Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Pendueles nach Piñeres de Pria

Tag 14 (Sonntag, 19.3.2023) von Pendueles nach Piñeres de Pria

Es ist gestern Abend kein weiterer Gast in die Herberge gekommen, so dass ich mich heute früh richtig austoben konnte: bei vollem Licht alles raus aus dem Rucksack, frische Sachen rauskramen und die Dreckwäsche in den Waschsack. Der ist zwar noch nicht voll, aber es wäre schön, wenn ich den bald einer Waschmaschine anvertrauen könnte. In Piñeres, wohin ich heute möglichst kommen will, ist in einer der Herbergen angeblich Waschmaschine und Trockner im Preis enthalten. Das würde ja passen.

Heute früh führte der Weg direkt zum Meer, das heißt auf die Klippen. Dort ging es lange Zeit im Zick-Zack durch die Weiden, auf denen Rinder, Pferde und Schafe grasten. Die Weiden sind alle nur mit Elektro-Drähten eingezäunt, so dass nichts den Blick über diese grüne Landschaft trübte, aus der immer wieder weiße Spitzen des felsigen Untergrundes heraus­ragten. Es ging auf gleicher Höhe vorwärts, nur wenn kleine Bäche den Weg kreuzten, musste man mal runter und wieder rauf. Etwa auf halber Strecke nach Llanes tauchten Wegweiser auf, die zu den „Bufones de Arenillas“ führten. Das sind Fontänen, die in bestimmten Intervallen aus Löchern im Boden schießen. Das funktioniert leider nur, wenn das Wasser in die unter den Löchern befindlichen, zum Meer hin offenen Höhlen gedrückt wird. Aber das ist nur bei Wellengang der Fall und der fiel heute aus. Man konnte jedoch wenigstens das Grollen in den Höhlen hören.

Nach einem etwas längeren Anstieg gab es einen wundervollen Blick aufs Meer, direkt unter einem ein grandioser Strand, dem ein großer Felsen vorgelagert ist. Rechts auf einer der Klippen konnte man Pferde erkennen, die da dicht am Abgrund grasen. Links war schon Llanes zu sehen, wo ich gerade meine kombinierte Frühstücks-/Mittagspause mit Sandwich und Café mache. In den zwei Dörfern, durch die ich zuletzt gekommen bin, Andrin und Cue, waren alle Kneipen zu. Hinter der tollen Aussicht habe ich mal absichtlich den Abzweig des Jakobsweges von der Straße verpasst, auch wenn das ein paar Jahre weniger Ablass gibt. Aber der Weg führte vorbei an einem Golfplatz einen Berg hinauf und dann ziemlich hoch über eine Reihe von Hügeln hinweg, die man wahrscheinlich nur aufgeschüttet hat, damit die Pilger hungrig und durstig in Llanes ankommen. Die Straße führte hingegen stets abwärts in den Ort und da mir nur zwei Autos begegneten, war das eine sehr gute Alternative.

14.00 Uhr. Ich sitze am Strand von Palombina, einem Ortsteil von Celoriu, und mache Pause. Die letzte liegt nicht lange zurück, aber es ist hier zu schön, um einfach vorbei zu hetzten, zumal es hier auch Bänke an der Strandpromenade gibt. Llanes, wo ich mir gleich am Ortseingang eine Bar gesucht habe, um das Frühstück nachzuholen, erwies sich als ein ziemlich lebendiges Städtchen, in dem offenbar auch zu dieser Zeit viele Touristen sind. Heute, am Sonntag, vermutlich auch viele Tagestouristen. Es gibt in der Stadt viele Gast­stätten und Geschäfte, die heute fast alle offen haben. In einer Boutique habe ich mir einen Pilgerhut gekauft, der rundum Sonnenschutz bietet. Es ist zwar kein Krokodil drauf, aber er ist sicher was Nobles. Mit meinem Basecap sah ich doch einfach viel zu jugendlich aus.

Am Ortsausgang von Llanes bin ich auf Alejandro gestoßen, der allein unterwegs war und meinte, die anderen drei seien vorneweg. Ich habe versucht, ein paar Meter mit ihm Schritt zu halten, und dabei den Abzweig des Jakobsweges nach rechts zur Küste verpasst. Bei Alejandro war aber auf der Karte ein Weg links, parallel zur Straße ausgewiesen und der Abzweig zu diesem Weg war auch mit der Muschel gekennzeichnet. Als dieser Weg nach ein paar hundert Metern wieder auf die Straße stieß und Alejandro längst außer Sichtweite war, bin ich auf der anderen Straßenseite durch ein paar verwinkelte Gassen zum Küstenweg, da ich mir den der schönen Aussichten wegen nicht nehmen lassen will. Selbst wenn ich erst ein…zwei Stunden später am Ziel bin, weil der Weg länger und hügliger als die Straße ist, will ich den jetzt weiter gehen und genießen.

16.15 Uhr. Ich liege gut im Plan. Es sind noch 6 km bis Piñares. Das hat mich dazu verleitet, nochmal einzukehren und eine Kleinigkeit zu essen. Eigentlich habe ich an sowas wie ein Stück Tortilla gedacht, aber da sehe ich doch in der finsteren Dorfkneipe eine Frau mit einem leckeren „Cordon Bleu“ vor sich. Das habe ich mir prompt bestellt. Mal sehen, ob Alejandro hier auch noch rein schneit. Bei der Pause am Strand stand der plötzlich wieder neben mir. Aber ich hatte zwischenzeitlich ein Getränk aus dem Rucksack meinem Körper zugeführt, wodurch Ersterer leichter und Letzterer gestärkt wurde. Nun bin ich ihm davongezogen und vermutlich hat er mich irgendwann nur noch als schwarzen Punkt am Horizont wahrge­nommen. Ich war schon bei vorangegangenen Caminos der Meinung, dass dieses Getränk, „Estrella Galicia“ genannt, ein Zaubertrunk ist.

