Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Pozueta nach Bilbao

Tag 6 (Samstag, 11.3.2023) von Pozueta nach Bilbao

Ich habe die letzte Nacht ganz gut geschlafen, was wohl auch am „Vino Tinto“ lag. Halb sieben bin ich raus aus dem Bett und um viertel acht los. Das Packen hat etwas gedauert, weil ich zur Schonung meiner Kameraden kein Licht anmachen wollte. Die hatten sich nämlich erst zu acht Frühstück bestellt und schlummerten noch. Im nächsten Ort habe ich hinter der kleinen Kapelle ein winziges Einmann-Zelt entdeckt und an dem daneben stehenden Wanderstock erkannt, dass da Antoine drin steckt. Der nette Kerl ist mit wenig Geld unterwegs und spart, wo er kann. Aber wann immer man ihn trifft, bietet er einem etwas zu Trinken oder zu Essen an. Einige Kilometer später hat er mich dann eingeholt und ich habe ihn im nächsten Ort (Larrabetzu) auf ein Bier eingeladen. Das hat er zwar ange­nommen, aber er wollte sich gleich revanchieren, was ich nun wieder nicht wollte.

In Larrabetzu saßen unter allen Arkaden, in einer kleinen Markthalle und unter Partyzelten Männer vor großen, mit Gas oder Holzkohle betriebenen Töpfen, umringt von diversen Zutaten und haben dort Suppen gekocht. Antoine hat in Erfahrung gebracht, dass es sich dabei um einen Kochwettbewerb handelt und dass Tomate und Zwiebeln die Hauptzutaten sind. Mir hat eine Frau auf Anfrage erklärt, dass es sich um eine Wahlkampfveranstaltung handelt - in zwei Monaten sind hier irgendwelche Wahlen. Eine rechte, aber nicht radikale Partei präsentiert sich hier. Ob die das Essen dann untereinander tauschen, verkaufen, oder kostenlos verteilen, habe ich nicht rausbekommen. Als potentieller Parteigänger hätte man hier vielleicht umsonst Futter fassen können, aber bestimmt nicht vor 12 Uhr, weshalb ich hungrig, aber mit einem kleinen Einkauf aus dem Supermarkt „Eroski“ weiter bin. Auf dem Weg nach Lezama kam sogar mal kurz die Sonne raus, was mich zu einem ausgedehnten Picknick auf einer der Bänke am Wegesrand verleitet hat. Hinter Lezama hat mich Quentin überholt und ich konnte ihm mitteilen, dass Antoine gar nicht weit vor uns ist.

In Zamudio, dem letzten größeren Ort vor Bilbao, direkt in der Einflugschneise des Flughafens gelegen, bin ich in eine vertrauenserweckende Cafeteria, um mir für den Rest des Weges einen (heute dem ersten) „Café con leche“ zu holen. Und wen treffe ich da? Antoine und Quentin. Ich habe mich dazu gesetzt und wir haben ganz nett geschwatzt. Irgendjemand fiel dabei ein, dass wir ja morgen ein paar Kilometer hinter Bilbao das Baskenland verlassen und es somit höchste Zeit wäre, sich den lokalen Spezialitäten zu widmen, zum Beispiel dem „Patxaran“. Das ist der Anis-Schlehen-Likör, den uns der Wirt gestern nicht kredenzen konnte, weil im Vorjahr die Schlehen-Ernte so schlecht war. Um mich mit den Landesspezialitäten bekannt zu machen, habe ich davon mal eine Runde kommen lassen. Das Zeug schmeckt ganz gut, ist aber nicht unbedingt was für Diabetiker. Antoine hat dann zur Kenntnis gegeben, dass der Cidre hier ganz anders schmeckt, als in der Bretagne. Etwas salzig, wie das Wasser, das gerade auf den Strand trifft. Das wurde gleich probiert. Ich habe zwar nicht herausgeschmeckt, ob der Cidre bei Ebbe oder bei Flut abgefüllt wurde, aber er hat gut geschmeckt. Die Art, wie der aus der Flasche in die Gläser kam, war sehenswert, nämlich mit einer Verrenkung verbunden, die das Getränk in einem langen Strahl über die Schulter ins Glas lenkt. Der Cidre war noch gar nicht ausgetrunken, da fiel Quentin auf, dass der köstliche Wein des Baskenlandes bei unseren Betrachtungen zu kurz gekommen ist, und schon standen drei Gläser Rotwein auf dem Tisch. Der hat geschmeckt, aber als Nicht-Weinkenner habe ich keinen Unterschied zu dem (vermutlich billigen) Wein in der Karaffe beim Abendbrot bemerkt.

