Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Santa Marina nach Luarca

Tag 21 (Sonntag, 26.3.2023) von Santa Marina nach Luarca

Ich habe die Nacht in Santa Marina ganz gut geschlafen, obwohl der aus Decken und Laken bestehende Bettdeckenersatz etwas schwer auf mir lastete und mich tief in das weiche Bett drückte. Der nächtliche Harndrang hat sich genau zur Zeitumstellung eingestellt, so dass ich live miterleben konnte, wie die Uhr auf dem Smartphone von 1.59 Uhr auf 3.00 Uhr sprang, ohne dass ich an einem Rädchen drehen oder die Frage beantworten musste, ob ich die Zeit umgestellt haben will. Unser Minister für Digitales verkauft das sicher als künstliche Intelligenz. „KI“ ist ja jetzt Mode wie einst CAD/CAM. Als ich mir als Student ein paar Groschen durchs Straßenbahnfahren verdienen musste, habe ich gern bei der Zeit­umstellung die Nachtschicht übernommen, weil da eine Stunde mehr bezahlt wurde, als man gefahren ist - so auch im Herbst, wenn die Uhr wieder zurückgestellt wurde.

Die Hose ist übrigens mit dem von der Pension gesponserten Seifenstück sehr sauber geworden. Ich habe sie ordentlich ausgewrungen, in das pensionseigene Badehandtuch gewickelt und nochmal gewrungen und schließlich locker mit dem Bund nach oben über mehrere Kleiderhaken verteilt aufgegangen. Trotzdem war der Bund heute früh noch feucht. Aber da gibt es ja den Trick, während der Morgentoilette die Hose in das noch warme Bett zu legen und ordentlich zuzudecken. Nach einer halben Stunde war die Hose nicht nur trocken, sondern auch warm und glatt, als wäre sie gerade gebügelt worden.

12.00 Ihr. Die beste Zeit für ein stärkendes Getränk und eine Kleinigkeit dazu. Ich bin jetzt in Cadavedo, dem Endpunkt der 18-km-Etappe, die ich halbiert habe. Nun kommen noch die 15 km der nächsten Etappe bis Luarca. Von Santa Marina bis hier habe ich ganz brav alle Schluchten mitgenommen.

Gleich am Ortsausgang ging es runter in die erste, auf einem steinigen Weg, der zugleich als Bachbett dient. Unten war zum Glück eine Brücke über den von links kommenden Bach - aber nur über den ersten. Hundert Meter weiter war der nächste zu überqueren, dieses Mal erneut von Stein zu Stein balancierend. Dann ging es hoch bis zur Straße und nach dem nächsten Ort (Ballota) wieder runter und 200 Meter vor der Mündung des Rio Cabo, der dieses tiefe Tal gegraben hat, über eine Brücke und auf der anderen Seite des Baches nochmal hoch bis zur Landstraße. Ich bin auch noch die 200 Meter von der Brücke bis zur Wasserkante gelaufen und war begeistert. In der schmalen Lücke zwischen den Felsen der Steilküste haben Wellen über Jahre hinweg rund geschliffene Steine zu einem hohen Wall aufgetürmt. Jede Welle, die kommt, versucht die Steine noch ein Stück höher zu schieben, was einen hohen Ton ergibt. Und beim Zurückweichen der Welle rollen die Steine wieder ein Stück herunter, was einen tiefen, grollenden Ton ergibt. Das ist die perfekte Untermalung, wenn man zuschaut, wie die Wellen auf den Wall, gegen die Steilküste und einzelne im Wasser stehende Felsen knallen und hoch aufspritzen.

Ich musste vorhin abbrechen, weil ich plötzlich Antoine vor der Gaststätte entdeckt habe. Ich hab die Tür aufgerissen und ihn herein gerufen. So konnte ich mich gleich für das gestern Abend für mich hinterlegte Bier revanchieren. Wir sind danach ein Stück zusammen gelaufen und haben noch Selfies gemacht, bevor er sich in einem kleinen Park zum Mittagessen aus dem Rucksack niedergelassen hat. Er wird in einer sehr preiswerten Herberge in der Nähe von Luarca übernachten. Morgen sehen wir uns bestimmt wieder.

