Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Ziortza nach Pozueta

Tag 5 (Freitag, 10.3.2023) von Ziortza nach Pozueta

Wie unschwer am Sendedatum meines letzten Berichts zu erkennen ist, wurde es gestern noch spät, obwohl alle von den mehr als 30 km über die Berge ziemlich ausgelaugt waren. Antoine, der vermutlich aus Kostengründen die vorangegangene Nacht kurz vor Deba unter dem Vordach einer Kapelle zugebracht hat, begrüßte mich gleich mit „Ich habe Dir ein Bier mitgebracht“. Und auch für Manuel hatte er ein „San Miguel“ übrig. Quentin (Hat das schon mal jemand ausgesprochen gehört? Ich musste es mir aufschreiben lassen.) holte dann noch eine große Flasche Schnaps und eine kleine Cola aus dem Rucksack. Damit haben sich die Jungs was fifty-fifty gemischt und es blieb trotzdem noch ein ordentlicher Schluck übrig, welchen sie den Klosterbrüdern respektive nachfolgenden Pilgern ins Gefrierfach legten. Da lag auch schon eine vergessene Kompresse. Wenn sich jemand den Kanten allein reindreht, kann er morgens die Kompresse auf die schmerzende Stirn legen.

Das Gespräch, dass sich nach dem Abendbrot entwickelte, war ganz witzig: Manuel, bei der Stadtverwaltung von Alicante für die Kultur zuständig, spricht nur Spanisch. Antoine kann neben Französisch etwas Spanisch, Quentin spricht neben Französisch sehr gut Englisch und ich spreche bekanntlich neben mangelhaftem Deutsch nur bruchstückhaft Englisch. Wenn Manuel mir was mitzuteilen hatte, dann ging das auf Spanisch an Antoine, von dem auf Französisch an Quentin und von diesem auf Englisch an nicht. Die Antwort dann verständlicherweise in umgekehrter Richtung. Das war wie „Stille Post“, nur halt etwas lauter.

Ich hab‘ ganz gut geschlafen, was aber sicher an der körperlichen Anstrengung und nicht an den Betten lag. Antoine ist kurz nach sieben los, wir drei Verbliebenen haben noch ordentlich gefrühstückt. Das Baguette, das uns der Mönch an Abend gebracht hatte, war noch gut brauchbar und im Schrank fand sich außerdem leckerer spanischer Zwieback. Im Kühl­schrank stand Marmelade und Margarine, wegen der der Mönch gestern extra nochmal zurück gelaufen ist. Im Regal war löslicher Kaffee und im Kühlschrank Milch. Zusammen mit dem gekochten Schinken aus meinem Bestand ergab das ein köstliches Frühstück. Danach haben wir abgewaschen, aufgeräumt und eine ordentliche Spende in den Briefkasten an der Wand getan.

14.00 Uhr. Nach knapp 6 Stunden und 18 km durch die Berge endlich die erste Einkehr­möglichkeit. Man fühlt sich (wenn man die Berge wegrechnet) wie in Brandenburg. Es ging öfter mal an einem reißenden Bach entlang und immer wieder traf ich auf ehemalige Mühlen. Vom Kloster ging es zunächst ziemlich übel bergauf. Die felsigen Wege sind morgens auch dann nass, wenn es nicht geregnet hat. Da fliegt man auch oder gerade dann hin, wenn man schwere Schuhe mit Traktorsohle hat. Bei mir hat’s immerhin 200 Meter gedauert. Aber das macht nichts, denn ich habe schon vorm Losgehen mit Manuel verabredet, dass wir uns am Abend in der Herberge eine Waschmaschine teilen. Wo er sich gerade rumtreibt, weiß ich nicht. Er müsste noch hinter mir sein, denn er wollte sich heute früh noch die Kirche anschauen, die ich gestern Abend schon besichtigt habe. Es ist ein ziemlich einfacher, nicht großer, aber recht hoher Bau aus Naturstein. Mir ist aufgefallen, dass hier nicht einmal der Chor verputzt ist, sondern der helle, nur grob behauene Sandstein bis zum Gewölbe reicht. Davor steht ein hoher, sehr bunter und teilweise auch vergoldeter Altar mit mehreren Bildern und einigen Figuren. Darunter auch St. Rochus nebst Engel. Einen Jakobus habe ich nicht gesehen. Bei der Komplet gestern Abend haben die Mönche erst bei beleuchteter Kirche auf dem Chorgestühl mit Blick zu dem von mir vertretenen Volk gesessen. Dann haben sie sich stehend mit dem Rücken zu mir als Volk vor dem Altar aufgestellt. Das Licht ging aus und nur ein Spot beleuchtete das Altarbild. Dazu der ins Ohr und Herz gehende Gesang. Das war sehr stimmungsvoll.

Sehr eindrucksvoll waren heute die ordentlichen, sogar mit Geländer versehenen Holz­treppen mit insgesamt über 300 Stufen, auf denen es nach den ersten Berg hinunter nach Munitibar ging. Die folgenden Wege waren nicht so komfortabel und sehr matschig. Da, wo immer Wasser den Weg kreuzt, hat man aber freundlicherweise große Steine über den Wasserlauf gelegt oder sogar Brückchen gebaut. Beeindruckend war Mendieta mit seiner einfachen, aber markanten Kirche, die nur einen kleinen quadratischen Turm besitzt aber auf zwei Seiten von einer großen Vorhalle umgeben ist. Der Weg führte so um das Dorf herum, dass man die Kirche von oben und von unten sowie aus allen vier Himmelsrichtungen bestaunen konnte.

