Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Güemes nach Boo de Piélagos

Tag 10 (Mittwoch, 15.3.2023) von Güemes nach Boo de Piélagos

Die Nacht in der Herberge in Güemes war ok. Am Abend habe ich noch laut getönt, dass ich vermutlich um sieben loslaufen und deshalb zum gemeinsamen Frühstück um acht nicht mehr da sein werde - um Dreiviertel Acht bin ich schließlich aufgewacht. Beim Frühstück saßen wieder alle an einem langen Tisch einschließlich der Kinder des Kochs, der wohl nebenan wohnt. Ernesto, der Herbergsvater, hat dann noch was zur bevorstehenden Etappe erzählt, was aber nicht so viele Neuigkeiten enthielt. Ich bin dann als Erster los und habe auf der Landstraße Björn (54) aus Frankfurt getroffen. Der läuft hier zum ersten Mal und ist nicht so richtig mit den Herbergen vertraut. Der hat in Güemes für 55 € in einem Hotel übernachtet - ein bisschen viel für Duschen, Zähneputzen und Schlafen. Für eine Spende hätte er bei uns noch was zu essen bekommen. Ich bin ein ganzes Stück mit Björn gelaufen und wir haben eine sehr gute Unterhaltung gehabt. Er hat vor zwei Jahren seine Modeagentur verkauft und seinen Lebensstil sehr reduziert. Seitdem zieht er durch die Gegend, vorrangig mit dem Wohnmobil, z. B. durch Skandinavien und Nordafrika oder irgendwo hin, wo er Surfen kann. Nun will er mal den Camino probieren. Er hat von den Geschäftsge-baren in seiner Branche erzählt, wo man unter Wölfen nur überleben kann, wenn man sich selbst wie ein Wolf benimmt. Und das wollte er nicht auf Dauer. Jetzt ist er frei von Machtkämpfen mit Wett­bewerbern und „Geschäftspartnern“ und fühlt sich wohl. Plaudernd sind wir gut voran­gekommen und standen plötzlich an der Steilküste, von der sich ein grandioser Blick auf eine Bucht mit traumhaftem Strand bot. Dort haben wir pausiert und viele Fotos mit und ohne Mensch geschossen. Als wir wieder aufbrachen, gesellte sich Antoine zu uns und später schloss noch Eugen aus Frankfurt auf, der mit in der Herberge in Güemes war.

Der Weg verlief jetzt ein ganzes Stück auf den Klippen entlang, immer nur ein paar Meter von der Abbruchkante entfernt, die oft durch Büsche getarnt ist. Hier sollte man also nicht zum Pinkeln hinter den Busch treten! Als Santander, die Hauptstadt von Kantabrien in Sicht kam, ging der Weg runter zu den Dünen und dann an den Strand. Es war schön, auf dem festen Sand an der Wasserkante zu laufen. Wenn ich alter Mann nicht solche Probleme hätte, ohne ein Gestühl die Wanderschuhe aus- und wieder anzuziehen, dann wäre ich barfuß gelaufen. Das hätte auch das Überqueren der kleinen Wasserläufe am Strand erleichtert. Der Strand verläuft noch einige hundert Meter in Richtung Santander. Dann muss man aber mit einer Fähre übersetzen. Um zur Fähre zu kommen, soll man da, wo die Bebauung anfängt, runter vom Strand, durch den Ort und eigentlich über eine Brücke auf eine Insel, an deren Ende eine Anlegestelle ist. Aber noch vor Erreichen der Brücke standen wir vor einer Anlegestelle und es kam gerade ein Fährschiff. Da sind wir natürlich rauf, nachdem geklärt war, dass das Schiff nach Santander übersetzt - mit Zwischenstopp an der besagten Insel. Es war eine schöne Fahrt, außer uns waren nur noch zwei andere auf dem Boot, das halbstündlich verkehrt. Es macht mir immer wieder Spaß, vom Wasser aus auf einen Ort zuzufahren. Santander hat keine spektakuläre Silhouette, ist aber schön anzu­sehen. Über die gesamte Breite der Bucht zieht sich eine Promenade am Wasser hin, die recht einheitlich bebaut ist und schon von weitem den Eindruck einer gut situierten Hafenstadt macht. Die paar extravaganten Gebäude, die man direkt ans Wasser gesetzt hat, hätte man sich eigentlich sparen können.