Weil ich immer gefragt wurde, was man denn so in Deutschland trinkt und ich „Doppelkorn“ zwar in französischer Wikipedia-Version bekanntmachen, aber nirgendwo im Regal finden konnte, habe ich zum vermeintlichen Abschluss nochmal eine Runde Bier kommen lassen. Die war noch gar nicht ganz runtergeschluckt, da stand Florian aus Annaberg (der heimlichen Hauptstadt des Erzgebirges) in der Tür und hat sich mit einem Kaffee und zwei Brötchen zu uns gesellt. Die Höflichkeit gebietet es, in solchem Falle nicht aufzuspringen und loszurennen. Also haben wir ihn in unsere Gespräche eingebunden und als er bekundete, „Patxaran“ nicht zu kennen, hatte er prompt ein Glas vor sich. Da ich mir ziemlich sicher war, dass er auch noch Cidre, Rotwein und Bier probieren soll und man dabei aus Anstand mitmachen muss, habe ich mich aus dem Staube gemacht. Es waren ja noch etwa 6 Kilometer und ein 400-Meter-Berg zu überwinden und ich wollte mich nicht in Dunkeln in Bilbao auf Quartiersuche begeben.

Gegen 18 Uhr war ich in Bilbao. So anstrengend der letzte Anstieg war, so schön war der Abstieg. Auf halber Strecke fand gerade ein Mountainbike-Wettbewerb statt, der schon von weitem zu hören war. Als die ersten Häuser erreicht waren, habe ich booking.com wegen günstiger Unterkünfte konsultiert. Und siehe da, ein paar Meter weiter war ein Hostel ausgewiesen, wo die Übernachtung mit Frühstück 17 € kostet. Das „All Iron Hostel“ ist im Erdgeschoss eines Hochhauses und hat 10 Zimmer mit vermutlich je 12 Betten. Küche, Aufenthaltsraum und Sanitäranlagen sind ok. Im Kühlschank gibt es preiswerte Getränke. Der Herr am Tresen wollte zwar erst 19 € haben, aber nach Hinweis auf meinen Booking.com-Rabatt habe ich den niedrigeren Preis bekommen. Eigentlich wollte ich nur mein Gepäck abstellen und in die Stadt gehen. Da es aber anfing, heftig zu regnen, bin ich doch bloß bis zum nächsten Supermarkt und hab‘ mir dort was fürs Abendbrot und für morgen gekauft. Alles zusammen keine 9 €, da kann man sich nicht beschweren. Die beiden Fischbüchsen habe ich nebst Weißbrot gegessen und auch die Gaspacho-Büchse sowie das Glas mit Paprika sind alle. Jetzt kämpfe ich mich durchs Biersortiment und für morgen habe ich Wurst, Käse und zwei Sprudelwasser.

Der günstige Preis der Herberge lockt viele Jugendliche an. Ich habe hier den Alters­durchschnitt bestimmt um mehrere Jahre hochgetrieben. Viele sind vermutlich wegen dem angeblich spektakulären Bilbaoer Nachtleben hier, aber nicht alle haben sich bei dem üblen Wetter überhaupt raus getraut. Manche beschränken sich darauf, mit oder ohne Zahnbürste in der Hand im Hostel Schaulaufen zu machen. Ich sitze hier mittendrin im Aufenthalts­bereich und manche sind schon öfter mit der Zahnbürste vorbei gekommen, als sie Zähne im Mund haben. Sehen und gesehen worden sein! Leider sind es überwiegend Männer, die sich so zur Schau stellen.

Mehr ist eigentlich nicht zu berichten, außer dass ich beim gebückten Gehen auf üblen, bergauf führenden Wegen viel Gelegenheit hatte, die dort herumliegenden Früchte der Eukalyptusbäume (Eukalypten?) zu bewundern. Sie sehen alle wie Trachtenknöpfe aus. Meist haben sie einen Deckel mit einer kreuzförmigen Öffnung, aber wie bei den Kleeblättern gibt es auch hier Ausnahmen: z. B. mit fünf Schlitzen im Deckel. Manche haben gar keinen Deckel und sind innen verschiedenfarbig: rot-grün-gelb habe ich schon beisammen. Und es gibt sogar welche mit Bart. Wer aufrecht durch die Berge zieht, nimmt die gar nicht wahr, nur wer mit krummen Rücken hier rum kriecht, bekommt solche Naturschönheiten mit!

Camino del Norte - Tag 6