmen Steppbetten, die der Wirt abends noch verteilt hat, bin ich nachts aufgewacht, weil mir kalt war. Da habe ich aber gesehen, dass nicht nur die Tür zum Flur, sondern auch die zum kalten Treppenhaus offen stand. Als beide geschlossen waren und ich den Pullover anhatte, war alles gut. Umso erstaunter war ich, als mir beim Öffnen der Haustür warme Luft entgegen schlug. Die eiligst befragte Wetter-App verkündete für Zarautz 16 Grad - und das kurz nach sieben! Den Haken an der Sache habe ich schon an der nächsten Ecke mitbekommen: es blies ein ordentlicher Wind. Der hat dicke Wolken in Richtung Meer getrieben, aber trotzdem hat es die Sonne geschafft, kurz nach dem Aufgang mal durch eine Lücke zu blinzeln und die Strandpromenade etwas zu beleuchten.

Von Zarautz ging es auf einem breiten Fußweg entlang der Nationalstraße in mehreren Kurven immer am Wasser entlang nach Getaria. Der Gehweg ist gefliest und durch Barrieren von der Fahrbahn getrennt und zum Meer hin auf der ganzen, über 3 km langen Strecke mit einem Edelstahlgeländer versehen. EU-Mittel? Getaria ist ein hübscher Ort, obwohl er von der stark befahrenen Nationalstraße durchschnitten wird. Rechts ist auf einer Landzunge, die zu einem aus dem Meer ragenden Felsen führt, die Altstadt mit ein paar wenigen engen Gassen platziert. Die (offene!) Kirche mittendrin, San Anton, weißt in Grundriss keinen rechten Winkel und keine Parallelen auf. Hier ist so gebaut worden, wie auf dem felsigen Grund Platz war. Ein Weg zum recht betriebsamen Hafen führt in einem Tunnel unter der Kirche hindurch, in dem man sich heute wie in einem Windkanal vorkam. Als dann eine Böe Sand durch den Kanal blies, habe ich mit bedecktem Gesicht den Rückzug angetreten.

Auf der anderen Seite der Nationalstraße sind am Berghang 3…4-geschossene Neubauten und ein paar schöne alte Villen. Nach oben führen nicht nur Treppen, sondern auch (funktionierende!) Rolltreppen. Ab hier ging es dann wieder durch die Berge …

Zur Kirche in Getaria wäre noch nachzutragen, dass sich dort in einem Seitenaltar eine Darstellung des Heiligen Rochus findet. Die sieht man oft in spanischen Kirchen, hier habe ich ihn aber erstmals zusammen mit einem Engelchen gesehen. Sankt Rochus ist immer daran zu erkennen, dass er sein Gewand lüpft und auf eine Wunde am linken Oberschenkel zeigt. Neben ihm ist stets ein Hund zu sehen. Wer nun aber meint, der Heilige beklagt, dass ihn der Hund gebissen hat, hat weit gefehlt. Im Gegenteil, der Hund hat ihm das Leben gerettet. Rochus von Montpellier, wie er richtig heißt, hat Anfang des 14. Jahrhunderts Pilger auf dem Weg nach Rom betreut und sich vor allem um die von der Pest befallenen gekümmert. Als er sich dabei angesteckt hat, war er ohne Hilfe und hat sich in eine Höhle zurückgezogen. Dort ist er der Legende nach von einem Engel versorgt worden und ein Hund hat ihm täglich ein Brot gebracht. Deshalb ist der Hund immer mit dargestellt, manchmal wie hier mit einem Brot im Maul. Ein Engelchen, das seine Wunde versorgt, habe ich hier jedoch zum ersten Mal gesehen.

Aber zurück zum Weg. Noch in Getaria ging es steil den Berg hoch und dann immer knapp unter den Bergkuppen parallel zur Küste. Alles in etwa 200 Meter Höhe, was schöne Blicke auf die Küste oder deren Hinterland bot. Nicht spektakulär, aber schön. Das Wetter hat sich auch bis zum Mittag gehalten und zwischenzeitlich war sogar mal blauer Himmel. Aber es war so stürmisch, dass man sich kaum auf dem Weg halten konnte. Kurz vor Zumaia und dann im Ort nochmal habe ich Antoine aus Lannion in der Bretagne getroffen - letzteres unschwer an der Bretagne-Fahne am Rucksack zu erkennen. Ich beneide ihn um seine Herkunft, denn Lannion ist eine fast komplett mittelalterliche Stadt, die sicher schon in manchem Historienfilm als Kulisse gedient hat. Ich bin immer wieder begeistert, wenn uns Ausflüge im Urlaub dort hin führen.

