Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Hazas nach Güemes

Tag 9 (Dienstag, 14.3.2023) von Hazas nach Güemes

15.00 Ihr. Ich sitze in einem winzigen, namenslosen Kaff und mache Pause. Hier stehen ein paar Häuser an einer stark befahrenen Straße und mittendrin ist ein mit Weiden bestandener Platz voller Parkbänke. Vermutlich hat hier jeder Dorfbewohner seine eigene. Seit dem Mittag scheint die Sonne, heute früh war es ganz trüb und zwischendurch hat es auch mal geregnet. Quentin, dem es schon seit zwei Tagen nicht gut geht und der sich gestern gleich nach der Anmeldung hingelegt hat, verkündete heute früh, dass er heute nur ein kleines Stück laufen wolle. Auch Antoine, der gestern wieder ein Bier für mich aus dem Rucksack zauberte und mit dem ich zum Abendbrot meinen im Rucksack gut ausgereiften französischen (!) Blauschimmelkäse verspeist habe, hat sich von mir verabschiedet, weil er heute nur bis Laredo will. Dort gibt es eine sehr gelobte Herberge in einem Kloster. Da will er hin und mal einen Tag seine zerschundenen Füße pflegen. Also bin ich, nachdem ich die gewaschene und nahezu trocken gewordene Wäsche eingepackt und bei der Gelegenheit mal wieder Ordnung im Rucksack geschaffen habe, allein los.

Erwähnenswert ist hier noch das Öffnen und Schließen der Herbergstür. Bei der kann man innen einen Riegel ziehen, der beim Schließen der Tür einschnappt. Die Herbergsmutter hat uns gestern gezeigt und vorgeführt, wie wir wieder reinkommen, wenn wir nochmal rauswollen: mit einer Wäscheklammer wird der Riegel so blockiert, dass er nur ganz wenig einschnappt. Wenn man dann von draußen mit der Schulter ordentlich gegen die Tür drückt, dann springt sie auf. Je nachdem, wo man die Klammer auf den Riegel platziert, braucht man nur leicht drücken, oder man muss wie ein SEK-Mann dagegen springen. Aber die Herberge war ok und ich habe prima geschlafen. Wie sonst abends noch am Tisch sitzen und Bilder verschicken, ging aber nicht, weil meine langärmeligen Sachen in der Wasch­maschine bzw. auf dem Wäscheständer waren und es ohne diese zu kalt war. Außerdem war ich wegen der vorangegangenen Nacht in der Bushaltestelle gegenüber der Tankstelle etwas schlafbedürftig. An der Tankstelle war nämlich die ganze Nacht Betrieb. Da gab es Diesel für 1,459 € und Benzin für 1,559 € (heute früh 3 Cent mehr). Das sind 15…20 Cent weniger, als sonst üblich.

Nun bin ich ganz allein unterwegs. Bis jetzt habe ich heute niemand mit Rucksack getroffen. In Laredo, auf der Landstraße etwa 5 km von unserer Herberge entfernt, war ich wieder auf dem offiziellen Jakobsweg, der sich hier aber gabelt. Nach rechts zweigt der Weg entlang der Küste ab, links der durch das hügelige Hinterland führende Weg. Beim Küstenweg gibt es aber das Problem, dass man nach Santoña auf der anderen Seite der „Ria de Treto“ (Ria = breite Mündung, Fjord) mit dem Boot übersetzen muss. Das fährt aber momentan nicht. Die Herbergsmutter hat uns zwar gestern noch alle möglichen Busverbindungen zur Umfahrung rausgesucht, aber ich habe mich entschlossen, dann lieber gleich den Weg durchs Hinterland zu nehmen.