Nach der Überquerung des Rio Esva gab es noch einmal eine schöne Begegnung mit dem Meer. Hinter der dem Augenschein nach sehr guten Herberge „Playa de Cueva“ am Hotel „Canero“ geht es unter einer hohen Autobahnbrücke hindurch. Der ausgeschilderte Weg biegt dann links in den Wald ab. Hier empfiehlt es sich, noch ein paar Meter weiter bis zum Strand zu laufen. Der Aufstieg geht einem dadurch nicht verloren, der kommt dann nur etwas später. Es ist ein Sandstrand und dahinter wieder ein Wall von rund geschliffenen Steinen. Heute war ordentlich Wind und die Wellen kamen mit solcher Wucht an den Strand, dass die Gicht unter der Autobahnbrücke hindurch in das Tal getrieben wurde und dieses in Nebel hüllte. Danach führte der Weg mal entlang der Landstraße, mal durch Wald und dann wieder über Wiesen mit Blick auf das Meer. Schon einige Kilometer vor Luarca tauchte der Weg in ein großes Siedlungsgebiet ein und durchquerte viele kleine Siedlungen. Nun musste der Karte nach Luarca kommen und nach der nächsten Kurve, wo mir der Wind die Mütze vom Kopf gerissen hat, tat sich plötzlich der Blick auf die tief unten liegende Stadt mit ihrem Hafen auf. Hier gab es Fotomotive ohne Ende und beim Weg hinunter in die Stadt konnte man alles nochmal aus einer anderen Perspektive fotografieren.

Die Herberge in Luarca ist im Erdgeschoss eines Stadthauses untergebracht und gehört zum gegenüber liegenden Hotel. Wir sind hier nur zu sechst: John und Tori, Alex und Björn und ein Michael aus Düsseldorf, der schon ein paar Camino Francés hinter sich hat und nun diesen Weg probiert. Alex ist gut drauf und war heute schon zeitig hier. Björn hat hingegen immense Fußprobleme und dazu noch eine Grippe. Der war schon gestern hier und wollte sich heute auskurieren. Aber da es nicht besser geworden ist, gibt er hier auf und fliegt nach Hause. Wieder einer von denen, welche die Kilometer runterreißen und nicht dran denken, dass die Kraft noch für den nächsten Tag reichen muss. Immerhin hat er es geschafft, mit Alex und mir in eine Pizzeria zu kommen, wo wir sehr gut gegessen haben.

Ich habe noch gar nicht auf die Karte geschaut, was sich morgen als Absteige anbietet. Da ich gut im Plan liege, werde ich vermutlich nicht die über 30 km bis A Caridá laufen, sondern mir vorher was suchen. Die darauf folgende Etappe hat nur 22 km und ist flach, da kann man sicher den Rest der vorherigen dranhängen. Wenn nichts dazwischen kommt und die Beine mitmachen, werde ich wohl schon am Gründonnerstag und damit sechs Tage eher in Santiago sein, als geplant. Mariannes Hinweis im Hinterkopf, dass in der Semana Santa (= Heilige Woche vor Ostern) ganz schwer eine Unterkunft zu bekommen ist, habe ich mir von Gründonnerstag bis Ostersonntag in Santiago ein Bett in der Herberge Sixtos gebucht, wo mir der Wirt im vorigen Jahr noch abends um neun ein Bett verschafft hat, indem er alle angerufen hat, die bei ihm gebucht haben aber noch nicht erschienen waren. Und dabei fand sich einer, der ein anderes Quartier genommen und das Stornieren vergessen hat. Dessen Bett habe ich bekommen. Deshalb und weil es eine wirklich schöne Herberge ist, kehre ich da gern wieder ein.

Camino del Norte - Tag 21