Jetzt bin ich in einem Vorort von Gernika angekommen, jener Stadt, die 1937 im spanischen Bürgerkrieg von der deutschen Legion Condor grundlos zerbombt wurde. Vermutlich ist hier der spätere Luftkrieg geübt worden. Bei einem Brand infolge der Bombenabwürfe sind viele hundert Zivilisten umgekommen. Picasso hat diese Schrecken des Krieges in seinem Bild „Guernica“ darzustellen versucht. Auch wenn es mich reizt, bis zum Ladenschluss in der Taverne zu bleiben, werde ich gleich aufbrechen und mich noch etwas in der Stadt umsehen, bevor ich mich zu der etwa 5,5 km entfernten Herberge in Pozueta aufmachen, wo ich mich mit Martin und Quentin verabredet habe.

Eine Besichtigungstour durch Gernika zu machen, hat nicht gelohnt. Es ist fast alles Neubau und in dem alten, wiederaufgebauten Viertel rings um das Touristenbüro gab es nicht viel zu sehen und war es am frühen Nachmittag auch ziemlich tot. Sämtliche Kultur geht erst um 17 Uhr wieder los. Das Museum war also zu und auch die Kirche geschlossen. Da bin ich gleich weiter. Ihr könnt raten, ob es dabei hoch oder runter ging. Eine kleine Hilfestellung: Gernika liegt 23 Meter über dem Meeresspiegel.

Jetzt sitze ich frisch geduscht und elegant gekleidet (frische Hose) vor der Herberge in dem kleinen Weiler Pozueta, wo ich Quartier genommen und auch Abendessen bestellt habe (15+10 €). Auf das süße Frühstück verzichte ich mal, dann bin ich auch nicht zeitlich gebunden. Wir sind wieder nur zu viert: außer mir nur Manuel, Quentin und ein Deutscher, der im Garten sitzt und dem ich bisher nur zugewunken habe. Der Wirt, der gut Englisch spricht, ist sehr nett und hat sogar Bier im Kühlschrank. Er ist aber auch geschäftstüchtig und hat uns angeboten, für morgen bei einem Bekannten in Bilbao Betten zu reservieren, weil doch Wochenende ist und Hotelbetten knapp sind. Das kann ich nicht so recht glauben. Ich habe abgelehnt, denn ich muss erstmal sehen, ob ich so weit komme, denn das wäre der Rest der Etappe mach Lezama (ca. 14,3 km) und die nächste, allerdings kurze Etappe nach Bilbao (11 km) zusammen. Das klingt nicht viel, aber ich habe gelernt, dass Entfernungs­angaben allein hier nicht viel wert sind. Außerdem sind in der Herbergsliste für Bilbao jede Menge Hostels, die unter 20 € kosten. Da wird doch wohl was zu finden sein.

Heute kam von meinen Lesern der Wunsch auf, immer mal eine Landkarte mitzuschicken. Das ist möglich, aber mancher will vielleicht nur sehen, wie weit ich schon gekommen bin, ein anderer will das eventuell viel detaillierter wissen. Ich werde mal zur Probe abends meinen Standort schicken, da kann jeder rein- oder raus-zoomen, wie es ihm beliebt. Zum Streckenverlauf, zur groben Etappenplanung und zum Herbergsangebot sei auf gronze.com verwiesen, wo ich mich selbst orientiere. Da kann man auch (mit dem Link unter der Karte) das Streckenprofil einsehen und nachvollziehen, warum ich mal mehr und mal weniger stöhne. Da wir schon mal bei der Bürgerfragestunde sind: es kam die Frage nach der Ausschilderung des Weges auf. Die ist hervorragend und ich habe bisher jeden Abzweig richtig gewählt. Es stehen in ziemlich dichtem Abstand hölzerne Stelen mit einem Pilgersymbol, einem Pfeil in die richtige Richtung und dem Zweizeiler „Bonejakue Dibea / Camino de Santiago“. Ersteres ist Baskisch (offiziell „Euskara“) und „Bonejaku“ heißt vermutlich „Sankt Jakobus“. Außerdem haben irgendwelche Jakobsweg-Freunde an allen möglichen Bäumen, Laternen, Hausmauern usw. und mitunter auch auf der Straße gelbe Pfeile aufgemalt. Und auf den hölzernen Wegweisern, die zu den nächsten Orten führen, ist natürlich auch der Jakobsweg ausgewiesen. Die Online-Karte habe ich bisher nur gebraucht, um mich selbst zu loben, wie weit ich schon gekommen bin, oder um mich zu ärgern, dass es nicht richtig voran geht, was viel öfter der Fall ist.

21.15 Uhr. Wir sind gerade mit dem Abendessen fertig, das sehr gut und reichlich war: eine Nudelsuppe, von der jeder zwei Teller bekommen hat, einen Thunfischsalat mit jeder Menge Grünzeug, Oliven etc. drum rum und dann jeder zwei kleine Schnitzel mit eingelegter Paprika. Als Nachtisch gäbe es normalerweise einen einheimischen Likör, der aus Beeren eines Busches gemacht wird. Aber im vorigen Jahr war die Ernte so schlecht, dass man gar keinen Likör ansetzen konnte. Als Ersatz gab es eine Platte mit Mandarinen und Weintrauben. Da die zweite Karaffe Wein für uns vier noch nicht alle ist, kann ich leider noch nicht ins Bett. …

Camino del Norte - Tag 5