In Zumaia läuft man um den Spaßhafen und eine kleine Werft herum, vor der gerade ein etwas größeres Schiff liegt, das der Beschriftung („edda wind / Siemens Gamesa / iberdrola“) nach beim Errichten von Offshore-Windparks Verwendung findet. Hier hätte man sich bestimmt noch manche Ecke anschauen können, aber es begann zu regnen. Ich habe in einer Bäckerei Zuflucht gefunden, in der es ein leckeres warmes Plunderstück zum Kaffee gab. Da der Nieselregen nicht aufhören wollte, bin ich irgendwann los. Ich verzichte jetzt mal auf das Rätsel, ob es bergauf ging oder nicht. „Bergauf“ wäre die Lösung gewesen. Wie üblich auf etwa 200 Meter und dann immer auf und ab auf meist sehr üblen und beim Regen schlüpfrigen Wegen. Wind und Nieselregen waren ständige Begleiter. Da kommt mittel­alterliches Pilger-Gefühl auf.

Von Zumaia nach Deba, meinem heutigen Quartier waren „8,5 km / 3 Std.“ ausgeschildert, also knapp 3 km/h. Und das war schon sehr sportlich, denn es galt nicht nur das Auf-und-Ab zu absolvieren, sondern auch mit den grob gepflasterten und bei Regen extrem rutschigen Wegen klarzukommen. Als es dann endlich mal tendenziell abwärts ging, stand völlig unerwartet eine Gaststätte am Wegesrand. Die war zwar geschlossen, hatte aber einen Getränkeautomaten vor der Tür. Da habe ich mutig 1,50 € eingeworfen und es kam tatsächlich eine Cola-Dose raus. Kaum hatte ich mich mit der auf die Bank gesetzt, kamen drei Hunde auf mich zugestürmt, die offenbar zum Gehöft gehörten. Der größte von ihnen, der nach Form und Fell von einem Bären abstammt, hat sich auf mich gestürzt, mit einem Zungenschlag Hose und Pullover vollgesabbert, sich auf meinen Schoß gekniet und mich zu küssen versucht. Als ich mich da wie eine alte Jungfer gewehrt habe, hat er zwar von mir abgelassen, dafür aber die neben mir stehende, noch nicht geöffnete Cola-Dose gegriffen und ist mit dieser im Maul abgehauen. Die beiden kleinen Hunde sind mutig bellend hinterher. Ich will ja niemand was unterstellen, aber mir kam schon der Gedanke, dass der Automatenbetreiber die Hunde so abgerichtet hat, dass er den Automaten immer wieder neu befüllen kann. Die Hunde sind schließlich genau in dem Moment herbeigeeilt, als es im Automaten lautstark Plumps gemacht hat. Zum Glück war genau noch eine zweite Cola-Büchse im Automaten und noch etwas Kleingeld in meiner Tasche, so dass ich die Prozedur nochmal durchziehen konnte, als die Hunde weit weg waren. Im Nachhinein war ich heilfroh, dass der Hund sich die Büchse und nicht mein Smartphone gegriffen hat. Das wäre ärgerlicher gewesen, zumal ich dem Hund nicht hätte auf Baskisch sagen können, dass ich das Ding noch brauche.

Nach einem ziemlich halsbrecherischen Abstieg in Deba angekommen, ging es auf einer Treppe in die untere Etage der Stadt, genauer gesagt in die sehr überschaubare Altstadt. Da ist ein ganz netter Markt, von dem in alle Richtungen enge Straßen führen, in denen aber nicht viel los ist. Durch einen Torbogen im Rathaus (?) bin ich zum Bahnhof gelangt, wo sich im Bahnhofsgebäude die Herberge befindet. In Erdgeschoss ist noch Bahnhofsbetrieb mit Fahrkartenautomaten und in den zwei Etagen darüber ist die Pilgerherberge mit insgesamt knapp 60 Betten. Als ich kam, waren gerade mal zwei Pilger da. Ein Spanier aus der Gegend von Alicante, genauer gesagt aus Guardamar bei Torrevieja, was manche aus der Familie kennen, und die junge Koreanerin, die mich heute mehrfach überholt hat. Zeitgleich mit mir kam noch ein Paar aus Lemgo, das für zwei Wochen hier in Nordspanien unterwegs ist und üblicherweise zeltet. Da hier aber ringsum eine Art Naturschutzgebiet ist, haben sie sich mal eine feste Unterkunft gesucht. Nach uns kam noch der junge Franzose, der so gern chillt. Und bei diesen 6 Leuten ist es geblieben. Wir werden jetzt dicht gedrängt in einem wirklich furchtbar kleinen 8-Bett-Zimmer nächtigen. Die anderen Räume sind gar nicht erst aufgeschlossen worden, weil dann morgen weniger sauberzumachen ist. Na, ich werde es überleben und mich morgen früh freuen, dass das nur 8 € gekostet hat.

Für 7 € habe ich heute übrigens Abendbrot gegessen. In der Gaststätte gegenüber, also quasi in der Bahnhofskneipe, gab es eine zweisprachige Speisekarte (Baskisch/Spanisch), auf der ich mit dem Übersetzungsprogramm Hühnchenflügel entdeckt habe. Die waren auch gut und knusprig, aber leider gab es nur ein paar Baguette-Scheiben dazu. Aber ich bin ja auf Diät …

Camino del Norte - Tag 3