Der Weg ging jetzt wieder ein Stück weg vom Meer und ständig, aber mäßig auf und ab, bis er auf eine Landstraße stieß. Entlang dieser Straße, zusammen mit der Autobahn und der Eisenbahnlinie, die hier aus Platzgründen durch einen Tunnel geführt wird, ging es um einen Felsen herum und dann ziemlich geradeaus weiter. Der Weg führt dann eigentlich von der Straße weg und parallel zu ihr an der Rückseite der Dörfer entlang. In Anbetracht dessen, dass es auch so 35 km werden, habe ich diese Umwege aber weggelassen.

Zum sogenannten „Cordon Bleu“, das ich inzwischen zur Hälfte runtergewürgt habe, sei gesagt, dass dieses doch anders aussah als das, was ich bestellt habe und insgesamt schlimm war. Die Pommes waren vor Fett triefend und weicher als zerkochte Nudeln. Aus dem Fleisch, bei dem die Zutaten obenauf und nicht wie beim „Cordon Bleu“ innen drin lagen, weil es nur einlagig war, spritzte das Fett heraus, wenn man mit Messer oder Gabel hineinstach. Wahrscheinlich war es alt und hart und ist mit reichlich Fett wieder weich gemacht worden. Zwischendurch kam die Köchin mal aus der Küche und hat mir vom Tresen aus beim Essen zugeschaut. Ich bilde mir ein, Schadenfreude in ihrem Blick bemerkt zu haben. Als ich den Genuss abgebrochen habe, war eine ordentliche Ölpfütze auf dem Teller. Das wäre was für Alejandro gewesen, der auf Ölförderung studiert hat. Zum Glück hat die servierende Tochter des Hauses nicht verstanden, dass ich zum Schluss nach einem Schnaps gefragt habe. Wer weiß, was da gekommen wäre. Vielleicht der Rest aus der Ölkanne. Für 18 € (+1 € fürs Brot) war das eine schmerzliche Erfahrung. Fazit: man kann sich nicht nur anschmieren, wenn man etwas bestellt, ohne es gesehen zu haben. Auch wenn man es vorher gesehen hat, kann es daneben gehen.

Um 18 Uhr hatte ich die „Albergue La Llosa de Cosme“ in Piñeres de Pria, ein paar Kilometer vor Ribadesella erreicht. Es ist ein hübscher Steinbungalow, der vor einem gleichfarbigen Wohnhaus auf einem Privatgrundstück steht. Drinnen drei Doppelstockbetten, Tisch mit Stühlen, eine flache Küchenzeile und eine Badzelle. Alles sehr ordentlich und sauber. Als ich kam, war noch alles frei. Die nette junge Hausherrin hat mir den Bungalow gezeigt und gesagt, dass ich es mir bequem machen soll und dass sie später wegen der Formalitäten kommt und dann auch die Wäsche holt, die zu waschen ist. Aber schon ein paar Minuten später stand sie wieder in der Tür - mit Alejandro, Alex und Paul, die sich auf den letzten Kilometern wieder getroffen haben. Und kurz darauf standen auch noch Björn und Antoine auf der Türschwelle. Nun war der Bungalow auf einen Schlag voll, aber die Wiedersehens­freude groß.

Nachdem sich alle geputzt und eingerichtet hatten, kam die Frage auf, was wir denn zum Abend essen und trinken, wobei ich eigentlich satt war und ja auch noch Wurst und das Brot von missglückten Abendessen dabei hatte. Die gar nicht weit entfernte Dorfkneipe war leider wegen einer Familienfeier zu. Da hat sich die Herbergsmutter angeboten, Alejandro, den einzigen richtig Spanisch Sprechenden unter uns zum nächsten Restaurant zu fahren. Es hat auch nicht lange gedauert und er kam zurück mit zwei Wurstplatten, frischen Brötchen und Bierbüchsen. alles ganz lecker, aber auch nicht gerade billig, weil es ja aus der Gaststätte kam. Es war für alle kein Problem, seinen Beitrag zu zahlen - außer für Antoine, der sicher überlegt hatte, ob er sich die 10-Euro-Herberge überhaupt leistet oder draußen schläft. Der hatte bei den voran gegangenen Beschaffungsdiskussionen gar nicht mitbekommen, worum es geht. Nun war er ganz erschrocken, als Geld eingesammelt wurde. Um ihm die Pein­lichkeit zu ersparen, dass er da kneifen muss, habe ich stillschweigend seinen Part über­nommen, damit Alejandro nicht auf seinen Auslagen sitzen bleibt.

Wir haben nach dem Essen noch in vertrauter Runde gesessen und gequatscht. Manche haben sich auch als Nachtisch an Björns Tütensuppen-Pasta-Eier-Kreation gewagt, die gut als Spachtelmasse durchgegangen wäre. Anders als in solcher Männerrunde zu erwarten, waren aber noch vor halb zehn alle im Bett und das Licht aus.

Camino del Norte - Tag 14