Sachen gibt‘s, die glaubt man nicht. Auf den ersten Teil meines Tagesberichts hat mir meine liebe Schwägerin ihr Bedauern bekundet, dass ich meine beiden Weggefährten los bin. Ich habe kaum die Augen vom Smartphone wieder nach vorn gerichtet, da sitzt doch, an der roten Jacke sofort zu erkennen, Antoine auf einer steinernen Bank am Wegesrand. Er hat sich heute früh seine Blasen aufgestochen ist so lange rumgehüpft, bis sie platt waren. In Laredo, wo er eigentlich bleiben wollte, hat er sich entschlossen, doch weiterzulaufen, da es ganz gut ging. Er hat sich für die Küstenvariante entschieden und zur Umfahrung der fehlenden Schiffsverbindung den Bus benutzt. Und kurz hinter dem Zusammenlaufen der beiden Wege haben wir uns getroffen. Die Wiedersehensfreude war aber schnell getrübt, als ich gesehen habe, dass er schon „auf dem Zahnfleisch“ läuft. Nun hat er sich aber aufgerafft, auch die fehlenden etwa 8 km zu laufen. Das sah ziemlich schlimm aus und ging bei weitem nicht so schnell, wie ich das bisher bei ihm erlebt hatte. Er schleppt aber auch einen 13 kg-Rucksack mit sich herum. Genau doppelt so viel, wie ich auf dem Rücken habe. Normaler­weise hätte man sich nach ein paar freundlichen Worten getrennt und der Schnellere, der diesmal ich war, wäre davon gelaufen. Das konnte und wollte ich aber in diesem Fall nicht machen und bin stattdessen in seinem Schritt der ersehnten Herberge entgegen gelaufen.

Etwa zwei Kilometer vor dem Ziel hielt neben uns ein Auto, das uns mitnehmen wollte: am Steuer ein Spanier, der in der Herberge arbeitet, und daneben eine deutsche Pilgerin, die in Not geraten war. Für mich war klar, dass ich nach knapp 35 km auch die letzten zwei noch laufe, aber ich dachte, dass der humpelnde Antoine das Angebot gern annehmen würde. Aber auch er hat abgelehnt und war entrüstet, dass ich gedacht hätte, er würde sich ein Stück fahren lassen. Einen Moment später hielt das nächste Auto, darin Ernesto, der Gründer und Vater der „Albergue La Cabaña del Abuelo Peuto“, zu der wir wollten. Aber auch er hat niemand zum Mitfahren überreden können. Ganz tapfer haben wir uns auch noch den letzten Hügel hoch gekämpft und sind oben sehr herzlich mit frischem Wasser und netten Worten begrüßt worden. Bei der Herberge handelt es sich um eine regelrechte Kultherberge, von der man immer wieder hört und die in der Saison auch sehr gut besucht ist. Alle zusammen sind es heute 9 Pilger verteilt auf 70 Betten in mehreren Schlafsälen und etwa zehn kleinen Häuschen. Wir haben ein solches Häuschen mit zwei Doppelstockbetten und Dusche/WC. Wir konnten uns gerade ein bisschen umschauen und ein paar der Bilder und Andenken anschauen, die Ernesto von seiner Weltreise mit einem alten Landrover mitgebracht hat, dann gab es auch schon Abendbrot. Alle zusammen inklusive Personal an einer langen Tafel. Es gab reichlich Kürbissuppe und Nudeln sowie „Vino Tinto“.

Von den 9 Pilgern in der Herberge sind sechs Deutsche, die alle allein unterwegs sind, zwei italienische Brüder und Antoine, der Bretone. Darunter sind interessante Laute, wie beispiels­weise ein Offizier aus Bremen, der mit der internationalen Zusammenarbeit bei Auslandsein­sätzen befasst ist und Interessantes aus Afghanistan zu berichten hatte und ein Lehrer aus Speyer, der beim Ahrhochwasser mitgeholfen hat und Haarsträubendes über das Versagen der Verantwortlichen erzählen konnte. Die Frau aus dem Auto, Petra, die auch bei Bremen wohnt, hat für eine Woche pauschal eine Pilgerreise mit Übernachtungen und Gepäck­transport gebucht. Mit der letzten Unterkunft ging was daneben und der Reisever­anstalter hat sie an diese Herberge verwiesen, die sie auch gleich abgeholt hat. Sie war so von den Leuten um sich herum begeistert, dass sie versprochen hat, beim nächsten Mal (auch schon süchtig!) keinesfalls wieder Hotelzimmer zu buchen, wo sie abends allein rumsitzt. Nach dem Essen hat dann Ernesto einen Vortrag über die Geschichte und Intention dieser Herberge erzählt, in der er vor 86 Jahren geboren wurde. 1999 ging es mit gut 200 Pilgern los, vor Corona waren es fast 13.000 im Jahr. Insgesamt waren schon fast 130.000 Pilger in dieser aus Spendenmitteln betriebenen Herberge. Obwohl der Übersetzter sich gemüht hat, aus 10 Sätzen immer einen zu machen, ist es dabei wieder sehr spät geworden. Darum gibt es heute auch keine Bilder - ich habe eh vergessen, nach dem WiFi-Code zu fragen.

Camino del Norte - Tag 9