Björn hatte was in Santander gebucht und für Eugen war das die Endstation auf seinem einwöchigen Camino-Ausflug. Also bin ich mit Antoine, der ein Kathedralen-Fan ist, weiter zur Kathedrale von Santander, die natürlich über Mittag geschlossen hat. Antoine hat extra auf der Fähre gefragt und die Antwort bekommen, dass offen ist. Für die Spanier ist es offenbar selbstverständlich, dass das nicht die Siesta betrifft. Die vielen geschlossenen Kirchen haben erfreulicherweise zur Folge, dass ich mein neues Basecap noch nicht verbummelt habe. Denn die bisherigen habe ich fast alle in Kirchen vergessen, wo man sie aus Pietätsgründen abnimmt. Ich habe schon überlegt, ob man die Mützen von der Kirchen­steuer absetzen kann. Antoine war sich noch nicht schlüssig, ob er in Santander bleibt oder noch ein Stück läuft und sich auswärts einen Platz zum Schlafen sucht. Ich hatte mich schon entschieden, dass ich noch etwa 10 km bis Boo de Piélagos laufe, nachdem ich angerufen habe, ob die dortige Herberge „Piedad“ wirklich offen ist, weil es ringsherum zu dieser Jahreszeit keine offenen Herbergen gibt. Die Etappe Güemes-Santander ist nämlich mit ca. 16 km ziemlich kurz und die nächste nach Santillana del Mar mit 36 km ziemlich lang. Da hat es sich empfohlen, eine Herberge zu suchen, die beide Etappen etwa gleich lang macht.

Hinter der Kathedrale von Santander geht es weiter parallel zum Ufer, vorbei an einer Vielzahl an Kneipen, die in der Mittagspause alle gut besucht waren. Als plötzlich an den Wänden Jakobswegschilder mit einem Pfeil in verkehrter Richtung auftauchten, wurde ich stutzig und habe ich wiederholt die Karte auf dem Smartphone und den Sonnenstand konsultiert. Beide sagten, dass ich richtig laufe und die Schilder falsch sind. Dann tauchten plötzlich auch noch im Pflaster Platten mit der Jakobsmuschel und einem Pfeil in der Richtung auf, aus der ich komme. Nach erneutem Kartencheck habe ich mich entschlossen, solche Zeichen künftig einfach zu ignorieren. Und siehe da, ab irgendeiner Kreuzung zeigten plötzlich alle Wegweiser in die richtige Richtung, also nach vorwärts. Wahrscheinlich hat man in einem Stadtbezirk den Gemeindearbeitern die Schilder und Steine einfach in die Hand gedrückt, ohne zu sagen wie rum diese angebracht bzw. eingesetzt werden sollen.

Es hat ziemlich gedauert, bis ich aus Santander raus war. Die Stadt zieht sich hin. Aber es war interessant, denn es gab neben nöligen Häusern an der Straße auch schöne Wohn­gebiete auf Hügeln, umringt von Parkanlagen, zu sehen. Und wegen der Hügel sieht man hier auch wieder Rolltreppen und Laufbänder auf den Straßen. Auch hinter der Stadt verlief der Weg noch eine Weile an einer ziemlich stark befahrenen Straße, allerdings auf einem meist breiten Fußweg. Dann führte der Weg weg von der Straße und fortan parallel zu ihr durch Siedlungen und entlang einer Bahnlinie über eine Wiese. An einer engen Unterführung hat man neben den Gleisen einen etwa 1 Meter breiten Weg angelegt und mit einem Zaun abgetrennt. Das bietet ein ganz neues Bahnfeeling, wenn ein Zug kommt. An einem stillen Fleckchen an einer Wasserstelle habe ich es mir auf einer Bank bequem gemacht und ein Mittagsschläfchen gehalten. Im Halbschlaf habe ich mitbekommen, dass da jemand mit Stock angeklappert kommt, kurz Halt macht und dann weiter läuft: Antoine. Irgendwie sind wir unzertrennlich. Aber er hat dafür auf der nächsten Bank Pause machen und sich dann einen Schlafplatz suchen wollen. Morgen sehen wir uns bestimmt wieder.

Der Jakobsweg führt eigentlich knapp an Boo de Piélagos vorbei, aber am ent-scheidenden Abzweig, an dem ein Wegweiser mit der Muschel geradeaus zeigt, sind mit gelber Farbe Pfeile auf die Straße gemalt, die hier her zeigen. In der sehr ordentlichen Herberge, die leicht an der auffällig dunkelblauen Fassade zu erkennen ist, gibt es neben richtigen (teuren) Hotelzimmern auch einen „Schlafsaal“ mit drei Doppelstockbetten, wo man für 16 € nächti­gen kann - ohne den Schlafsack rauskramen zu müssen. Für 11 € kann man sich ein gutes, mehrgängiges Abendessen servieren lassen. Das habe ich mir mal wieder geleistet. Außer mir sind nur zwei andere Pilger hier, so dass wir alle einen Platz im Unterdeck bekommen haben. Die Beiden sind Alexander und Alejandro - passt gut. Alex kommt aus der Münchener Gegend, ist Metzgermeister und arbeitet in elterlichen Metzgereibetrieb. Alejandro kommt aus Venezuela und ist Ingenieur für Erdölförderung. Er will aber nach Spanien, weil er hier Familie hat. Da er noch keine Arbeitserlaubnis hat, vertreibt sich nun die Zeit auf dem Jakobsweg. Beide wollen bis Santiago, wir werden uns also noch öfter über den Weg laufen. Alex hat übrigens erzählt, dass er einen Tag zuvor in jener Herberge geschlafen hat, die ich verschlossen vorgefunden habe und mit der Haltestelle tauschen musste. Er meint, dass da was Schwerwiegendes vorgefallen sein muss, weshalb die Wirtin nicht da war.

Camino del Norte - Tag 10